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Dann, plötzlich, sagt Hiroko: »Sie wird sich einen neuen Patron suchen.«

Kanya dreht sich überrascht um. »Was meinst du damit?«

»Sie hat ihren japanischen Besitzer verloren. Und jetzt auch noch den Mann, der den Nachtclub geleitet hat, in dem sie gearbeitet hat.«

»Sie hat ihn umgebracht.«

Hiroko zuckt mit den Achseln. »Das spielt keine Rolle. Sie hat ihren Herrn verloren. Sie muss einen neuen finden.«

»Woher willst du das wissen?«

Hiroko betrachtet sie mit kaltem Blick. »Das liegt uns in den Genen. Wir streben nach Gehorsam. Danach, dass uns jemand Anweisungen gibt. Für uns ist das unbedingt notwendig. So wie ein Fisch das Wasser braucht. Es ist das Wasser, in dem wir schwimmen. Yashimoto-sama hat das richtig ausgedrückt. Wir sind japanischer als die Japaner. Wir müssen uns in eine Hierarchie einordnen, um zu dienen. Sie muss einen Meister finden.«

»Vielleicht ist sie da anders? Und was geschieht, wenn sie es nicht tut?«

»Das wird sie. Sie hat gar keine andere Wahl.«

»So wie du.«

Hirokos Blick richtet sich wieder auf Kanya. »So ist es.«

Liegt da ein wütendes, verzweifeltes Flackern in diesen Augen? Oder bildet Kanya sich das nur ein, weil sie glaubt, dass so etwas tief im Innern dieses menschenähnlichen Dings schlummern müsste, das doch nicht menschlich ist und niemals menschlich sein wird? Ein hübsches Rätsel. Kanya wendet ihre Aufmerksamkeit wieder dem Wasser und der kurz bevorstehenden Ankunft zu. Sie sucht die Wellen nach anderen Booten ab, mit denen sie um den wenigen Platz kämpfen muss. Zieht plötzlich die Stirn kraus. »Solche Lastkähne habe ich noch nie gesehen.«

Hiroko blickt auf. »Werden die Gewässer so scharf überwacht? «

Kanya schüttelt den Kopf. »Mein erstes Einsatzgebiet war der Hafen. Um Razzien zu begleiten. Importware zu kontrollieren. Gutes Geld.« Sie beobachtet die Kähne. »Diese Schiffe sind für besonders schwere Lasten gebaut. Nicht einfach nur Reis. Ich habe so etwas noch nie gesehen …«

Sie verstummt, und während sie den Maschinen dabei zuschaut, wie sie sich unnachgiebig vorwärtswälzen, beginnt ihr Herz schneller zu schlagen. Große, dunkle Scheusale.

»Was ist?«, fragt Hiroko.

»Sie sind nicht federgetrieben.«

»Wirklich?«

Kanya zerrt an ihrem Segel, so dass die Winde der Flussmündung das kleine Boot herumreißen, weg von den sich nähernden Schiffen.

»Die gehören zu einer Armee. Das sind alles Kriegsschiffe. «

38

Unter der Kapuze bekommt Anderson kaum Luft. Die Schwärze hüllt ihn vollkommen ein, und er schwitzt vor Angst. Niemand hat ihm erklärt, wieso er das Ding übergestülpt bekommen hat und aus der Wohnung geführt wurde. Da war Carlyle bereits wieder zu sich gekommen, doch als er Einwände gegen ihre Behandlung erhob, schlug ihm einer der Panther ohne zu zögern den Gewehrkolben gegen die Schläfe. Daraufhin verstummten sie beide und ließen sich ohne weiteren Protest die Kapuzen überziehen. Eine Stunde später wurden sie mit Tritten dazu gebracht aufzustehen, nur um dann in eine Art Transporter gescheucht zu werden, der laut knatternd dichte Abgaswolken ausstieß. Ein Militärfahrzeug, vermutete Anderson, als man ihn auf die Ladefläche schubste.

Der gebrochene Finger hängt schlaff hinter seinem Rücken herab. Wenn er die Hand anspannt, wird der Schmerz fast unerträglich. Er atmet langsam und bewusst unter der Kapuze und versucht dabei, alle Ängste und Mutmaßungen über die Situation beiseitezuschieben. Der staubige Stoff so dicht an seinem Mund bringt ihn zum Husten, und jeder Huster treibt schmerzende Stachel in sein Innerstes hinein. Er atmet so flach wie möglich.

Werden sie ihn hinrichten, um ein Exempel zu statuieren?

Er hat Akkarats Stimme schon lange nicht mehr gehört. Er hört gar nichts mehr. Am liebsten würde er Carlyle etwas zuflüstern, um herauszubekommen, ob sie im selben Raum gefangengehalten werden, doch er schweigt, weil er lieber nicht noch einmal Prügel beziehen will — es könnte ja sein, dass er bewacht wird.

Als er vom Lastwagen herunter und in ein Gebäude gezerrt wurde, war er sich unsicher, ob Carlyle überhaupt noch bei ihm war. Als Nächstes fuhren sie mit dem Fahrstuhl. Er vermutet, dass sie in einen Bunker gebracht wurden. In dem Raum, in dem er sich jetzt befindet, ist es jedenfalls entsetzlich heiß. Dieses ganze Gebäude gleicht einem Hochofen. Da, wo der Stoff der Kapuze ihn berührt, juckt seine Haut. Könnte er sich doch nur den Schweiß von der Nase wischen und dort kratzen, wo die Tropfen in den Stoff sickern und dieses Kitzeln verursachen. Er versucht, das Gesicht zu bewegen, um Mund und Nase von dem Stoff wegzubekommen. Er würde einfach alles dafür geben, an die frische Luft zu gelangen …

Eine Tür schließt sich. Schritte. Anderson erstarrt. Über sich hört er gedämpfte Stimmen. Dann greifen plötzlich Hände nach ihm und reißen ihn hoch. Er keucht auf, als sie an seine gebrochenen Rippen stoßen. Die Hände zerren ihn weiter und führen ihn um viele Ecken, bis eine Brise seinen Arm streift. Die Luft ist kühler und frischer als zuvor, irgendwo muss sich ein Lüftungsschlitz oder etwas Ähnliches befinden. Er nimmt den Geruch des Meeres wahr. Um ihn herum Gemurmel auf Thai. Schritte, Menschen, die hin und her gehen. Er hat das Gefühl, einen langen Flur entlangzulaufen. Ständig kommen Stimmen näher und entfernen sich wieder. Als er stolpert, richten ihn seine Entführer wieder auf und stoßen ihn weiter vorwärts.

Endlich bleiben sie stehen. Hier ist die Luft viel angenehmer. Ventilatoren sorgen für einen leichten Durchzug, und er kann knarrende Tretkurbeln sowie das hohe Surren der Schwungräder hören. Seine Entführer schubsen ihn, damit er sich gerade hält. Er fragt sich, ob sie ihn auf diese Weise hinrichten werden. Ob er sterben wird, ohne noch einmal das Tageslicht erblickt zu haben.

Das Aufziehmädchen. Das verfluchte Aufziehmädchen. Er erinnert sich daran, wie sie vom Balkon gesprungen und in der Dunkelheit verschwunden ist. Das hatte nicht wie ein Selbstmord gewirkt. Je mehr er darüber nachdenkt, desto sicherer ist er sich, dass ihr Gesicht dabei höchstes Selbstvertrauen verriet. Hatte sie vielleicht wirklich den Beschützer der Königin auf dem Gewissen? Aber wenn sie die Mörderin war, warum hatte sie dann so verängstigt gewirkt? All das ergibt einfach keinen Sinn. Und jetzt ist alles vorbei. Himmelherrgott, wie seine Nase juckt! Er muss niesen; danach atmet er die staubige Kapuzenluft zu schnell wieder ein und bekommt einen Hustenanfall.

Der Husten fährt ihm in die Rippen; Anderson krümmt sich vor Schmerz.

Die Kapuze wird ihm abgenommen.

Anderson blinzelt in das grelle Licht. Dankbar saugt er die kostbare frische Luft ein. Richtet sich langsam auf. Ein großer Raum voller Männer und Frauen in Armeeuniformen. Tretkurbelcomputer. Und Spannfedertrommeln. Es gibt sogar eine LED-Leinwand, auf der die Stadt aus verschiedenen Blickwinkeln zu sehen ist, fast als befänden sie sich im Rechenzentrum von AgriGen.

Und erst die Aussicht! Er hat sich getäuscht, sie sind gar nicht abwärtsgefahren. Er ist nach oben gebracht worden. Hoch über die Stadt. Anderson versucht, seine Wahrnehmung der veränderten Situation anzupassen. Sie befinden sich irgendwo in einem Hochhaus — ein Hochhaus aus der Zeit der Expansion. Durch die geöffneten Fenster kann er auf die Stadt hinabschauen. Die untergehende Sonne überzieht die Gebäude und den Himmel mit einem blassen Rot.

Carlyle ist ebenfalls hergebracht worden; er ist sichtlich benommen.

»Grundgütiger, Sie beide riechen wirklich abscheulich.«

Es ist Akkarat, der dicht bei ihnen steht. Sein Lächeln wirkt irgendwie verschlagen. Es heißt, die Thai würden dreizehn Spielarten des Lächelns kennen. Anderson fragt sich, mit welchem er es jetzt gerade zu tun hat. »Sie müssen unbedingt mal wieder duschen«, sagt Akkarat.