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»130 … 140 … 150 …« Kanyas Stimme ist ein gleichmäßiger Sprechgesang. Ein Loblied auf den Reichtum, auf Schmiergelder, auf neue Geschäfte in einem alten Land. Ihre Stimme ist klar und pedantisch. Sie wird sich niemals verzählen.

Jaidee lächelt. Gegen ein kleines Geschenk, das guten Willen zeigt, ist nie etwas einzuwenden.

Auf dem nächsten Ankerplatz zweihundert Meter entfernt brüllen Megodonten, während sie die Ladung aus dem Bauch eines Luftschiffs schleppen und alles aufhäufen, damit es sortiert und vom Zoll überprüft werden kann. Turbopropeller kreisen, um das gewaltige Luftschiff, das über ihnen steht, im Gleichgewicht zu halten. Der Ballon dreht sich und hat Schlagseite. Sandige Böen und Megodonten-Dung fegen über Jaidees Weißhemden, die in Reih und Glied stehen. Kanya legt eine Hand auf die Baht, die sie zählt. Die übrigen Männer warten ungerührt, die Hände auf den Macheten, während der Wind sie umpeitscht.

Der von den Turbopropellern ausgelöste Windstoß lässt nach. Kanya stimmt wieder ihren Gesang an. »160 … 170 … 180 …«

Die Zollbeamten schwitzen. Selbst in dieser heißen Jahreszeit gibt es keinen Grund, so stark zu schwitzen. Jaidee schwitzt nicht. Aber schließlich ist er auch nicht gezwungen, ein zweites Mal Schutzgelder zu entrichten, die vermutlich schon beim ersten Mal äußerst hoch waren.

Fast tun sie Jaidee leid. Diese armen Männer wissen nicht, welche Behörde gerade das Sagen hat, ob vielleicht Zahlungen umgeleitet worden sind; ob Jaidee vielleicht eine neue Macht repräsentiert oder eine rivalisierende; wissen nicht, was für einen Stellung er innerhalb der Schichten aus Bürokratie und Beziehungen einnimmt, aus denen das Umweltministerium besteht. Also bezahlen sie. Er ist überrascht, dass es ihnen so kurzfristig gelungen ist, das nötige Bargeld aufzutreiben. Ebenso überrascht, wie sie es wohl waren, als seine Weißhemden die Türen des Zollamtes eintraten und den Flugplatz in ihre Gewalt brachten.

»Zweihunderttausend.« Kanya blickt zu ihm hoch. »Alles da.«

Jaidee lächelt breit. »Ich habe Ihnen gesagt, dass sie zahlen würden.«

Kanya erwidert das Lächeln nicht, aber das tut Jaidees Schadenfreude keinen Abbruch. Die Nacht ist angenehm heiß, sie haben eine Menge Geld verdient, und zu allem Überfluss haben sie auch noch Zollbeamte schwitzen sehen. Kanya fällt es stets schwer zu akzeptieren, wenn sie Glück hat. Irgendwann in ihrem jungen Leben ist ihr die Fähigkeit abhandengekommen, sich an etwas zu freuen. Die Hungersnot im Nordosten. Der Tod ihrer Eltern und Geschwister. Die schwere Wanderung nach Krung Thep. Irgendwann in dieser Zeit hat sie den Sinn für Sanuk, die Freude am Leben, verloren. Nicht einmal die Tatsache, dass es ihnen gelungen ist, das Handelsministerium um ein erkleckliches Sümmchen zu erleichtern, oder das Songkran-Fest — beides Gründe für Sanuk mak, große Freude — können sie noch begeistern. Wenn Kanya dem Handelsministerium also 200 000 Baht abknöpft und nicht einmal mit der Wimper zuckt, außer um den Staub der Ankerplätze loszuwerden, wenn sie nicht einmal andeutungsweise lächelt, lässt Jaidee nicht zu, dass das seine Gefühle verletzt. Kanya hat eben nichts für Spaß übrig, das ist ihr Kamma.

Trotzdem, sie tut Jaidee leid. Selbst die Ärmsten lächeln hin und wieder. Kanya dagegen fast nie. Geradezu unnatürlich, das. Sie lächelt nicht, wenn ihr etwas peinlich ist, wenn sie etwas ärgert, wenn sie wütend ist oder sich über etwas freut. Anderen Leuten ist dieser völlige Mangel an gesellschaftlichen Umgangsformen unangenehm, weshalb sie letztlich auch in Jaidees Einheit gelandet ist. Niemand sonst hält es mit ihr aus. Sie beide bilden ein seltsames Paar — Jaidee, der immer etwas findet, über das er lächeln kann, und Kanya, deren Gesicht so ausdruckslos ist, dass es ebenso gut aus Jade geschnitzt sein könnte. Jaidee grinst erneut und lässt seinen Leutnant an seiner guten Laune teilhaben. »Na denn, wir sind hier wohl fertig.«

»Sie haben Ihre Befugnisse überschritten«, murmelt einer der Zollbeamten.

Jaidee zuckt selbstgefällig mit den Achseln. »Das Umweltministerium ist für alles zuständig, was das Königreich gefährden könnte. Das ist der Wille Ihrer Majestät, der Königin.«

Die Augen des Mannes sind ausdruckslos, obwohl er sich zwingt, freundlich zu lächeln. »Sie wissen, was ich meine.«

Jaidee grinst und tut die Feindseligkeit des Beamten mit einer Handbewegung ab. »Jetzt schauen Sie nicht so verzweifelt. Ich hätte das Doppelte verlangen können, und Sie hätten trotzdem bezahlt.«

Kanya packt das Geld ein, während Jaidee mit der Spitze seiner Machete in den Trümmern einer Kiste stochert. »Schauen Sie sich doch all die wichtigen Frachtgüter an, die beschützt werden müssen!« Er dreht ein Bündel Kimonos um. Wahrscheinlich an die Frau eines japanischen Managers adressiert. Und Damenunterwäsche, die mehr wert ist, als er in einem Monat verdient. »Wir wollen doch nicht, dass irgendein schmieriger Beamter in diesen ganzen Sachen wühlt?« Mit einem Grinsen wendet er sich an Kanya. »Möchten Sie davon etwas? Die sind aus echter Seide. Die Japaner haben noch Seidenwürmer, müssen Sie wissen.«

Kanya blickt nicht von den Geldscheinen auf. »Das ist nicht meine Größe. Diese Frauen der japanischen Manager sind alle fett von den Gentech-Kalorien, weil sie mit AgriGen Geschäfte machen.«

»Stehlen würden Sie auch noch?« Das Gesicht des Zollbeamten ist eine Maske aus kaum beherrschtem Zorn und einem Lächeln mit zusammengebissenen Zähnen.

»Offenbar nicht.« Jaidee zuckt mit den Schultern. »Mein Leutnant scheint einen besseren Geschmack zu haben als die Japaner. Ihren Profit werden Sie schon wieder reinholen, da habe ich keine Zweifel. Das alles ist bestimmt nur eine kleine Unannehmlichkeit.«

»Und was ist mit dem Schaden? Wie sollen wir den erklären? « Der andere Zollbeamte deutet auf einen Wandschirm im Stil von Sony, der halb zerfetzt ist.

Jaidee betrachtet das kitschige Machwerk. Darauf ist das Äquivalent einer Samurai-Familie im 21. Jahrhundert zu sehen: ein Manager von Mishimoto Fluid Dynamics, der Aufzieharbeiter auf einem Feld überwacht … Haben die Arbeiter etwa zehn Hände? Jaidee erschauert angesichts dieser bizarren Blasphemie. Die kleine natürliche Familie am Rand des Feldes scheint das alles nicht zu stören. Aber schließlich handelt es sich um Japaner: Die lassen sogar ihre Kinder mit Aufziehaffen spielen.

Jaidee verzieht das Gesicht. »Ihnen wird bestimmt etwas einfallen. Vielleicht sind die Lastenmegodonten in Panik geraten. « Er klopft dem Zollbeamten auf den Rücken. »Warum so niedergeschlagen? Setzen Sie Ihre Fantasie ein! Nehmen Sie es einfach als Möglichkeit, sich verdient zu machen.«

Kanya hat inzwischen das ganze Geld eingepackt. Sie schließt die Stofftasche und hängt sie sich über die Schulter.

»Alles klar«, sagt sie.

Ein Stück weit weg setzt ein neues Luftschiff zur Landung an; die gewaltigen Spannfedern verbrauchen die letzten Joule, um den Rumpf über die Anker zu manövrieren. Von Bleigewichten beschwerte Taue sinken zu Boden. Auf dem Ankerplatz stehen Arbeiter mit erhobenen Händen bereit, um das schwebende Ungeheuer an ihren Megodonten-gespannen festzumachen; sie sehen aus, als würden sie zu einem riesenhaften Gott beten. Jaidee schaut fasziniert zu. »Auf jeden Fall weiß die Wohltätige Vereinigung pensionierter Beamter des königlichen Umweltministeriums Ihre Amtshilfe zu schätzen. Sie haben sich um Sie verdient gemacht, so oder so.« Er hebt seine Machete und wendet sich an seine Männer.

»Khun-Offiziere«, ruft er über das Surren der Propeller und die Schreie der Lastenmegodonten hinweg. »Ich habe eine Aufgabe für euch.« Er deutet mit der Machete auf das Luftschiff, das gerade landet. »Der Erste, der eine Kiste aus dem Laderaum dieses Fluggefährts durchsucht, bekommt von mir zweihunderttausend Baht! Auf, auf! Dort drüben! Aber schnell!«