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Er hält einen Moment inne. »Ich bin froh, dass ich den Ankerplätzen heute einen Besuch abgestattet habe. Du hättest sehen sollen, wie viel Geld diese Zollbeamten scheffeln. Dabei stehen sie nur tatenlos herum und lassen alles und jeden passieren. Die nächste Cibiskose-Mutation hätte in Ampullen direkt vor ihrer Nase stehen können, und sie hätten nur die Hand aufgehalten, um abzukassieren. Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir wieder in den Tagen des alten Ayutthaya leben.«

»Sei nicht melodramatisch.«

»Die Geschichte wiederholt sich. Zum Schutz von Ayutthaya hat auch niemand das Schwert erhoben.«

»Und was heißt das? Dass du ein Wiedergeborener aus Bang Rajan bist? Der sich der Flut der Farang entgegenwirft? Und bis zum letzten Mann kämpft? Etwas in der Art?«

»Wenigstens haben sie gekämpft! Wer ist dir lieber? Die Bauern, die sich monatelang gegen die birmanische Armee behauptet haben, oder die Minister des Königreichs, die weggerannt sind und zugelassen haben, dass die Hauptstadt eingenommen wird?« Er beißt die Zähne zusammen. »Wenn ich klug wäre, würde ich den Ankerplätzen jeden Abend einen Besuch abstatten und Akkarat und den Farang eine Lektion erteilen, die sie so schnell nicht wieder vergessen. Es muss doch noch jemanden geben, der bereit ist, für Krung Thep zu kämpfen!«

Eigentlich hätte er erwartet, dass Chaya ihm widerspricht, um seine heißblütigen Worte etwas abzukühlen, doch sie schweigt. Schließlich fragt sie: »Glaubst du, dass wir immer hier wiedergeboren werden, an diesem Ort? Müssen wir zurückkehren und alles noch einmal durchmachen, komme, was da wolle?«

»Ich weiß es nicht«, sagt Jaidee. »Diese Frage hätte von Kanya stammen können.«

»Das ist vielleicht ein mürrisches Geschöpf! Ich sollte ihr auch ein Amulett besorgen. Damit sie wenigstens hin und wieder lächelt.«

»Sie ist ein wenig seltsam.«

»Ich dachte, Ratana wollte ihr einen Antrag machen?«

Kanya und die hübsche Ratana mit ihrer Atemmaske und ihrem Leben in den unterirdischen Hochsicherheitslaboren des Ministeriums — Jaidee kann sich das nur schwer vorstellen. »Ich schnüffle nicht in ihrem Privatleben herum.«

»Sie würde öfter lächeln, wenn sie einen Mann hätte.«

»Wenn jemand wie Ratana sie nicht glücklich machen kann, dann hat kein Mann auch nur die geringste Chance.« Jaidee grinst. »Und wenn sie einen Mann hätte, wäre der die ganze Zeit eifersüchtig auf die Männer, die sie in meiner Einheit befehligt. All die gut aussehenden Kerle …« Er beugt sich vor, um Chaya zu küssen, aber sie weicht ihm aus.

»Igitt. Du riechst auch noch nach Whisky.«

»Whisky und Rauch. Wie ein echter Mann eben.«

»Geh ins Bett. Du weckst noch Niwat und Surat. Und Mutter.«

Jaidee zieht sie zu sich heran und legt ihr die Lippen ans Ohr. »Sie hätte bestimmt nichts gegen ein weiteres Enkelkind. «

Chaya schiebt ihn lachend von sich weg. »Wenn du sie weckst, wahrscheinlich schon.«

Er streicht ihr über die Hüfte. »Ich werde ganz leise sein.«

Sie schlägt seine Hand beiseite, aber gibt sich nicht besonders viel Mühe. Er hält ihre Hand fest. Ertastet den Stumpf, wo ihr ein Finger fehlt, liebkost ihre Knöchel. Plötzlich sind sie beide wieder ernst. Sie holt tief Luft und schluckt. »Wir haben so viel verloren. Ich könnte es nicht ertragen, auch noch dich zu verlieren.«

»Das wirst du auch nicht. Ich bin ein Tiger. Kein Narr.«

Sie drückt ihn an sich. »Das hoffe ich. Wirklich.« Er spürt ihre Wärme und ihren gleichmäßigen Atem, ihre Sorge um ihn. Dann richtet sie sich wieder auf und sieht ihn ernst an, ihre dunklen Augen voller Liebe.

»Ich weiß, was ich tue«, sagt er.

Sie nickt, ohne ihm jedoch wirklich zuzuhören. Stattdessen mustert sie ihn, seine Augenbrauen, sein Lächeln, seine Narben. Der Augenblick scheint sich ewig hinzuziehen, und fast hat er den Eindruck, dass sie versucht, sich seine Gesichtszüge einzuprägen. Schließlich nickt sie, als würde sie auf etwas lauschen, das sie sich selbst einredet, und ihre sorgenvolle Miene lichtet sich. Sie lächelt und zieht ihn zu sich heran, drückt ihm die Lippen ans Ohr. »Du bist ein Tiger«, flüstert sie, als wäre sie eine Wahrsagerin. Ihr Körper entspannt sich, und sie schmiegt sich an ihn. Voller Erleichterung spürt er, wie sie endlich wieder zueinanderfinden.

Er drückt sie noch fester an sich. »Ich habe dich vermisst«, flüstert er.

»Komm mit.« Sie befreit sich aus seiner Umarmung und nimmt ihn an der Hand. Führt ihn zu ihrem Bett. Zieht das Moskitonetz beiseite und schlüpft unter den hauchzarten Baldachin. Kleider rascheln, gleiten zu Boden.

»Du riechst noch immer nach Rauch«, sagt die Schattenfrau neckisch.

Jaidee schiebt das Netz beiseite. »Und Whisky. Vergiss den Whisky nicht.«

5

Die Sonne späht über den Rand der Erde und taucht Bangkok in ihr gleißendes Licht. Flüssigem Feuer gleich ergießt sie sich über die Ruinen der Expansionshochhäuser, die wie Knochen aus grauer Vorzeit aufragen, und über die mit Gold ummantelten Chedi der Tempel, hüllt sie ein in Hitze und Helligkeit. Sie entzündet die hohen, spitzen Dächer des Großen Palasts, wo die Kindskönigin mit ihren Bediensteten eingeschlossen ist, und entflammt die filigranen Verzierungen des Schreins der Stadtsäulen, wo vierundzwanzig Stunden am Tag die Gesänge der Mönche zum Schutz der Stadtdeiche und Dämme erklingen. Über den blutwarmen Ozean flackern blaue Wellen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelt.

Schließlich erreichen ihre Strahlen den Balkon von Anderson Lakes Wohnung im sechsten Stock und dringen in die Zimmer ein. Am Rande der Veranda rascheln Jasminranken in der heißen Brise. Anderson blickt auf, die blauen Augen gegen das grelle Licht zusammengekniffen. Schweißtropfen glitzern wie Juwelen auf seiner blassen Haut. Jenseits des Geländers gleicht die Stadt einem geschmolzenen Ozean, und wo die Glut der Sonne über Glas und Türme brandet, scheint alles in Gold getaucht.

Er sitzt nackt auf dem Boden; um ihn herum sind Bücher aufgeschlagen: Verzeichnisse von Flora und Fauna, Reiseaufzeichnungen — die ganze Geschichte der südostasiatischen Halbinsel ist über das Teakholz verteilt. Schimmlige, zerfallende Bände. Papierfetzen. Halb zerrissene Tagebücher. Die ausgegrabenen Erinnerungen an eine Zeit, als Zehntausende von Pflanzen noch ihre Pollen und Sporen und Samen ausschickten. Die ganze Nacht hat er über der Arbeit zugebracht, und trotzdem kann er sich kaum an die vielen Varianten erinnern, die er überprüft hat. Stattdessen kehren seine Gedanken immer wieder zu dem Anblick nackter Haut zurück — zu einem Pha Sin, der die Beine eines Mädchens hinaufgleitet, zu der Erinnerung an Pfaue, die hoch auf einer purpur schimmernden Welle reiten, feuchte Schenkel, die sich geschmeidig öffnen.

Im fernen Gegenlicht ragen die Hochhäuser von Ploenchit empor. Drei Schattenfinger recken sich in dem schwülgelben Dunst himmelwärts. Bei Tageslicht sehen sie eher aus wie Slums aus der Expansionszeit; nichts weist auf ihr pulsierendes, triebhaftes Innenleben hin.

Ein Aufziehmädchen.

Seine Finger auf ihrer Haut. Ihre dunklen, ernsten Augen, als sie fragte: »Möchten Sie sie berühren?« Anderson holt bebend Luft und schiebt die Erinnerungen beiseite. Sie ist das genaue Gegenteil der invasiven Seuchen, mit denen er es Tag für Tag zu tun hat. Eine Treibhauspflanze, die es in eine Welt verschlagen hat, die zu rau ist für ihr erlesenes Erbgut. Es scheint unwahrscheinlich, dass sie lange überleben wird. Nicht in diesem Klima. Nicht unter diesen Menschen. Vielleicht war es diese Verletzlichkeit, die ihm naheging, ihre vorgetäuschte Stärke, obwohl sie rein gar nichts hat. Wie sie um ihren Stolz gerungen hat, sogar noch, als sie auf Raleighs Befehl hin ihren Rock hochschob.

Hast du ihr deshalb von den Dörfern erzählt? Weil sie dir leidtat? Und nicht etwa, weil sich ihre Haut so weich anfühlt wie eine Mango? Und du kaum atmen konntest, als du sie berührtest?