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»Ich verstehe.«

Mr Lake nickt zufrieden. »Also gut. Wir werden noch abwarten, bevor wir mit der Zentrale sprechen. Nachdem das neue Material vom Zoll freigegeben wurde, rufen wir dort an. Dann haben wir gute und schlechte Neuigkeiten. Ich möchte nicht um Geld bitten, ohne etwas vorzuweisen zu haben.« Sein Blick ruht wieder auf Hock Seng. »Das wollen wir doch beide nicht, habe ich Recht?«

Hock Seng nickt steif. »Auf keinen Fall.«

Mr Lake nimmt einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. »Gut. Finden Sie heraus, wie schwer der Schaden ist. Ich möchte den Bericht morgen früh vorliegen haben.«

Damit ist Hock Seng entlassen, und er eilt durch die Fertigungshalle zu den Männern hinüber, die neben der Spindel warten. Hoffentlich irrt er sich nicht, was die Lieferung betrifft, und sie wird wirklich freigegeben. Er ist ein ziemliches Risiko eingegangen. Aber was blieb ihm anderes übrig? Schließlich wollte der Teufel nicht noch mehr schlechte Neuigkeiten zu hören bekommen.

Als Hock Seng die Spindel erreicht, klopft sich Mai gerade nach einem weiteren Ausflug in die Senke die Kleider ab. »Wie sieht es aus?«, fragt Hock Seng. Die Spindel ist gänzlich vom Räderwerk entkoppelt. Aus ihrem Lager gezogen, liegt sie jetzt auf dem Boden, ein riesiger Dorn aus Teakholz. Die Risse sind groß und nicht zu übersehen. Er ruft ins Loch hinunter. »Ist der Schaden schlimm?«

Kurz darauf kommt Pom herausgekrochen, von Kopf bis Fuß ölverschmiert. »Diese Tunnel sind verdammt eng«, keucht er. »In manche pass ich gar nicht rein.« Er wischt sich Schweiß und Schmutz von den Armen. »Ein Teil des Räderwerks ist auf jeden Fall beschädigt. Genauer werden wir das erst wissen, wenn wir Kinder da runterschicken, damit sie sich entlang der Kettenglieder vorarbeiten. Wenn die Hauptkette etwas abbekommen hat, müssen wir den Boden aufreißen.«

Hock Seng verzieht das Gesicht und späht in das offene Spindelloch hinein. Vor seinem geistigen Auge sieht er Tunnel und Ratten und geduckte Flüchtlinge in den Dschungeln des Südens. »Mai soll sich von ihren Freunden helfen lassen.«

Noch einmal lässt er den Blick über den Schaden schweifen. Früher hat er auch Gebäude wie dieses besessen. Ganze Warenhäuser, bis unter die Decke gefüllt. Und was ist er nun? Ein Faktotum für einen Yang Guizi! Ein alter Mann, dessen Körper auseinanderfällt und dessen Klan nur noch aus einer einzigen Seele besteht. Er seufzt und verdrängt seinen Kummer. »Ich will ganz genau wissen, was beschädigt ist, bevor ich das nächste Mal mit dem Farang spreche. Keine Überraschungen!«

Pom legt die erhobenen Hände gegeneinander. »Jawohl, Khun.«

Hock Seng dreht sich um und geht zur Treppe, die zu den Büros hinaufführt. Während der ersten Schritte, bevor er bewusst darauf achtet, nicht das eine Bein zu schonen, hinkt er leicht. Von all der Geschäftigkeit tut ihm das Knie weh — auch er hat es schon einmal mit den Ungeheuern, die die Fabrik antreiben, zu tun bekommen. Auf dem obersten Treppenabsatz bleibt er stehen und betrachtet den Kadaver des Megodonten. Wieder sind Arbeiter gestorben. Erinnerungen setzen ihm zu, kreisen wie schwarze Krähen am Himmel und drohen jeden Moment ihn zu übermannen. So viele seiner Freunde sind tot. Seine Familie ausgelöscht. Vor vier Jahren noch war er ein berühmter Mann. Und jetzt? Ein Nichts.

Er stößt die Tür auf und geht hindurch. Die Büroräume liegen still da. Leere Schreibtische, teure Tretkurbelcomputer, die Tretmühle mit dem winzigen Kommunikationsbildschirm, der riesige Tresor. Als er seinen Blick durch den Raum schweifen lässt, stürzen religiöse Fanatiker mit grünen Stirnbändern aus den Schatten, die Macheten hoch erhoben. Aber das sind nur Erinnerungen.

Er schließt die Tür hinter sich, und die Geräusche der Schlachter und Arbeiter verstummen. Zwingt sich, nicht zum Fenster zu gehen, um noch einmal auf das Blut und den Kadaver hinunterzublicken. Er will nicht schon wieder die Bilder heraufbeschwören — Bilder von Blut, das im Rinnstein von Malakka schäumt, von den Köpfen der Chinesen, die wie Durianfrüchte aufgestapelt sind.

Du bist hier nicht in Malaya, sagt er sich. Du bist hier sicher.

Aber die Erinnerungen wollen nicht verblassen. Sie sind so klar und deutlich wie Fotografien und das Feuerwerk bei den Frühlingsfesten. Obwohl der Malaiische Zwischenfall bereits vier Jahre zurückliegt, muss er sich noch immer mit Ritualen beruhigen. Wenn es ganz schlimm wird, fühlt er sich von allem und jedem bedroht. Er schließt die Augen, atmet langsam ein und aus, denkt an das blaue Meer und die weiße Klipperflotte auf den Wellen … Noch ein tiefer Atemzug, und er öffnet die Augen. Der Raum ist wieder sicher. Nur leere, ordentlich aufgereihte Schreibtische und staubige Tretkurbelcomputer. Fensterläden bannen die Hitze des tropischen Sonnenscheins. Staubpartikel und Räucherstäbchen.

Auf der anderen Seite des Raumes schimmert der matte Stahl der beiden Tresore von SpringLife, die seiner hochfliegenden Pläne spotten. Für einen der beiden hat Hock Seng den Schlüssel, doch darin befinden sich nur kleine Mengen Bargeld. Den großen Safe kann nur Mr Lake öffnen.

So nahe, denkt er.

In ihm befinden sich alle notwendigen Entwürfe und Baupläne. Nur wenige Zentimeter trennen ihn davon. Er hat sie gesehen. Die DNA-Proben der transgenen Algen, ihre Genomkarten auf Festkörperdatenwürfeln. Die genauen Angaben, wie man die Algen kultiviert und den Überstand zu Schmierstoffen und Pulver verarbeitet. Wie die Drähte der Spannfedern gehärtet werden müssen, damit sie die neuartige Ummantelung annehmen. Die Energiespeichertechnik der Zukunft ist für ihn zum Greifen nahe. Und damit die Hoffnung, dass er und sein Klan wieder zu alter Größe zurückfinden.

Yates murmelte immer vor sich hin und betrank sich, während Hock Seng über ein Jahr lang sein Baijiu-Glas nachfüllte und seinem Geschwafel lauschte, um sein Vertrauen zu gewinnen und ihn von sich abhängig zu machen. Alles umsonst! Und jetzt läuft alles auf diesen Tresor hinaus, den er nicht öffnen kann, weil Yates so töricht war, den Zorn der Investoren zu erregen, und zu inkompetent, um seinen Traum zu verwirklichen.

Neue Imperien könnte Hock Seng aufbauen, wenn er nur an diese Unterlagen herankäme. Er selbst hat nur unvollständige Kopien, die er anfertigte, als die Aufzeichnungen noch offen auf Yates’ Schreibtisch herumlagen, bevor der besoffene Narr den verfluchten Tresor kaufte.

Jetzt stehen ein Schlüssel und eine Kombination und eine stählerne Wand zwischen ihm und diesen Bauplänen. Der Tresor ist beste Qualität. Hock Seng ist mit dem Modell vertraut. Als er berühmt war und seine Akten sicher verwahren musste, kam ihm dieselbe Sicherheit zugute. Es ist der blanke Hohn, dass der fremde Teufel die gleiche Marke benutzt wie er, als er in Malaya an der Spitze eines Handelsimperiums stand: YingTie. Eine chinesische Errungenschaft, die nun ausländischen Interessen dient. Ganze Tage hat er damit verbracht, den Tresor anzustarren und über das darin verschlossene Wissen zu meditieren …

Hock Seng legt den Kopf schief — ihm kommt plötzlich ein Gedanke.

Haben Sie ihn abgeschlossen, Mr Lake? Haben Sie vielleicht in all der Aufregung vergessen, den Tresor wieder zu verriegeln?

Hock Seng schlägt das Herz bis zum Hals.

Ist Ihnen ein Fehler unterlaufen?

Bei Mr Yates ist das durchaus vorgekommen.

Hock Seng versucht sich zusammenzureißen. Er hinkt zu dem Tresor hinüber. Bleibt davor stehen. Ein Schrein, ein Objekt der Verehrung. Ein Monolith aus geschmiedetem Stahl, an dem alles abprallt — alles außer Geduld und Diamantbohrern. Jeden Tag sitzt er ihm gegenüber und spürt, wie er von dem Metallklotz verhöhnt wird.