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»Ein richtiger Autonarr«, sagte er. »Na, soll er so viel rumschnüffeln, wie er will.«

Ich blickte noch über die Schulter auf Charleys Schwarm, als Mae sagte: »Jack, schau doch mal.«

Der Schwarm vor ihrem Fenster auf der Beifahrerseite hatte sich verändert. Er war jetzt fast gänzlich silbern, schimmernd, aber ziemlich stabil, und ich sah, dass sich Maes Kopf und Schultern in dieser silbernen Fläche spiegelten. Das Bild war nicht perfekt, weil Augen und Mund etwas verschwommen waren, aber im Großen und Ganzen war es genau.

Ich runzelte die Stirn. »Er ist ein Spiegel ...«

»Nein«, sagte sie. »Ist er nicht.« Sie wandte sich vom Fenster ab und sah mich an. Ihr Bild auf der Silberoberfläche veränderte sich nicht. Das Gesicht blickte weiter in den Wagen. Dann, nach ein oder zwei Sekunden, erbebte das Bild, löste sich auf und setzte sich neu zusammen: Diesmal zeigte es Maes Hinterkopf.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Mae.

»Ich hab da so eine Ahnung, aber .«

Der Schwarm auf der Frontscheibe tat genau das Gleiche, nur dass seine Silberoberfläche uns beide nebeneinander im Wagen sitzend zeigte, mit sehr verängstigten Mienen. Auch dieses Bild war etwas verschwommen. Und jetzt wurde mir klar, der Schwarm war kein Spiegel. Der Schwarm selbst erzeugte das Bild durch die genaue Position individueller Partikel, was bedeutete .

»Schlechte Nachrichten«, sagte Charley.

»Ich weiß«, sagte ich. »Sie innovieren.«

»Was meinst du, ist das eine von den Voreinstellungen?«

»Müsste eigentlich. Ich tippe auf Imitation.«

Mae schüttelte den Kopf, verstand kein Wort.

»Das Programm hat gewisse voreingestellte Strategien, die helfen sollen, das Ziel zu erreichen. Die Strategien simulieren, wie richtige Räuber sich verhalten. Eine voreingestellte Strategie ist beispielsweise, auf der Stelle stehen zu bleiben und abzuwarten, der Beute im Hinterhalt aufzulauern. Eine andere ist die, ziellos herumzulaufen, bis man zufällig auf die Beute stößt, und sie dann zu verfolgen. Man kann sich, drittens, auch mit irgendeinem Element der Umgebung tarnen, mit der Umgebung verschmelzen. Und viertens, sie können das Verhalten der Beute imitieren.«

Sie sagte: »Du glaubst, das da ist Imitation?«

»Ich glaube, es ist eine Form von Imitation, ja.«

»Er versucht, so auszusehen wie wir?«

»Ja.«

»Ist das emergentes Verhalten? Hat es sich von allein entwickelt?«

»Ja«, erwiderte ich.

»Schlechte Nachrichten«, sagte Charley traurig. »Sehr schlechte Nachrichten.«

Während ich im Auto saß, spürte ich Wut in mir aufsteigen. Dieses Spiegelbild machte mir nämlich klar, dass ich die eigentliche Struktur der Nanopartikel gar nicht kannte. Mir war gesagt worden, es gebe eine Piezo-Scheibe, die das Licht reflektierte. Es war daher nicht verwunderlich, dass der Schwarm ab und zu silbern in der Sonne glitzerte. Das musste nicht unbedingt eine hoch entwickelte Partikelorientierung bedeuten. Eher fasste man so ein silbernes Wogen als Zufallseffekt auf, ebenso wie es auf stark befahrenen Autobahnen zu Staus kam, die sich dann wieder auflösten. Da mussten nur ein oder zwei Autofahrer willkürlich das Tempo verändern, und schon konnte der nachfolgende Verkehr kilometerweit in Mitleidenschaft gezogen werden: Die Wirkung setzte sich wellenartig nach hinten fort. Das Gleiche müsste auf die Schwärme zutreffen. Ein Zufallseffekt würde sich wie eine Welle durch den Schwarm fortsetzen. Und genau das hatten wir gesehen.

Doch dieses Spiegelverhalten war etwas grundsätzlich anderes. Die Schwärme produzierten jetzt Bilder in Farbe und hielten sie einigermaßen konstant. Eine solche Komplexität konnte das einfache Nanopartikel, das mir gezeigt worden war, unmöglich aufweisen. Ich bezweifelte, dass sich aus einer Silberschicht ein volles Farbspektrum erzeugen ließ. Theoretisch war es möglich, das Silber haargenau so zu neigen, dass es Regenbogenfarben erzeugte, aber das setzte eine enorm nuancierte Beweglichkeit voraus.

Logischer erschien mir daher, dass die Partikel die Farben anders erzeugten. Und das hieß, auch diesbezüglich war mir nicht die Wahrheit gesagt worden. Ricky hatte mich erneut belogen. Deshalb war ich wütend.

Ich war bereits zu dem Schluss gelangt, dass irgendetwas mit Ricky nicht stimmte, und im Nachhinein betrachtet, lag das Problem bei mir, nicht bei ihm. Selbst nach der Katastrophe im Depot begriff ich noch immer nicht, dass die Schwärme sich rascher entwickelten, als wir mit ihnen Schritt halten konnten. Ich hätte erkennen müssen, mit welchem Gegner ich es zu tun hatte, als die Schwärme eine neue Strategie demonstrierten -den Fußboden rutschig machten, um ihre Beute außer Gefecht zu setzen und sie von der Stelle zu bewegen. Bei Ameisen würde man das kollektiven Transport nennen; das Phänomen war allseits bekannt. Bei diesen Schwärmen jedoch war es noch nicht da gewesenes, neu evolviertes Verhalten. Doch zu diesem Zeitpunkt war ich zu entsetzt, um die wahre Bedeutung zu erkennen. Jetzt, als ich in dem heißen Wagen saß, brachte es zwar nichts, Ricky die Schuld zu geben, aber ich hatte schreckliche Angst, und ich war müde, und ich konnte keinen klaren Gedanken fassen.

»Jack.« Mae stieß mich an der Schulter an und deutete auf Charleys Wagen.

Sie blickte grimmig.

Der Schwarm am Rücklicht von Charleys Wagen war jetzt ein schwarzer Strom, der sich hoch in die Luft bog und dann in der Nahtstelle zwischen dem roten Plastik und dem Metall verschwand.

Über das Headset sagte ich: »He, Charley ... Sie haben einen Weg gefunden.«

»Ja, ich seh's. Schöne Scheiße.«

Charley kroch auf den Rücksitz. Schon füllte sich das Wageninnere mit Partikeln, die einen grauen, rasch dunkler werdenden Nebel bildeten. Charley hustete. Ich konnte nicht sehen, was er tat, er war jetzt unterhalb des Fensters. Er hustete wieder.

»Charley?«

Er gab keine Antwort. Aber ich hörte ihn fluchen.

»Charley, mach, dass du da rauskommst.«

»Scheißviecher.«

Und dann folgte ein seltsames Geräusch, das ich zuerst nicht einordnen konnte. Ich blickte Mae an, die sich das Headset ans Ohr drückte. Es war ein seltsames, rhythmisches Schnarren. Mae sah mich fragend an.

»Charley?«

»Ich - sprüh die kleinen Scheißkerle ein. Mal sehen, was sie machen, wenn sie nass sind.«

Mae sagte: »Du versprühst die Isotope?«

Er antwortete nicht. Doch gleich darauf tauchte er wieder am Fenster auf, die Sprühflasche in der Hand, und sprühte in alle Richtungen. Flüssigkeit zog Querstreifen über die Scheibe und rann dann nach unten. Im Wagen wurde es zusehends dunkler, denn immer mehr Partikel drangen ein. Bald konnten wir Charley nicht mehr erkennen. Seine Hand tauchte aus der Schwärze auf, drückte gegen die Scheibe, verschwand dann wieder. Er hustete ununterbrochen. Ein trockenes Husten.

»Charley«, sagte ich. »Raus aus dem Wagen, und dann lauf.«

»Ach, Scheiße. Bringt doch nichts.«

Bobby Lembeck sagte: »Wind bei zehn Knoten. Los, ver-such's.«

Zehn Knoten war nicht genug, aber besser als gar nichts.

»Charley? Hörst du?«

Wir hörten seine Stimme aus dem schwarzen Wageninneren. »Ja, gut . Ich suche - finde den - verdammten Türgriff nicht, kann ihn nicht ertasten ... Wo ist der Scheißtürgriff in diesem ...« Er bekam einen Hustenanfall.

Über das Headset hörte ich Stimmen im Labor, alle sprachen schnell. Ricky sagte: »Er ist im Toyota. Wo ist im Toyota der Türgriff?«

Bobby Lembeck: »Keine Ahnung, ist nicht mein Wagen.«

»Wem gehört der Wagen? Vince?«

Vince: »Nein, nein. Dem Typen mit den schlechten Augen.«

»Dem Techniker. Dem Typ, der dauernd blinzelt.«

»David Brooks?«

»Ja, genau.«

Ricky sagte: »Leute? Wir glauben, es ist Davids Wagen.«