Yashimoto nickt. »Was möchten Sie wissen?« Er lächelt und zeigt auf das Mädchen, das neben ihnen kniet. Ihre Haut ist glatt, ihre Bewegungen sind überraschend geschmeidig. Und trotzdem bekommt Kanya bei ihrem Anblick eine Gänsehaut. »Ich möchte wissen, wozu Sie sie brauchen.«
Yashimoto zuckt mit den Achseln. »Wir sind eine Nation von alten Menschen. Es gibt nur wenig Nachwuchs. Brave Mädchen wie Hiroko füllen diese Lücke. Wir sind nicht so wie die Thai. Wir haben Kalorien, aber niemanden, der die Arbeit macht. Wir brauchen Assistenten. Arbeiter.«
Kanya achtet sorgsam darauf, sich ihre Abscheu nicht anmerken zu lassen. »Ja. Ihr Japaner unterscheidet euch stark von uns. Und Ihr Land ist auch das einzige, dem wir diese Nischen …«
»Dieses Verbrechen«, ergänzt Jaidee.
»… eingeräumt haben«, beendet sie den Satz. »Niemand sonst darf derartige Kreaturen in unser Land bringen.« Widerstrebend nickt sie in Richtung ihrer Dolmetscherin und bemüht sich, den missbilligenden Tonfall aus ihrer Stimme zu verbannen. »Kein anderes Land. Keine andere Fabrik.«
»Wir sind uns dieses Privilegs durchaus bewusst.«
»Und dennoch haben Sie es ausgenutzt, indem Sie eine militärische Aufzieheinheit …«
Hirokos Worte schneiden ihr den Satz ab, obwohl Kanya noch weiterspricht. Doch Hiroko hat bereits die hitzige Antwort ihres Besitzers auf den Lippen.
»Nein! Das ist unmöglich. Wir haben mit dieser Art von Technologie nichts zu tun. Nicht das Geringste!«
Yashimoto ist plötzlich ganz rot im Gesicht, und Kanya wundert sich über diesen plötzlichen Wutausbruch. Was für eine kulturell bedingte Beleidigung mag sie unwissentlich geäußert haben? Das Aufziehmädchen fährt, ohne selbst die geringste Gefühlsregung zu zeigen, mit der Übersetzung fort. »Wir arbeiten mit Neuen Japanern, so wie Hiroko. Sie ist uns treu ergeben, zuvorkommend und gut ausgebildet. Ein notwendiges Werkzeug. Genau wie die Hacke für den Bauern oder das Schwert für den Samurai.«
»Eigenartig, dass Sie ein Schwert erwähnen.«
»Hiroko ist keine Kampfmaschine. Eine derartige Technologie besitzen wir überhaupt nicht.«
Kanya greift in die Tasche und knallt das Bild der Aufzieh-Mörderin vor ihm auf den Tisch. »Und doch hat eine von ihnen, von Ihrer Firma importiert und auf einen Ihrer Mitarbeiter zugelassen, den Somdet Chaopraya sowie acht weitere Männer getötet, bevor sie sich wie ein rasender Rache-Phii in Luft aufgelöst hat. Und Sie sitzen hier und behaupten, es sei unmöglich, dass sich eine Aufziehsöldnerin in unserem Land befindet!« Während sie immer lauter wird, gewinnt die Übersetzung des Aufziehmädchens gleichermaßen an Heftigkeit.
Yashimotos Miene bleibt unbewegt. Er nimmt das Bild und betrachtet es eingehend. »Wir werden in unseren Aufzeichnungen nachsehen müssen.«
Er nickt Hiroko zu. Sie nimmt das Foto an sich und geht hinaus. Kanya sucht Yashimotos Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen von Besorgnis oder Nervosität ab, findet jedoch nichts. Er wirkt gereizt, mehr nicht. Nicht im Geringsten ängstlich. Sie bedauert, dass sie sich nicht direkt mit ihm unterhalten kann. Dem Nachhall ihrer eigenen Worten auf Japanisch zuzuhören, hat sie auf den Gedanken gebracht, ob in der Übersetzung des Aufziehmädchens nicht vielleicht jegliches Überraschungsmoment verlorengeht. Und ob Hiroko den Schock eventuell abmildert.
Sie warten. Stumm bietet er ihr mehr Tee an. Sie lehnt ab. Er selbst trinkt ebenfalls nichts mehr. Die Spannung im Raum ist so stark, dass sie halb befürchtet, er werde gleich aufspringen und sie mit dem altertümlichen Schwert, das hinter ihm an der Wand hängt, massakrieren.
Einige Minuten später kehrt Hiroko zurück. Mit einer Verbeugung gibt sie Kanya das Foto zurück. Dann spricht sie mit Yashimoto. Keiner von beiden zeigt irgendeine Regung. Hiroko kniet sich wieder neben sie. Yashimoto deutet mit dem Kopf auf das Foto. »Sind Sie sicher, dass sie die Täterin ist?«
Kanya nickt. »Ohne Zweifel.«
»Dieser Anschlag erklärt auch die Wut, die sich unter der Bevölkerung ausbreitet. Vor der Fabrik hatten sich viele Menschen versammelt. Bootsleute. Die Polizei hat sie verjagt, aber sie trugen Fackeln bei sich.«
Kanya unterdrückt ihre Nervosität angesichts dieses um sich greifenden Wahnsinns. Alles geschieht viel zu schnell. Irgendwann wird der Punkt erreicht sein, an dem weder Akkarat noch Pracha zurückweichen können, ohne dabei ihr Gesicht zu verlieren, und dann ist alles vorbei. »Das Volk ist wütend«, stellt sie fest.
»Dieser Zorn ist fehlgeleitet. Das ist keine Militäreinheit.« Kanya starrt ihn herausfordernd an, doch er hält ihrem Blick stand, und so gibt sie schließlich nach. »Mishimoto weiß nicht das Geringste über Aufziehsoldaten. Rein gar nichts. Diese Kreaturen stehen unter strenger Aufsicht. Allein das Verteidigungsministerium unseres Landes darf sie einsetzen. Mir wäre es unmöglich, eine zu erwerben.« Er sieht ihr direkt in die Augen. » Völlig unmöglich.«
»Und doch …«
Er spricht weiter, und Hiroko übersetzt. »Aber ich kenne das Aufziehmädchen, das Sie beschreiben. Sie hatte ihre Pflicht erfüllt …«
Obwohl der alte Mann weiterspricht, hält die Aufziehdolmetscherin plötzlich inne. Sie richtet sich auf, und ihr Blick schweift zu Yashimoto. Dieser Verstoß gegen die Anstandsregeln lässt ihn die Stirn runzeln. Er sagt etwas zu ihr. Sie senkt den Kopf. »Hai.«
Eine weitere Pause.
Er bedeutet ihr fortzufahren. Sie hat sich inzwischen wieder gefangen und übersetzt seine Ausführungen zu Ende. »Sie wurde den Richtlinien entsprechend vernichtet, anstatt in die Heimat zurück überführt zu werden.« Die dunklen Augen des Aufziehmädchens sind jetzt wieder direkt auf Kanya gerichtet, und in ihnen lässt sich keinerlei Gefühlsausdruck erkennen; nichts verrät die Überraschung, die sie noch einen Moment zuvor gezeigt hat.
Kanya betrachtet erst das Mädchen, dann den alten Mann — zwei ihr völlig fremde Wesen. »Und doch hat sie allem Anschein nach irgendwie überlebt«, gibt sie schließlich zu bedenken.
»Ich war damals noch nicht im Management«, sagt Yashimoto. »Ich kann Ihnen nur sagen, was in unseren Datenspeichern zu finden ist.«
»Diese Aufzeichnungen entsprechen offenbar nicht der Wahrheit.«
»Das stimmt. Und dafür gibt es keine Entschuldigung. Ich bin beschämt über das, was geschehen ist, doch mehr kann ich dazu nicht sagen.«
Kanya beugt sich vor. »Wenn Sie mir nicht sagen können, wie es möglich ist, dass sie überlebt hat, dann verraten Sie mir doch bitte wenigstens, wie dieses Mädchen, das innerhalb kürzester Zeit so viele Männer zur Strecke gebracht hat, überhaupt in unser Land gelangen konnte. Sie behaupten, sie sei keine Soldatin, aber um ganz ehrlich zu sein, es fällt mir schwer, das zu glauben. Es handelt sich hier um einen schweren Verstoß gegen die Vereinbarungen zwischen unseren beiden Staaten.«
Vollkommen unerwartet sieht sie, wie sich Lachfältchen um die Augen des Mannes bilden. Er greift zu seiner Teeschale und nimmt einen Schluck, ganz so, als wäge er die Frage ab, doch der Schalk will nicht aus seinen Augen verschwinden. »Diese Frage kann ich Ihnen beantworten.«
Ohne Vorwarnung wirft er die Schale in Hirokos Richtung. Kanya schreit auf. Die Hand des Aufziehmädchens vollführt eine verschwommene Bewegung. Die Teeschale klatscht in ihre Handfläche. Das Mädchen starrt die Teeschale mit offenem Mund an — allem Anschein nach ist sie ebenso perplex wie Kanya.
Der Japaner ordnet die Falten seines Kimonos. »Alle Neuen Japaner sind schnell. Ihre Frage war falsch formuliert. Wie sie ihre angeborenen Fähigkeiten nutzen, ist eine Frage der Ausbildung, nicht der physischen Voraussetzungen. Hiroko wurde von Geburt an darauf trainiert, sich schicklich zu benehmen und sich in einem angemessenen Tempo zu bewegen.«
Er deutet auf ihre Haut. »Für diesen Porzellanteint wurden verkleinerte Poren entwickelt, doch das bedeutet auch, dass sie schnell überhitzt. Ein Aufziehsoldat würde nicht überhitzen, da diese Wesen dafür konstruiert wurden, große Mengen von Energie aufzuwenden, ohne darunter zu leiden. Die arme Hiroko hingegen müsste sterben, wenn sie sich über längere Zeit hinweg solchen Anstrengungen aussetzen würde. Die Schnelligkeit jedoch liegt allen Aufziehmenschen in den Genen.« Er schlägt wieder einen ernsthafteren Ton an. »Es ist allerdings äußerst verwunderlich, dass sich eine von ihnen ihrer Konditionierung dermaßen widersetzt hat. Das sind schlechte Nachrichten. Die Neuen Menschen dienen uns. Das hätte nicht passieren dürfen.«