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Davon ausgehend, war es nur schwer zu begreifen, dass extrem dumme Wesen mit einem Gehirn kleiner als ein Nadel-kopf Bauprojekte verwirklichen konnten, die komplizierter waren als alles, was der Mensch je geschaffen hatte. Aber so war es.

Afrikanische Termiten waren da ein klassisches Beispiel. Diese Insekten bauten regelrechte Wohnburgen von dreißig Metern Durchmesser mit Türmen, die sechs Meter hoch in die Luft ragten. Um diese Leistung richtig zu würdigen, musste man sich nur vorstellen, dass diese Bauten, wenn Termiten so groß wie Menschen wären, Wolkenkratzer von einer Meile Höhe und fünf Meilen Durchmesser wären. Und wie ein Wolkenkratzer hatte der Termitenhügel eine ausgeklügelte Innenarchitektur, die für frische Luft sorgte, überschüssiges CO2 und Hitze abführte und so fort. Im Innern des Baus befanden sich Gärten, wo die Nahrung wuchs, Gemächer für das königliche Paar und Platz für sage und schreibe zwei Millionen Termiten. Kein Hügel war genau wie der andere; jeder wurde entsprechend den Bedingungen und Vorteilen der jeweiligen Umgebung gebaut.

Und das alles gelang ohne Architekt, ohne Vorarbeiter, ohne zentrale Autorität. Es war auch kein Konstruktionsplan in den Termitengenen einprogrammiert. Die gigantischen Schöpfungen waren stattdessen das Ergebnis von verhältnismäßig einfachen Regeln der Termiten im Umgang miteinander. (Regeln wie: »Wenn du riechst, dass eine Termite hier war, leg ein Sandkügelchen an die Stelle.«) Und dennoch war das Ergebnis unbestreitbar komplexer als jedes menschliche Werk.

Was wir jetzt vor Augen hatten, war das neue Werk eines neuen Geschöpfes, und wieder war der Entstehungsprozess schwer vorstellbar. Wie konnte ein Schwarm überhaupt einen Hügel errichten? Doch allmählich wurde mir klar, dass es hier draußen in der Wüste müßig war, diese Frage zu stellen. Die Schwärme veränderten sich schnell, fast von Minute zu Minute. Der natürliche menschliche Impuls, es begreifen zu wollen, war Zeitverschwendung. Hatte man es endlich begriffen, war schon wieder alles anders.

Bobby kam mit seinem ATV herangerumpelt und schaltete auch seinen Scheinwerfer aus. Wir standen zu dritt unter den Sternen. Bobby fragte: »Was machen wir jetzt?«

»Rosie folgen«, sagte ich.

»Sieht so aus, als würde Rosie gleich in dem Hügel da verschwinden«, sagte er. »Und du meinst, wir sollen ihr nach?«

»Ja«, antwortete ich.

Auf Maes Vorschlag hin gingen wir das letzte Stück zu Fuß. Mit den Rucksäcken auf dem Rücken brauchten wir fast zehn Minuten, bis wir in der Nähe des Hügels waren. Etwa fünfzehn Meter davor blieben wir stehen. Ein widerlicher Geruch hing in der Luft, nach Fäulnis oder Verwesung. Er war so stark, dass sich mir der Magen umdrehte. Außerdem schien aus dem Innern des Hügels ein schwaches, grünes Leuchten zu dringen.

Bobby flüsterte: »Und da wollt ihr wirklich rein?«

»Noch nicht«, flüsterte Mae. Sie deutete zur Seite. Rosies Leichnam bewegte sich an der Flanke des Hügels hoch. Als sie den Rand erreichte, zeigten ihre steifen Beine einen Augenblick lang in die Luft. Dann kippte ihr Körper nach unten, und sie fiel ins Innere. Doch bevor sie ganz verschwand, hielt sie inne; einige Sekunden ragte ihr Kopf über den Rand hinaus, der Arm ausgestreckt, als würde sie nach Luft greifen. Dann rutschte sie langsam tiefer und war nicht mehr zu sehen.

Bobby schauderte.

Mae flüsterte: »Okay. Gehen wir.«

Sie setzte sich auf ihre übliche geräuschlose Weise in Bewegung. Ich versuchte, ihr zu folgen, so leise ich konnte. Unter Bobbys Schritten knirschte und knisterte es. Mae blieb stehen und warf ihm einen strengen Blick zu.

Bobby hob die Hände, als wollte er sagen: Was soll ich machen?

Sie flüsterte: »Pass auf, wo du hintrittst.«

Er flüsterte: »Tu ich doch.«

»Tust du nicht.«

»Es ist dunkel, ich seh nichts.«

»Weil du dir keine Mühe gibst.«

Ich konnte mich nicht entsinnen, dass Mae ihrem Ärger schon einmal so deutlich Luft gemacht hätte, aber wir standen jetzt alle unter Anspannung. Und der Gestank war entsetzlich. Mae drehte sich um und ging geräuschlos weiter. Bobby folgte, machte aber genauso viel Lärm wie zuvor. Nach einigen Schritten drehte Mae sich wieder um, hob eine Hand und signalisierte ihm zu bleiben, wo er war.

Er schüttelte heftig den Kopf. Er wollte offenbar nicht allein zurückbleiben.

Sie packte seine Schulter, zeigte entschlossen auf den Boden und flüsterte: »Du wartest hier.«

»Nein .«

Sie flüsterte: »Deinetwegen gehen wir alle noch drauf.«

Er flüsterte: »Ich bin leise, versprochen.«

Sie schüttelte den Kopf, zeigte auf den Boden. Setz dich.

Schließlich setzte sich Bobby.

Mae blickte mich an. Ich nickte. Wir gingen die letzten Schritte weiter. Wir waren jetzt gut sechs Meter vom Hügel entfernt. Der Geruch war fast unerträglich. Mir wurde schlecht; ich hatte Angst, mich übergeben zu müssen. Und aus dieser Nähe hörten wir jetzt auch das tiefe Trommeln. Mehr als alles andere erweckte dieses Geräusch in mir das Verlangen, einfach wegzulaufen. Aber Mae ging weiter.

Geduckt kletterten wir den Hügel hoch, und als wir den Rand erreichten, legten wir uns flach auf den Bauch. Ich konnte Maes Gesicht in dem grünen Leuchten sehen, das aus dem Innern drang. Aus irgendeinem Grund störte mich der Gestank nicht mehr. Wahrscheinlich war es die Angst.

Mae griff in die Seitentasche ihres Rucksacks und holte eine daumengroße Kamera an einem dünnen, ausziehbaren Stab hervor. Sie förderte einen winzigen LCD-Bildschirm zu Tage und legte ihn zwischen uns auf den Boden. Dann schob sie den Stab über den Rand.

Auf dem Bildschirm sahen wir einen grünen Innenraum mit glatten, welligen Wänden. Nichts schien sich zu bewegen. Sie drehte die Kamera mal hierhin, mal dorthin. Nichts als grüne Wände. Keine Spur von Rosie.

Mae blickte mich an, deutete auf ihre Augen. Möchtest du einen Blick riskieren?

Ich nickte.

Wir robbten uns behutsam vor, bis wir über den Rand schauen konnten.

Es war ganz anders, als ich erwartet hatte.

Der Hügel verengte bloß eine bestehende Öffnung, die gewaltig war - mindestens sechs Meter breit -, und vom Rand aus führte eine Schräge nach unten zu einem Loch im Felsen rechts von uns. Das grüne Licht kam aus diesem klaffenden Loch.

Was ich da sah, war der Eingang zu einer sehr großen Höhle. Oben vom Rand aus konnten wir nicht in die eigentliche Höhle blicken, aber das trommelnde Geräusch ließ darauf schließen, dass dort irgendetwas im Gange war. Mae fuhr den Teleskopstab ganz aus und senkte die Kamera vorsichtig hinab in das Loch. Gleich darauf konnten wir weiter in die Höhle schauen. Es war zweifellos eine natürliche Höhle, und sie war groß: schätzungsweise zwei Meter fünfzig hoch und drei Meter breit. Die Felswände waren blassweiß, und es sah aus, als wären sie mit der gleichen milchigen Substanz überzogen, mit der auch Rosie bedeckt gewesen war.

Und Rosies Leiche lag nur ein kurzes Stück hinter der Öffnung. Ihre Hand ragte hinter einer Biegung in der Felswand hervor. Aber wir konnten nicht sehen, was jenseits der Biegung war.

Mae signalisierte mir: Sollen wir runter?

Ich nickte langsam. Die Vorstellung behagte mir ganz und gar nicht, schließlich hatte ich keine Ahnung, was uns hinter der Biegung erwartete. Aber wir hatten keine andere Wahl.

Sie deutete nach hinten zu Bobby. Soll er mitkommen?

Ich schüttelte den Kopf. Er würde uns nicht helfen können.

Sie nickte und schälte sich gerade langsam aus ihrem Rucksack, ohne das geringste Geräusch, als sie plötzlich verharrte. Regelrecht erstarrte: Sie bewegte nicht einen Muskel.