»Niemand wusste von unseren Plänen.«
»Es ist unmöglich, so etwas geheim zu halten. Jedenfalls in den Sphären, in denen wir uns bewegen. Einer der Generäle könnte seinem alten Freund einen Tipp gegeben haben. Dann hätte er mit einem Schlag drei von uns aus dem Weg geräumt und gleichzeitig erreicht, dass wir uns gegenseitig nicht mehr über den Weg trauen.«
Akkarat denkt nach. Anderson wartete mit angehaltenem Atem.
Dann schüttelt Akkarat den Kopf. »Nein. Pracha würde niemals das Königshaus angreifen. Er mag ein Halunke sein, aber er ist immer noch ein Thai.«
»Aber ich stecke auch nicht dahinter!« Er wirft einen Blick auf Carlyle. »Wir haben nichts damit zu tun! Es muss eine andere Erklärung geben.« Ein panisches Husten schüttelt ihn und wächst sich zu einem unkontrollierbaren Hustenanfall aus. Es dauert lange, bis es nachlässt. Ihm tun die Rippen weh. Während er Blut spuckt, fragt er sich, ob durch die harten Schläge vielleicht einer der Lungenflügel perforiert wurde.
Dann blickt er zu Akkarat auf und versucht, seine Worte sorgsam zu wählen. Von ihnen hängt alles ab. Er muss vernünftig klingen. »Es muss doch einen Weg geben herauszufinden, was wirklich mit dem Somdet Chaopraya geschehen ist. Irgendeine Verbindung. Da muss etwas sein.«
Einer der Panther lehnt sich zu Akkarat vor und flüstert ihm etwas ins Ohr. Anderson glaubt den Mann wiederzuerkennen. Er war damals mit auf dem Prahm. Einer der Männer des Somdet Chaopraya. Ein brutaler Kerl mit Raubtiervisage und leeren Augen. Er flüstert immer noch. Akkarat nickt einmal kurz. »Khap.« Dann bedeutet er seinen Männern, Anderson und Carlyle in den Nebenraum zu schaffen.
»In Ordnung, Khun Anderson. Wir werden sehen, was wir herausfinden können.« Sie stoßen ihn neben Carlyle zu Boden. »Fühlen Sie sich ganz wie zu Hause«, sagt Akkarat. »Ich habe meinen Männern zwölf Stunden Zeit gegeben, um Nachforschungen anzustellen. Beten Sie am besten zu Ihrem grahamitischen Gott, dass Ihre Version der Geschichte sich bestätigt.«
Anderson schöpft Hoffnung. »Versuchen Sie, so viel wie möglich herauszufinden. Sie werden feststellen, dass wir nichts damit zu tun haben. Sie werden schon sehen.« Er saugt an der aufgeplatzten Lippe. »Dieses Aufziehmädchen ist nichts weiter als ein japanisches Spielzeug. Für all das ist irgendjemand anderes verantwortlich. Die Weißhemden versuchen wahrscheinlich, uns gegeneinander aufzuhetzen. Die Chancen stehen zehn zu eins, dass es sich um einen Schachzug der Weißhemden handelt, der uns schaden soll.«
»Wir werden sehen.«
Anderson lässt den Kopf gegen die Wand sinken, doch innerlich ist er von einer nervösen Energie und jeder Menge Adrenalin erfüllt. Ein pochender Schmerz strahlt von seiner Hand aus. Der unbrauchbar gewordene gebrochene Finger baumelt an ihr herab. Zeit. Er hat sich etwas Zeit verschaffen können. Jetzt heißt es abwarten. Und vielleicht einen weiteren seidenen Faden finden, der das Weiterleben sichert. Wieder muss er husten, und der heftige Schmerz in den Rippen lässt ihn zusammenzucken.
Neben ihm entfährt Carlyle ein Stöhnen, doch er ist immer noch bewusstlos. Anderson hustet erneut und fixiert die Wand, während er sich innerlich für einen weiteren Schlagabtausch mit Akkarat rüstet. Doch als er die Angelegenheit aus sämtlichen Perspektiven betrachtet und zu begreifen versucht, wie sich die Umstände so unglaublich schnell verändern konnten, drängt sich ein anderes Bild in sein Bewusstsein. Wie das Aufziehmädchen auf den Balkon zurannte und in die Dunkelheit abtauchte, schneller als alles, was er je zuvor gesehen hat. Eine geisterhafte Verkörperung von Bewegungskraft und wilder Anmut. Schnell und geschmeidig. Und in ihrer Geschwindigkeit geradezu beängstigend schön.
32
Kanya ist von Rauchschwaden eingeschlossen. Vier weitere Leichenfunde, zusätzlich zu denen, die bereits in den Krankenhäusern registriert wurden. Die Seuche mutiert schneller, als sie erwartet hatte. Auch wenn Gi Bu Sen das angedeutet hatte, löst doch erst die gestiegene Zahl der Toten eine böse Vorahnung in ihr aus.
Pai umrundet einen Fischteich. Sie haben große Säcke voll Lauge und Chlor hineingeschüttet. Der Geruch von Säure weht über sie alle hinweg, und sie muss husten. Der Gestank der Angst.
Sie denkt an andere Teiche zurück, die auf diese Weise befüllt wurden, an andere Menschen, die sich zusammenkauerten, während die Weißhemden ihr Dorf einnahmen und alles, alles, einfach alles in Brand setzten. Sie schließt die Augen. Wie sehr sie die Weißhemden damals gehasst hat. Der dortige Jao Por hielt sie für intelligent und ehrgeizig genug, um sie in die Hauptstadt zu schicken, damit sie sich dort freiwillig bei den Weißhemden melden und sich bei ihnen einschmeicheln würde. Ein Dorfpate, der sich mit den Feinden der Weißhemden verbündet hatte, um sich für den Verlust seiner Vormachtstellung zu rächen.
Dutzende andere Kinder zogen ebenfalls gen Süden, um vor den Toren des Ministeriums um Arbeit zu betteln, und sie alle hatten die gleichen Anweisungen erhalten. Von all diesen Kindern war sie die Einzige, die so weit aufsteigen konnte, doch es gibt noch andere wie sie, das ganze Ministerium ist mit ihnen durchsetzt. Andere loyale, verbitterte Kinder.
»Ich vergebe dir«, hört sie Jaidee leise murmeln.
Kanya schüttelt den Kopf und schenkt ihm keine Beachtung. Sie winkt Pai zu, um ihm zu signalisieren, dass die Teiche jetzt endgültig zugeschüttet werden können. Mit etwas Glück wird dieses Dorf vollkommen von der Bildfläche verschwinden. Ihre Männer arbeiten so schnell wie möglich, sie wollen schleunigst wieder von hier verschwinden. Die Masken und Schutzanzüge sind in der brütenden Hitze eher eine Qual denn ein Schutz.
Immer mehr beißende Rauchschwaden wallen auf. Die Dorfbewohner weinen. Dieses Mädchen, Mai, starrt Kanya unverwandt an. Für das Kind ist das ein prägender Moment. Diese Erinnerung wird sich wie eine Fischgräte in ihr festsetzen — sie wird sie niemals abschütteln können.
Kanya kann es ihr nachfühlen. Wenn du doch nur begreifen könntest. Aber sie ist noch viel zu klein, um die Grausamkeit des Lebens erfassen zu können.
Wenn ich doch nur hätte verstehen können.
»Hauptmann Kanya!«
Sie dreht sich um. Ein Mann kommt auf sie zu, stolpert durch den Schlamm der Reisfelder, über Eindeichungen und kostbare Reisschösslinge hinweg. Interessiert blickt auch Pai zu ihm hinüber, doch Kanya scheucht ihn fort. Atemlos kommt der Bote vor ihr zum Stehen. »Buddha lächelt auf Sie und das Ministerium herab.« Erwartungsvolle Stille.
»Sofort?« Kanya starrt ihn an. Blickt zu dem brennenden Dorf zurück. »Ihr benötigt mich jetzt gleich?«
Der Junge blickt nervös umher — mit dieser Reaktion hat er nicht gerechnet. Ungeduldig fährt Kanya mit der Hand durch die Luft. »Sag es noch einmal. Wirklich jetzt?«
»Buddha lächelt auf Sie herab. Und auf das Ministerium. Alle Wege entspringen dem Herzen von Krung Thep. Alle Wege.«
Kanya verzieht das Gesicht und winkt ihren Leutnant herbei. »Pai! Ich muss los.«
»Jetzt?« Nur mit Mühe gelingt es ihm, sein Erstaunen zu verbergen.
Kanya nickt. »Es ist unumgänglich.« Sie deutet auf die feuerroten Bambushütten. »Bringen Sie das hier zu Ende.«
»Was ist mit den Dorfbewohnern?«
»Bindet sie fest. Schickt ihnen Essen. Wenn sich innerhalb einer Woche kein weiterer Krankheitsfall entwickelt, haben wir es möglicherweise überstanden.«
»Meinen Sie wirklich, wir könnten so viel Glück haben?«
Kanya zwingt sich zu einem Lächeln. Wie unnatürlich es sich anfühlt, jemanden mit Pais Erfahrung beruhigen zu müssen! »Wir können zumindest hoffen.« Sie winkt den Jungen heran. »Also dann, bring mich hin.« Sie wirft einen Blick auf Pai. »Sobald Sie hier fertig sind, treffen wir uns im Ministerium. Wir müssen noch einen weiteren Ort in Brand setzen.«