Zuerst kommt ein Mann in einem silbernen, antimagnetischen Schutzanzug, und er sieht richtig gespenstisch aus. Durch die versilberte Maske wirkt er gesichtslos. Er überprüft zunächst die Umgebung. Dann folgen vier andere Männer in Overalls mit Staubsaugern und machen alles sauber. Ich hab Eric gesagt, er habe das nur geträumt, aber es war kein Traum. Der Trupp hatte einen Sensorwürfel zurückgelassen, unter Amandas Bett, für den Fall, dass noch nicht alle Gammas beseitigt waren. Das Gerät war gar kein Überspannungsschutz; es sollte nur so aussehen.
Sobald ich mir das alles zusammengereimt hatte, war ich wütend auf Julia, weil sie mir nicht erzählt hatte, was los war. Und ich mir deshalb so große Sorgen gemacht hatte. Aber natürlich war sie da schon krank gewesen. Und deshalb kann ich ihr auch nicht wirklich böse sein.
Erics MP3-Player war von Gamma-Assemblern zerstört worden, genau wie die Autos in der Wüste. Und auch der Kernspintomograf. Aus irgendeinem Grund zerstörten die Gamma-Assembler Speicherchips und ließen Zentralprozessoren in Ruhe. Warum, hat mir bisher noch keiner erklären können.
An dem Abend, als Julia den Unfall hatte, war ein Schwarm in ihrem Kabrio. Sie hatte ihn aus der Wüste mitgebracht, ob mit Absicht oder nicht, kann ich nicht sagen. Der Schwarm konnte sich ganz klein machen, weshalb Eric auch nichts sehen konnte, als er draußen nachschauen ging. Und ich war mir ja auch nicht sicher gewesen, ob da etwas war, als Julia mit ihrem Wagen in der Einfahrt zurücksetzte, kein Wunder. Der Schwarm fing vermutlich das Licht auf seltsame Weise ein. In meiner Erinnerung sah er ein bisschen wie Ricky aus, aber wahrscheinlich konnte der Schwarm das Äußere eines Menschen zu dem Zeitpunkt noch gar nicht annehmen. So weit entwickelt war er da noch gar nicht. Es kann auch sein, dass ich nur eine undeutliche Gestalt erkannt hatte, die ich in meiner Eifersucht für eine Person hielt. Ich glaube nicht, dass ich mir etwas zusammenfantasiert hatte, aber vielleicht doch. Ellen hält das für möglich.
Nach ihrem Unfall verständigte Julia den Reinigungstrupp. Deshalb stand der Van auch am späten Abend auf der Straße. Der Trupp wollte warten, bis alle weg waren, um dann unten an der Unfallstelle alles sauber zu machen. Ich weiß nicht, weshalb Julia von der Straße abgekommen war, ob der Schwarm damit zu tun hatte oder ob es bloß ein Unfall war. Es ist niemand mehr da, den ich fragen könnte.
Die Gebäude in der Wüste wurden restlos zerstört. Die Menge Methan in der Produktionshalle war so groß, dass der Feuerball eine Temperatur von weit über tausend Grad hatte. Mit Sicherheit sind alle biologischen Materialien verbrannt. Aber ich mache mir dennoch Sorgen. In den Trümmern wurden keine Leichen gefunden, nicht einmal Skelette.
Mae hat den Bakteriophagen zu ihrem alten Labor in Palo Alto gebracht. Ich hoffe, sie konnte den Mitarbeitern dort klarmachen, wie bedrohlich die Lage ist. Wie sie reagieren, darüber hält sie sich ziemlich bedeckt. Ich finde, der Phage sollte ins öffentliche Trinkwasser gemischt werden, aber Mae meint, das Chlor würde ihn wieder beseitigen. Massenimpfungen wären auch eine Möglichkeit. Soweit wir wissen, tötet der Phage die Schwärme.
Manchmal habe ich ein Klingeln in den Ohren, das ist ein Besorgnis erregendes Zeichen. Und in Brust und Bauch spüre ich ein Vibrieren. Ich weiß nicht, ob ich nur paranoid bin oder ob tatsächlich irgendetwas mit mir nicht stimmt. Ich bemühe mich, vor den Kindern tapfer zu bleiben, aber Kinder lassen sich nun mal nichts vormachen. Sie wissen, dass ich Angst habe.
Fast bis zuletzt blieb ungeklärt, warum die Schwärme immer wieder zu der Anlage zurückkamen. Darauf konnte ich mir einfach keinen Reim machen. Es beschäftigte mich, weil das Ziel so wenig einleuchtete. Es stimmte nicht mit den predprey-Formulierungen überein. Warum sollte ein Räuber ständig zu einem bestimmten Ort zurückkehren?
Rückblickend betrachtet, gab es dafür natürlich nur eine mögliche Antwort. Die Schwärme waren absichtlich so programmiert worden, dass sie immer zurückkehrten. Die Programmierer selbst hatten das Ziel ausdrücklich so festgelegt.
Aber warum sollte jemand so ein Ziel vorgeben?
Das wurde mir erst vor ein paar Stunden klar.
Der Code, den Ricky mir gezeigt hatte, war nicht der Code, der tatsächlich für die Partikel verwendet worden war. Er konnte mir den richtigen Code gar nicht zeigen, weil ich sofort gemerkt hätte, was sie getan hatten. Ricky hatte es mir nicht erzählt. Keiner hatte es mir erzählt.
Ein großer Schock für mich war eine E-Mail, die ich heute auf Julias Festplatte entdeckt habe. Sie hatte sie an Ricky Morse geschrieben, mit einer Kopie an Larry Handler, den Chef von Xymos, und sie beschreibt darin das Verfahren, wie der Kameraschwarm dazu gebracht werden könnte, bei heftigem Wind zu funktionieren. Laut Plan sollte ein Schwarm absichtlich nach draußen entlassen werden.
Und genau das haben sie getan.
Sie behaupteten, es sei versehentlich passiert, aufgrund fehlender Luftfilter. Deshalb hatte Ricky auch mit mir diese ausführliche Besichtigungstour durchs Werk unternommen und mir das Märchen von der Wartungsfirma und der Entlüftungsanlage aufgetischt. Aber nichts davon war wahr. Die Freilassung des Schwarms war Absicht gewesen.
Sie war von Anfang an geplant gewesen.
Als sie merkten, dass der Schwarm bei starkem Wind nicht funktionierte, suchten sie erfolglos nach einer Lösung. Die Partikel waren einfach zu klein und zu leicht - und auch zu dumm. Sie hatten von Anfang an Designfehler, die nicht zu beheben waren. Das ganze Multimillionen-Dollar-Projekt fürs Militär drohte zu scheitern, und es war einfach keine Lösung in Sicht.
Deshalb beschlossen sie, den Schwarm dazu zu bringen, selbst eine Lösung zu finden.
Sie rekonfigurierten die Nanopartikel und versahen sie mit Sonnenenergie und Speicherkapazität. Sie schrieben das Partikelprogramm neu, um einen genetischen Algorithmus hinzuzufügen. Und sie ließen die Partikel frei, damit sie sich vermehren und entwickeln konnten und um zu sehen, ob sie allein überlebensfähig waren.
Und sie hatten Erfolg.
Es war so dumm, dass einem die Luft wegblieb. Ich begreife einfach nicht, wie man so etwas aushecken konnte, ohne sich die Folgen klarzumachen. Wie alles, was ich bei Xymos gesehen habe, war es ein schlampiger, unausgegorener Plan, hektisch zusammengeschustert, um aktuelle Probleme zu lösen, ohne einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden. So etwas kommt wahrscheinlich häufiger vor, wenn eine Firma auf dem Spiel steht, doch bei Technologien wie dieser war es unverantwortlich.
Aber natürlich ist die eigentliche Wahrheit noch komplizierter. Die Technologie selbst lädt praktisch zu diesem Verhalten ein. Verteilte-Agenten-Systeme laufen von selbst. So funktionieren sie nun mal. Das war ja gerade der Sinn der Sache: Man installiert sie und lässt sie arbeiten. Man gewöhnt sich an diese Methode. Man gewöhnt sich daran, Agentennetzwerke so zu behandeln. Autonomie ist der springende Punkt.
Aber es ist eine Sache, eine Population virtueller Agenten innerhalb eines Computerspeichers freizulassen, um ein Problem zu lösen. Es ist jedoch eine andere, dies mit realen Agenten in der wirklichen Welt zu tun.
Den Unterschied hatten sie einfach nicht gesehen. Oder nicht sehen wollen.
Und so ließen sie den Schwarm frei.
Der Fachbegriff dafür lautet »Selbstoptimierung«. Der Schwarm entwickelt sich von allein weiter, die weniger erfolgreichen Agenten sterben ab, und die erfolgreicheren bringen die nächste Generation hervor. Nach zehn oder hundert Generationen findet der Schwarm die beste Lösung. Die optimale Lösung.
Dergleichen geschieht ständig innerhalb eines Computers. Es wird sogar zur Entwicklung neuer Computeralgorithmen angewendet. Danny Hillis versuchte vor Jahren als einer der Ersten auf diesem Wege, einen Sortieralgorithmus zu optimieren. Er wollte herausfinden, ob der Computer selbst ausknobeln konnte, wie er besser arbeitete. Das Programm fand eine neue Methode. Schon bald folgten andere Hillis' Beispiel.