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»Nehmen Sie es nicht so schwer.« Jaidee berührt sie an der Schulter. »Wir alle müssen uns damit abfinden, dass wir nicht immer unser Ziel erreichen, Kanya.«

»Es tut mir leid. Alles.«

»Ich habe Ihnen bereits vor langer Zeit vergeben. Jeder von uns hat seinen Patron und seine Loyalitäten. Ihr Kamma hat Sie erst zu Akkarat und dann zu mir geführt.«

»Ich hätte niemals gedacht, dass es einmal so weit kommen wird.«

»Ein großer Verlust«, stimmt Jaidee ihr zu. Dann zuckt er mit den Achseln. »Doch noch ist nicht alles entschieden.«

Kanya wirft einen Blick zu den Farang hinüber. Einer der Wissenschaftler wird auf sie aufmerksam und spricht daraufhin mit der Frau. Kanya kann nicht erkennen, ob sie besorgt sind oder ob sie sich über sie lustig machen. Die Weizenähren-Abzeichen funkeln im Schein des elektrischen Lichts.

Jaidee zieht eine Augenbraue hoch. »Uns bleibt immer noch Ihre Majestät die Königin, nicht wahr?«

»Und was soll uns das bringen?«

»Als was wollen Sie lieber in die Geschichte eingehen — als ein Bauer aus Bang Rajan, der bis zum bitteren Ende gekämpft hat, selbst noch, als alles verloren schien, und der die Burmesen dadurch für kurze Zeit zurückwerfen konnte, oder als einer der feigen Schmeichler von Ayutthaya, die ein Königreich geopfert haben?«

»Es geht hier nicht um mich«, erwidert Kanya mürrisch.

»Mag sein.« Jaidee zuckt mit den Achseln. »Aber tatsächlich war es doch so: Ayutthaya war für unsere Geschichte völlig bedeutungslos. Haben die Thai diesen Verlust nicht überlebt? Haben wir nicht die Burmesen überlebt? Die Khmer? Die Franzosen? Die Japaner? Die Amerikaner? Die Chinesen? Die Kalorienkonzerne? Ist uns nicht gelungen, was sonst niemand geschafft hat — sie uns alle vom Leib zu halten? Unser Volk garantiert das Weiterbestehen unseres Landes, nicht diese Stadt. Wir tragen die uns von Chakri gegebenen Namen. Unser Volk steht über allem anderen. Und es ist diese Samenbank, die uns am Leben hält.«

»Aber Seine Majestät hat verlauten lassen, dass wir immer schützend … — «

»König Rama hat sich doch nie einen Deut um Krung Thep geschert; er hat sich um uns gesorgt, und deswegen hat er dieses Symbol für uns erschaffen, das es zu beschützen galt. Aber es ist nicht die Stadt, es ist das Volk, auf das es ankommt. Was nützt eine Stadt, wenn ihre Bewohner versklavt sind?«

Kanyas Atem beschleunigt sich. Eiskalte Luft fährt ihr in die Lunge und wieder heraus.

Die blonde Frau sagt etwas. Die Genfledderer plappern in ihrer schrecklich schrillen Sprache. Kanya wendet sich an Pai.

»Folgen Sie meinem Beispiel.«

Sie zieht ihre Spannfederpistole und feuert aus kürzester Entfernung auf den Kopf der Farang-Frau.

50

Elizabeth Boudrys Kopf wird nach hinten gerissen. Ein feiner Blutnebel geht auf Hock Seng, seine Haut und die neu geschneiderten Kleider nieder. Als die Generalin der Weißhemden sich ihm zuwendet, fällt Hock Seng, ohne zu zögern, auf die Knie und vollführt neben dem zusammengesunkenen Körper der fremden Teufelin einen Khrab.

Die toten Augen der blonden Kreatur starren ihn überrascht an, während er sich lang hinstreckt. Die Wände hallen vom Aufprall der Scheiben wider, und er hört Schreie. Dann ist es mit einem Mal still.

Die Generalin der Weißhemden zerrt ihn hoch und drückt ihm die Federpistole ins Gesicht.

»Bitte«, flüstert Hock Seng auf Thai. »Ich bin nicht wie die Farang.«

Die kalten Augen der Frau mustern ihn eingehend. Sie nickt einmal kurz und schiebt ihn dann beiseite. Er kauert sich neben die Wand, während sie ihren Männern Befehle zubellt. In Windeseile schaffen sie die AgriGen-Leichen beiseite und schließen sich um ihre Anführerin zusammen. Hock Seng ist überrascht, wie schnell die Frau ohne Lächeln ihre Soldaten um sich sammelt. Sie geht zu den Mönchen der Samenbank. Obwohl sie einen Khrab vollführt, der der spirituellen Vormachtstellung der Männer geschuldet ist, gibt es keinen Zweifel daran, dass sie hier die Herrin ist.

Hock Seng macht große Augen, als er mitanhört, was sie vorhat. Es ist grauenerregend. Ein Akt der Zerstörung, den man nicht zulassen darf … Und doch nicken die Mönche, und die Leute strömen zügig aus der Samenbank hinaus. Die Generalin und ihre Männer machen sich an den Schränken zu schaffen, reißen Türen auf, hinter denen ein riesiges Waffenarsenal zum Vorschein kommt. Sie teilt die Männer in Teams auf: der große Palast, die Korakot-Pumpe, die Schleuse der Dammanlage in Khlong Toei …

Nachdem sie all ihre Leute losgeschickt hat, wirft sie einen flüchtigen Blick auf Hock Seng. Die Mönche haben bereits damit begonnen, die Saatgutbehältnisse aus den Regalen zu räumen. Hock Seng windet sich unter ihrer Aufmerksamkeit. Nach allem, was er mitangehört hat, kann sie nicht vorhaben, ihn am Leben zu lassen. Das geschäftige Treiben um ihn herum nimmt noch an Intensität zu. Immer mehr Mönche kommen herbeigeeilt. Behutsam stapeln sie die Kisten mit Saatgut übereinander. Reihe um Reihe wird aus den Regalen geräumt. Über ein Jahrhundert alte Samen, die immer wieder in hermetisch abgeriegelten Kammern nachgezüchtet wurden, um anschließend hinunter in diesen unterirdischen Tresor gebracht zu werden, wo sie wiederum eingelagert wurden. In den Kisten befindet sich das Vermächtnis von Jahrtausenden, das Erbe der Welt.

Und dann hasten Mönche mit den Kisten aus der Samenbank hinaus — ein Strom kahlköpfiger Männer in safrangelben Roben, die den größten Schatz ihrer Nation auf ihren Schultern tragen. Mit angehaltenem Atem schaut Hock Seng zu, wie Unmengen an genetischem Material verschwinden. Irgendwo dort draußen glaubt er, Mönchsgesänge zu hören, die das Vorhaben der Erneuerung und der Zerstörung segnen, und dann fällt der Blick der Generalin noch einmal auf ihn. Er zwingt sich dazu, nicht den Kopf einzuziehen. Und nicht vor ihr zu Kreuze zu kriechen. Sie wird ihn töten. Das muss sie. Er wird sich nicht am Boden winden und in die Hose pinkeln. Wenigstens wird er in Würde sterben.

Die Generalin presst die Lippen aufeinander, dann deutet sie ruckartig mit dem Kopf auf die geöffneten Türen. »Los, Yellow Card. Diese Stadt bietet dir keinen Schutz mehr.«

Er starrt sie fassungslos an. Sie wiederholt die Kopfbewegung, und der Ansatz eines Lächelns umspielt ihre Lippen. Hock Seng rappelt sich mit einem Wai auf. Er eilt durch die stollenartigen Gänge, bis er ins Freie gelangt, um ihn herum eine ganze Legion gelb gewandeter Mönche. Es ist drückend heiß. Auf dem Tempelgelände angekommen, teilen sich die Mönche und gehen durch verschiedene Tore hinaus, dabei bilden sie immer kleinere Gruppen — eine Diaspora auf dem Weg an einen vereinbarten Ort in weiter Ferne, der Sicherheit verspricht. Ein geheimer Ort, außerhalb der Reichweite der Kalorienkonzerne, über den Phra Seub und alle Geister der Nation ihre schützende Hand halten.

Hock Seng schaut noch einen Moment lang zu, wie die Mönche aus der Samenbank strömen, dann rennt er zur Straße.

Ein Rikschafahrer sieht ihn und verlangsamt seine Fahrt. Hock Seng springt auf.

»Wohin?«, fragt der Mann.

Hock Seng zögert, sein Verstand rast. Die Ankerplätze. Das ist der einzig sichere Weg, der aus dem bevorstehenden Chaos hinausführt. Dieser Yang Guizi Richard Carlyle ist bestimmt noch dort. Er und sein Flugschiff bereiten sich wahrscheinlich gerade auf den Abflug nach Kalkutta vor, um die Kohlepumpen des Königreichs zu holen. In der Luft wäre es sicher. Aber nur, wenn Hock Seng schnell genug ist, um den fremden Teufel abzufangen, bevor er den letzten Anker einholt.

»Wohin?«

Mai.

Hock Seng schüttelt den Kopf. Warum quält sie ihn gerade jetzt? Er ist ihr nichts schuldig. In Wahrheit bedeutet sie ihm nichts. Ein Fischermädchen. Und doch hat er sie wider besseres Wissen in seiner Nähe geduldet, hat ihr versprochen, sie irgendwo als Bedienstete unterzubringen. Sich um sie zu kümmern. Das war das Mindeste, was er tun konnte … Aber seither ist viel geschehen. Zu dem Zeitpunkt ging er noch davon aus, dass er bald im Geld der Kalorienkonzerne baden würde. Die Voraussetzungen haben sich geändert. Sie wird ihm verzeihen.