Выбрать главу

Ich blinzelte. »Wie lange guckst du dir das schon an?«

»Eine knappe Stunde.«

»Meine Güte.«

Als Nächstes sah ich einen Korridor. Ricky ging ihn hinunter. Energiestation. Außenaufnahme von oben, Julia, die in das Flutlicht trat. Ein Korridor. Julia und Ricky zusammen, sie umarmten sich, und dann ein Korridor, und .

»Moment«, sagte ich.

Mae drückte eine Taste. Sie sah mich an, sagte nichts. Sie drückte eine andere Taste, ließ die Bilder langsam vorlaufen. Sie stoppte bei der Kamera, die Ricky und Julia zeigte.

»Zehn Bilder.«

Die Bewegung war unscharf und ruckartig. Ricky und Julia gingen aufeinander zu. Sie umarmten sich. Die Unbefangenheit, Vertrautheit zwischen ihnen war deutlich zu spüren. Und dann küssten sie sich leidenschaftlich.

»Ach, Scheiße«, sagte ich und wandte mich vom Bildschirm ab. »Scheiße, Scheiße, Scheiße.«

»Tut mir Leid, Jack«, sagte Mae. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

Mir wurde kurz schwindelig, fast so, als würde ich gleich ohnmächtig. Ich setzte mich auf den Arbeitstisch, den Körper vom Bildschirm weggedreht. Ich konnte einfach nicht hinsehen. Ich holte tief Luft. Mae sagte noch etwas, aber ich hörte ihre Worte nicht. Ich holte wieder Luft. Ich fuhr mir mit einer Hand durchs Haar.

Ich sagte: »Hast du davon gewusst?«

»Nein. Bis vor ein paar Minuten hatte ich keine Ahnung.«

»Weiß es sonst jemand?«

»Nein. Wir haben manchmal drüber gewitzelt, dass sie was miteinander hätten, aber keiner von uns hat dran geglaubt.«

»Gott.« Ich fuhr mir wieder durchs Haar. »Sag mir die Wahrheit, Mae. Ich muss die Wahrheit wissen. Hast du davon gewusst oder nicht?«

»Nein, Jack. Hab ich nicht.«

Schweigen. Ich holte Luft. Ich versuchte, mir über meine Gefühle klar zu werden. »Weißt du, was komisch ist?«, sagte ich. »Komisch ist, dass ich schon eine Weile den Verdacht hatte. Ich meine, ich war mir ziemlich sicher, dass da irgendwas lief, ich wusste bloß nicht, mit wem . Ich meine . Ich hab es mir zwar gedacht, aber es ist trotzdem ein ganz schöner Schock.«

»Das kann ich mir vorstellen.«

»Auf Ricky wäre ich nie gekommen«, sagte ich. »Er ist so ein ... wie soll ich sagen ... schleimiger Typ. Und so eine große Nummer ist er auch nicht. Irgendwie hätte ich gedacht, sie sucht sich einen, der mehr Einfluss hat.« Während ich das sagte, musste ich an mein Gespräch mit Ellen nach dem Abendessen denken.

Weißt du so genau, was Julias Stil ist?

Das war, nachdem ich den Typen in ihrem Wagen gesehen hatte. Der Typ, dessen Gesicht ich nicht genau hatte erkennen können ...

Ellen: Das nennt man Verleugnung der Realität, Jack.

»Herrgott«, sagte ich kopfschüttelnd. Ich war zornig, beschämt, verwirrt, wütend. Es wechselte im Sekundentakt.

Mae wartete. Sie rührte sich nicht, und sie sagte nichts. Sie war völlig still. Schließlich fragte sie: »Willst du noch mehr sehen?«

»Gibt's denn noch mehr?«

»Ja.«

»Ich weiß nicht, ob ich, ähm . Nein, ich möchte nicht noch mehr sehen.«

»Wäre aber vielleicht besser.«

»Nein.«

»Ich meine, vielleicht fühlst du dich dann besser.«

»Ich glaube nicht«, sagte ich. »Ich glaube, das verkrafte ich nicht.«

Sie sagte: »Vielleicht ist es ja nicht so, wie du denkst, Jack. Es ist zumindest möglich, dass es nicht genau so ist, wie du denkst.«

Das nennt man Verleugnung der Realität, Jack.

»Tut mir Leid, Mae«, sagte ich. »Aber ich will mir nichts mehr vormachen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Ich weiß, was es bedeutet.«

Ich hatte geglaubt, ich würde für immer mit Julia zusammen sein. Ich hatte geglaubt, wir würden beide die Kinder lieben, wir wären eine Familie, hätten ein Haus, ein gemeinsames Leben. Und Ricky hatte selbst ein Baby zu Hause. Es war einfach verrückt. Es ergab für mich keinen Sinn. Aber andererseits laufen die Dinge nie so, wie man denkt.

Ich hörte Mae rasch auf der Tastatur tippen. Ich drehte mich um, sodass ich sie sehen konnte, aber nicht den Bildschirm. »Was machst du da?«

»Ich suche Charley. Vielleicht finde ich ja raus, was in den letzten paar Stunden mit ihm passiert ist.«

Sie tippte weiter. Ich holte Luft. Sie hatte Recht. Was immer da in meinem Privatleben im Gange war, es war schon ziemlich weit fortgeschritten. Dagegen konnte ich nichts tun, zumindest nicht jetzt.

»Okay«, sagte ich. »Suchen wir nach Charley.«

Es war verwirrend, die Bilder vorbeiblitzen zu sehen, die die Kameras in immer derselben Reihenfolge einblendeten. Ständig tauchten Personen auf und waren gleich wieder verschwunden. Ich sah Julia in der Küche. Danach sie und Ricky in der Küche. Die Kühlschranktür war auf, dann zu. Ich sah Vince in der Fertigungshalle, dann war er weg. Vince im Korridor, schwups war er nicht mehr da.

»Charley sehe ich nirgends.«

»Vielleicht schläft er noch«, sagte Mae.

»Kannst du in die Schlafzimmer gucken?«

»Ja, da sind Kameras angebracht, aber dann muss ich in eine andere Überwachungsschleife. Die Schlafzimmer gehören nicht in die normale Schleife.«

»Ist es aufwändig, die Überwachungsschleife zu wechseln?«

»Keine Ahnung. Das ist Rickys Ressort. Das System ist ziemlich kompliziert. Ricky ist der Einzige, der sich richtig damit auskennt. Aber vielleicht finden wir Charley ja doch noch in der regulären Schleife.«

Also warteten wir ab, ob er auf einem der Kamerabilder auftauchte. Gut zehn Minuten hielten wir nach ihm Ausschau. Hin und wieder musste ich den Blick von den Bildern abwenden, Mae dagegen schien es nichts auszumachen. Und plötzlich sahen wir Charley im Wohntrakt, er ging den Korridor hinunter und rieb sich die Augen. Er war gerade aufgewacht.

»Okay«, sagte Mae. »Wir haben ihn.«

»Wie spät war das?«

Sie fror das Bild ein, damit wir die Zeit ablesen konnten. Es war 0.10 Uhr.

Ich sagte: »Das ist nur etwa eine halbe Stunde, bevor wir zurückgekommen sind.«

»Ja.« Sie ließ die Bilder vorlaufen. Charley verschwand aus dem Flur, aber wir sahen ihn kurz, wie er gerade Richtung Bad ging. Dann erschienen Ricky und Julia in der Küche. Ich spürte, dass sich mein ganzer Körper verkrampfte. Aber sie unterhielten sich bloß. Dann stellte Julia den Champagner in den Kühlschrank, und Ricky reichte ihr Gläser, die sie neben die Flasche stellte.

Aufgrund der Bildfrequenz war schwer zu erkennen, was als Nächstes passierte. Zehn Videostandbilder pro Minute, das bedeutete, dass wir nur alle sechs Sekunden ein Bild hatten, schnelle Bewegungen waren also unscharf und ruckartig, weil zwischen den Einzelbildern zu viel passierte.

Aber ich nahm an, es war Folgendes geschehen:

Charley trat ein und unterhielt sich mit den beiden. Er lächelte gut gelaunt. Er deutete auf die Gläser. Julia und Ricky stellten die Gläser in den Kühlschrank, während sie mit ihm sprachen. Dann hob er eine Hand, um Julia aufzuhalten.

Er deutete auf das Glas, das Julia in der Hand hatte und gerade in den Kühlschrank stellen wollte. Er sagte etwas.

Julia schüttelte den Kopf und stellte das Glas in den Kühlschrank.

Charley wirkte verwirrt. Er deutete auf ein anderes Glas. Julia schüttelte den Kopf. Dann zog Charley die Schultern hoch und schob das Kinn vor, als ob er wütend würde. Er klopfte mehrmals mit dem Finger auf den Tisch, sagte irgendwas mit Nachdruck.

Ricky trat zwischen Julia und Charley. Er verhielt sich wie jemand, der einen Streit beenden will. Er hielt beschwichtigend die Hände vor Charley hoch: Reg dich ab.

Charley regte sich nicht ab. Er deutete auf die Spüle, in der sich schmutziges Geschirr türmte.