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Mais Augen öffnen sich weit. Eine ekelhafte Flüssigkeit tropft von dem Messer. »Was ist das?«

»Eine speziell gezüchtete Bakterienart. Etwas, das von den Farang entwickelt wurde.«

»Aber keine Säure?«

»Nein, etwas Lebendiges. Irgendwie jedenfalls.«

Er nimmt das Messer und beginnt damit, an der Außenwand des Safes entlangzufahren. Das Messer löst sich vollständig auf. Hock Seng verzieht das Gesicht. »Ich brauche etwas anderes, irgendetwas Längliches, womit ich es auftragen kann.«

»Kippen Sie das Wasser doch direkt auf den Safe«, schlägt Mai vor. »Und dann das Pulver darüber.«

Er lacht. »Kluges Kind.«

Bald schon trieft der Safe vor Wasser. Hock Seng bastelt einen Papiertrichter und lässt das Pulver durch die winzige Öffnung rieseln. Dort, wo es auf das Metall trifft, beginnt die Oberfläche Blasen zu werfen. Hock Seng tritt einen Schritt zurück — die erstaunliche Schnelligkeit, mit der dieses Zeug wirkt, macht ihm Angst. Er bekämpft den Drang, sich die Hände abzuwischen. »Es darf nichts davon auf deine Haut gelangen«, murmelt er leise. Starrt auf seine Handschuhe. Wenn nun ein Rest Pulver darauf zurückbliebe und sie nass würden … Diese Vorstellung jagt ihm einen Schauer über den Rücken. Mai ist schon bis ans andere Ende des Büros zurückgewichen und schaut mit schreckgeweiteten Augen zu.

Metall läuft an der Vorderseite des Tresors herab, zersetztes Eisen löst sich in dicken Schlieren. Mehrere Schichten blättern ab wie vom Herbstwind weggeweht. Die hellen Flocken aus geschmolzenem Eisen landen auf dem Teakboden. Sie zischen und breiten sich aus, brennen weiter und lassen ein Gittermuster aus löchrig verätztem Holz zurück.

»Das hört ja gar nicht mehr auf«, sagt Mai beeindruckt. Hock Seng schaut zu, und seine Besorgnis wächst; er fragt sich, ob das hefeartige Zeug den Boden durchfressen wird, so dass der Tresor unten auf die Produktionsstraße knallt. Schließlich findet er seine Stimme wieder. »Es lebt. Allerdings sollte seine Fähigkeit zur Verdauung bald erschöpft sein.«

»So etwas wird also von den Farang geschaffen.« In Mais Stimme schwingt Bewunderung und Furcht mit.

»Unser Volk hat dergleichen auch schon produziert.« Hock Seng schüttelt den Kopf. »So besonders sind die Farang nun auch wieder nicht.«

Der Tresor löst sich weiter auf. Wenn er doch nur schon eher den Mut aufgebracht hätte! Als noch kein Krieg vor den Fenstern tobte. Er wünschte, er könnte zu seinem früheren Ich zurückkehren und dem alten Mann — der sich stets Sorgen machte, er könne abgeschoben werden, der fremde Teufel könne wütend auf ihn sein, sein guter Ruf könne beschmutzt werden — einfach ins Ohr flüstern, dass alle Hoffnung vergeblich ist. Dass er zugreifen und fliehen soll, weil es sowieso nicht mehr schlimmer werden kann.

Eine Stimme holt ihn in die Gegenwart zurück. »Sieh mal einer an. Tan Hock Seng. Wie schön, dich hier anzutreffen.«

Hock Seng fährt herum. Dog Fucker, Old Bones und noch sechs weitere Männer stehen in der Tür. Jeder von ihnen hält eine Spannfederpistole in Händen. Obwohl sie rußverschmiert sind und die Kämpfe nicht spurlos an ihnen vorbeigegangen sind, lächeln sie siegessicher.

»Wir scheinen alle in dieselbe Richtung zu denken«, bemerkt Dog Fucker.

Eine Explosion zuckt über den Himmel und taucht das Büro in orangefarbenes Licht. Hock Seng spürt die Erschütterung bis in die Fußsohlen. Schwer zu sagen, wie weit der Einschlag entfernt war. Die Granaten scheinen wahllos niederzugehen. Falls ein Plan dahintersteckt, dann keiner, den sie nachvollziehen können. Wieder ein gewaltiges Grollen, weit näher dieses Mal. Höchstwahrscheinlich die Weißhemden, die den Damm verteidigen. Hock Seng muss sich zwingen, nicht wegzurennen. Die knackenden Geräusche der eisenfressenden Bakterien sind immer noch zu hören. Metallblättchen segeln zu Boden.

Hock Seng sondiert das Gelände. »Gut, dass Sie da sind. Dann können Sie mir helfen. Also, los.«

Old Bones lächelt. »Wohl kaum.«

Die Männer drängen sich an Hock Seng vorbei. Sie sind alle größer als er. Sie sind alle bewaffnet. Und sie alle schenken ihm und Mai keinerlei Beachtung. Hock Seng gerät ins Straucheln, als sie ihn zur Seite stoßen.

»Aber das gehört mir«, begehrt er auf. »Sie können mir das nicht einfach wegnehmen! Ich war es doch, der Ihnen gesagt hat, wo es versteckt ist!« Die Männer ignorieren ihn.

»Das können Sie doch nicht tun!« Hock Seng tastet nach seiner Waffe. Da wird ihm plötzlich eine Pistole gegen die Schläfe gedrückt. Old Bones lächelt ihn an.

Dog Fucker sieht dabei mit einigem Interesse zu. »Ein Mord mehr oder weniger wird für meine Wiedergeburt auch keine Rolle mehr spielen. Fordern Sie mich also besser nicht heraus.«

Hock Seng kann seine Wut kaum noch beherrschen. Am liebsten würde er schießen, damit dieser Kerl nicht mehr so selbstgefällig dreinschaut. Das Metall des Tresors schlägt weiter zischend Blasen, löst sich auf, und langsam kommt seine letzte Hoffnung zum Vorschein. Die Nak Leng beobachten Hock Seng und Old Bones. Sie sind völlig entspannt, alle lächeln. Scheinen keine Angst zu kennen. Machen sich noch nicht einmal die Mühe, ihre Waffen auf ihn zu richten. Sie sehen einfach nur neugierig dabei zu, wie Hock Seng die Pistole auf sie richtet.

Dog Fucker grinst ihn an. »Verschwinde, Yellow Card. Bevor ich es mir anders überlege.«

Hock Seng senkt die Waffe und lässt sich von Mai aus dem Raum ziehen. Die Männer des Kadaverkönigs schauen mit einem Lächeln auf den Lippen zu, wie sie die Treppe hinunter zur Fabriketage stolpern, und dann stehen Hock Seng und Mai auch schon auf dem Straßenschotter.

In der Ferne schreit ein Megodont vor Schmerz auf. Der böige Wind trägt Asche, Flugblätter und den Geruch von verbranntem WeatherAll herbei. Hock Seng fühlt sich alt. Zu alt, um noch weiter gegen ein Schicksal anzukämpfen, das ihn ganz offensichtlich auslöschen will. Der Wind weht ein Flüsterblatt herbei. Die Überschrift schreit etwas von einem Aufziehmädchen und Mord hinaus. Unglaublich, dass das Aufziehmädchen von Mr Anderson in der Lage ist, so viel Ärger zu machen. Und jetzt wird sie von der ganzen Stadt gejagt. Fast muss er lächeln, wenn er daran denkt. Er mag ein Yellow Card sein, aber so schlimm wie diese bemitleidenswerte Kreatur hat es ihn nicht getroffen. Wahrscheinlich schuldet er ihr Dank. Ohne sie und die Neuigkeiten von Mr Andersons Verhaftung wäre er jetzt wahrscheinlich bereits tot, zusammen mit all seiner Jade, dem Bargeld und den Diamanten in Rauch aufgegangen.

Ich sollte dankbar sein.

Doch stattdessen spürt er, wie der Druck seiner Vorfahren auf ihm lastet — ihr Richterspruch droht ihn zu zermalmen. Was sein Vater und sein Großvater in Malaya aufgebaut haben, das hat er übernommen und zuschanden werden lassen.

Sein Versagen ist überwältigend.

Ein weiteres Flüsterblatt wird gegen die Fabrikwand geweht. Wieder das Aufziehmädchen und Vorwürfe gegenüber General Pracha. Mr Lake war von diesem Aufziehmädchen geradezu besessen. Konnte gar nicht mehr aufhören, mit ihr zu vögeln. Nahm sie bei jeder Gelegenheit in sein Bett. Mit einem Mal nachdenklich geworden, hebt Hock Seng das Flüsterblatt auf.

»Was ist?«, fragt Mai.

Ich bin zu alt für all das.

Trotzdem schlägt Hock Sengs Herz ein wenig schneller als zuvor. »Ich habe eine Idee«, sagt er.

Ein Hoffnungsfunken am Horizont. Er kann einfach nicht anders. Selbst wenn er nichts mehr hat, er muss weiterkämpfen.