Mae seufzte. »Das funktioniert nicht, Jack«, sagte sie.
»Wieso nicht?«
»Weil die Anlage nicht haufenweise Viren produzieren wird.«
»Wieso nicht?«
»Wegen der Art und Weise, wie Viren sich vermehren. Du weißt doch - das Virus schwimmt herum, verbindet sich mit einer Zellwand und dringt in die Zelle ein. Dann übernimmt es die RNS der Zelle und wandelt sie um zur Erzeugung von noch mehr Viren. Die Zelle stellt ihre normalen Stoffwechselfunktionen ein und produziert nur noch Viren wie am Fließband. Es dauert nicht lange, und die Zelle ist voller Viren und platzt wie ein Ballon. Sämtliche Viren werden freigesetzt, sie schwimmen zu anderen Zellen, und das Ganze fängt von vorn an.«
»Ja . und?«
»Wenn du Phagen in die Produktionskette gibst, wird sich das Virus rasch vermehren - eine Weile. Doch es wird jede Menge Zellmembrane aufbrechen, und von diesen Membranen bleibt ein Brei aus Lipiden übrig, also aus Fetten. Der Brei wird die Zwischenfilter verstopfen. Nach ein bis zwei Stunden wird sich die Anlage überhitzen, und die Sicherheitssysteme schalten alles ab. Die ganze Produktion steht still. Keine Viren.«
»Lassen sich die Sicherheitssysteme nicht ausschalten?«
»Ja. Aber ich weiß nicht, wie.«
»Wer weiß das?«
»Nur Ricky.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das nützt uns auch nichts. Meinst du nicht, du kannst das rauskriegen ...«
»Es gibt einen Code«, sagte sie. »Und den kennt nur Ricky.«
»Oh.«
»Überhaupt, Jack, es wäre zu gefährlich, die Sicherheitssysteme abzuschalten. Die Anlage arbeitet teilweise mit hohen Temperaturen und mit Hochspannung. Und in den Armen werden jede Menge Ketone und Methan produziert. Das Methan wird ständig überwacht und abgezapft, damit es eine bestimmte Konzentration nicht übersteigt. Aber wenn es nicht abgezapft wird und durch die Hochspannung Funken entstehen .« Sie brach ab, zuckte die Achseln.
»Was heißt das? Dass sie explodieren könnte?«
»Nein, Jack. Ich will damit sagen, dass sie explodieren wird. Und zwar wenige Minuten, nachdem die Sicherheitssysteme abgeschaltet wurden. Sechs, höchstens acht Minuten danach. Und wenn das passiert, wärst du bestimmt nicht gerne dabei. Also kannst du von der Anlage nicht haufenweise Viren produzieren lassen. Sicherheitssysteme an oder aus, es geht einfach nicht.«?
Schweigen.
Ratlosigkeit.
Ich schaute mich im Raum um. Ich erblickte den Stahltank, der sich über meinem Kopf wölbte, und das Gestell mit Rea-genzröhrchen zu Maes Füßen. Ich blickte in die Ecke, wo ich einen Mopp, einen Eimer und einen Plastikkanister Wasser sah. Und ich sah Mae an, die noch immer den Tränen nah war, sich aber irgendwie zusammenriss.
Und ich hatte einen Plan.
»Schön. Tu's trotzdem. Gib das Virus in die Anlage.«
»Was soll das bringen?«
»Tu's einfach.«
»Jack«, sagte sie. »Warum machen wir das hier? Ich fürchte, sie wissen, dass wir es wissen. Wir können sie nicht täuschen. Sie sind zu clever. Wenn wir das machen, ist denen doch sofort klar, dass wir es waren.«
»Ja«, sagte ich. »Sehr wahrscheinlich.«
»Und es funktioniert ohnehin nicht. Die Anlage produziert keine Viren. Also wozu, Jack? Was soll das bringen?«
Mae hatte sich die ganze Zeit hindurch als verlässliche Freundin erwiesen, und jetzt hatte ich einen Plan, und ich würde ihn ihr nicht verraten. Das gefiel mir zwar nicht, aber ich musste die anderen irgendwie ablenken. Ich musste sie an der Nase herumführen. Und Mae sollte mir dabei helfen - was bedeutete, dass sie an einen anderen Plan glauben musste.
Ich sagte: »Mae, wir müssen sie ablenken, sie reinlegen. Ich möchte, dass du das Virus in die Produktionsanlage gibst. Sie sollen sich darauf konzentrieren. Sie sollen sich deswegen Sorgen machen. In der Zwischenzeit gehe ich mit dem Virus in den Wartungsbereich unter dem Dach und kippe es in den Sprinklertank.«
»Und dann löst du die Sprinkleranlage aus?«
»Ja.«
Sie nickte. »Und sie werden mit Viren durchtränkt. Alle in diesen Gebäuden. Bis auf die Haut durchtränkt.«
»Genau.«
Sie sagte: »Es könnte vielleicht sogar klappen, Jack.«
»Was Besseres fällt mir nicht ein«, sagte ich. »Also, öffne eins von den Ventilen, und dann zapfen wir ein paar Reagenz-röhrchen Viren ab. Und dann füllst du sie in den Plastikkanister da drüben.«
Sie zögerte. »Das Ventil ist auf der anderen Seite des Tanks. Die Überwachungskamera wird uns sehen.«
»Nicht schlimm«, sagte ich. »Lässt sich nun mal nicht ändern. Du musst nur ein bisschen Zeit für mich rausschlagen.« »Und wie soll ich das machen?«
Ich sagte es ihr. Sie verzog das Gesicht. »Du machst Witze! Das machen die nie!« »Natürlich nicht. Ich brauche bloß ein bisschen Zeit.«
Wir gingen um den Tank herum. Sie füllte die Reagenzgläschen. Die Flüssigkeit, die herauskam, war eine dicke, braune Brühe. Sie roch nach Fäkalien. Sie sah auch so aus. Mae sagte zu mir: »Ist das wirklich dein Ernst?« »Es muss sein«, sagte ich. »Wir haben keine andere Wahl.« »Du zuerst.«
Ich nahm das Reagenzröhrchen, holte tief Luft und schluckte den ganzen Inhalt. Es war widerlich. Mir hob sich der Magen. Ich dachte, ich müsse mich übergeben, aber es ging dann doch ohne. Ich holte noch einmal Luft, trank etwas Wasser aus dem Kanister und blickte Mae an. »Ekelhaft, was?«, sagte sie. »Ekelhaft.«
Sie nahm ein Röhrchen, hielt sich die Nase zu und trank. Ich wartete, dass ihr Hustenanfall sich wieder legte. Es gelang ihr, sich nicht zu erbrechen. Ich gab ihr den Kanister, sie trank und goss den Rest auf den Boden. Dann füllte sie ihn mit der braunen Brühe.
Als Letztes drehte sie den Griff eines großes Durchflussventils auf. »So«, sagte sie. »Jetzt läuft es in die Anlage.«
»Gut«, sagte ich. Ich nahm zwei Reagenzgläschen und steckte sie mir in die Hemdtasche. Ich nahm den Plastikkanister. Auf dem Etikett stand »Arrowhead Pure Water«. »Bis später.« Und ich lief los. Als ich den Flur entlangeilte, dachte ich, dass ich eine Chan-ce von eins zu hundert hatte. Vielleicht nur eine von eins zu tausend.
Aber eine Chance hatte ich.
Später sah ich mir die ganze Szene auf der Überwachungskamera an, daher wusste ich, was mit Mae passierte. Sie ging in die Küche, ihr Gestell mit braunen Reagenzröhrchen in der Hand. Die anderen waren alle da und aßen. Julia warf ihr einen frostigen Blick zu. Vince achtete nicht auf sie. Ricky sagte: »Was hast du denn da, Mae?«
»Phagen«, erwiderte sie.
»Wozu?«
Jetzt blickte Julia auf. Mae sagte: »Die hab ich aus dem Fermentationstank.«
»Igitt, deshalb stinkt das so.«
»Jack hat gerade eins ausgetrunken. Ich musste auch eins trinken.«
Ricky schnaubte: »Wozu denn das? Himmel, und du hast nicht gekotzt?«
»Beinahe. Jack will, dass ihr alle auch eins trinkt.«
Bobby lachte. »Ach ja? Warum das?«
»Um sicherzustellen, dass keiner von euch infiziert ist.«
Ricky runzelte die Stirn. »Infiziert? Was meinst du mit infiziert?«
»Jack sagt, dass Charley den Schwarm in seinem Körper hatte, ihr daher möglicherweise auch. Oder der eine oder andere von euch. Wenn ihr das Virus hier trinkt, tötet es die Bakterien in euch und damit auch den Schwarm.«
Bobby sagte: »Ist das dein Ernst? Wir sollen die Brühe da trinken? Nie im Leben, Mae!«
Sie wandte sich an Vince.
»Riecht wie Scheiße«, sagte Vince. »Jemand anders soll anfangen.«
Mae sagte: »Ricky? Willst du anfangen?«
Ricky schüttelte den Kopf. »Ich trink das Zeug nicht. Wieso sollte ich?«
»Na, erstens, damit du beruhigt sein kannst, dass du nicht infiziert bist. Und zweitens, damit wir das auch sein können.«