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»Du könntest mit uns nach Norden kommen. Wir könnten gemeinsam segeln.«

Hafiz seufzte. »Die Grünen Brigaden segeln bereits auf der Suche nach Flüchtlingen die Küste entlang. Ihr Netz ist breit und tief. Und diejenigen, die sie fangen, schlachten sie ab.«

»Aber wir sind schlau. Schlauer als sie. Wir könnten ihnen entwischen.«

»Nein, das ist unmöglich.«

»Wie willst du das wissen?«

Hafiz wandte verlegen den Blick ab. »Meine Söhne prahlen gerne.«

Hock Seng verzog bitter enttäuscht das Gesicht; noch immer hielt er die Hand seiner Tochter. »Es tut mir leid«, sagte Hafiz. »Ich werde mich bis an mein Lebensende schämen.« Hastig wandte er sich um und verschwand in der Kombüse. Er kehrte mit unverdorbenen Mangos und Papayas zurück. Mit einem Beutel U-Tex. Einer Cibi-Melone von PurCal. »Hier. Nehmen Sie das. Es tut mir leid, dass ich nicht mehr für Sie tun kann. Aber ich muss auch an mich denken.« Und damit führte er Hock Seng zurück zur Reling und übergab ihn wieder den Wellen.

Einen Monat später überquerte Hock Seng die Grenze; allein kroch er durch den mit Blutegeln verseuchten Dschungel, nachdem er von den Snakeheads, die sie verraten hatten, im Stich gelassen worden war.

Hock Seng hat gehört, dass diejenigen, die den Gelben geholfen haben, zuhauf umgekommen sind — dass sie von den Klippen ins Meer sprangen, wo sie verzweifelt versuchten, die von Gischt umschäumten Felsen zu erreichen, während von oben auf sie geschossen wurde. Er fragt sich oft, ob Hafiz unter denen war, die gestorben sind, oder ob der letzte der Klipper der Drei Reichtümer genügt hat, um ihn und seine Familie freizukaufen. Ob seine Söhne, die die grünen Stirnbänder trugen, für ihn eintraten, oder ob sie kalten Herzens zuschauten, wie ihr Vater für seine zahlreichen Sünden büßte.

»Großvater? Geht es dir gut?«

Das kleine Mädchen berührt Hock Seng sanft am Handgelenk und mustert ihn mit großen Augen. »Meine Mutter kann dir abgekochtes Wasser bringen, wenn du Durst hast.«

Hock Seng will etwas erwidern, nickt dann aber nur und wendet sich ab. Wenn er etwas zu ihr sagt, wird sie in ihm den Flüchtling erkennen. Es ist das Beste, er fällt nicht auf. Es ist das Beste, wenn niemand merkt, dass sein Leben von den Launen der Weißhemden und des Kadaverkönigs abhängt, und von ein paar gefälschten Stempeln in seiner Yellow Card. Am besten vertraut er niemandem, selbst wenn diejenige noch so freundlich ist. Ein lächelndes Mädchen kann morgen schon einem Säugling den Schädel einschlagen. Das ist die einzig gültige Wahrheit. Man mag denken, dass es so etwas wie Loyalität und Freundlichkeit gibt, aber das sind Teufelskatzen. Letztlich bestehen sie nur aus Schall und Rauch, und niemand bekommt sie zu fassen.

Nach weiteren zehn Minuten verschlungener Gassen hat er fast die Deiche der Stadt erreicht, wo sich die Hütten wie Entenmuscheln an das Bollwerk klammern, das die Stadt nach den Bauplänen des verehrten Königs Rama XII. vor dem Untergang bewahrt. Lachender Chan sitzt neben einem Jok-Wagen und isst eine dampfende Schüssel U-Tex-Reisbrei mit einigen kleinen, nicht identifizierbaren Fleischstückchen darin.

In seinem früheren Leben war Lachender Chan Aufseher einer Plantage, wo einhundertundfünfzig Mann unter seinem Befehl die Stämme von Kautschukbäumen anzapften, um die Latexmilch aufzufangen. In diesem Leben hat sein Organisationstalent eine neue Nische gefunden: Er gebietet über Arbeiter, die unten an den Docks und draußen auf den Ankerplätzen Megodonten und Klipper entladen, wenn die Thai zu faul oder zu dumm sind oder zu langsam, oder wenn er irgendein hohes Tier bestechen kann, um seine Yellow-Card-Kolonne mit Reis zu versorgen. Manchmal verrichtet er auch andere Arbeit. Schmuggelt Opium oder das Amphetamin Yaba vom Fluss bis in die Hochhäuser des Kadaverkönigs hinein. Beschafft SoyPRO von AgriGen aus Koh Angrit, und das trotz der Blockaden des Umweltministeriums.

Ihm fehlen ein Ohr und vier Zähne, aber das hindert ihn nicht daran, in einem fort zu lächeln. Er sitzt da und grinst wie ein Narr, wobei er seine Zahnlücken entblößt. Währenddessen schweift sein Blick über die Passanten. Hock Seng setzt sich, und auch vor ihn wird eine Schüssel mit dampfendem Jok gestellt. Gemeinsam essen sie U-Tex-Brei und trinken dazu Kaffee, der fast so gut ist wie der, den sie im Süden gekannt haben. Dabei beobachten sie die Menschen um sich herum, folgen mit Blicken der Frau, die sie bedient, den Männern, die an den anderen Tischen kauern, den Pendlern, die sich auf ihren Fahrrädern vorbeidrängen. Schließlich sind sie beide Yellow Cards. Es liegt ebenso in ihrer Natur, wie es in der einer Cheshire liegt, nach Vögeln Ausschau zu halten.

»Sind Sie bereit?«, fragt Lachender Chan.

»Noch einen Moment. Ich möchte nicht, dass Ihre Männer gesehen werden.«

»Keine Sorge. Inzwischen bewegen wir uns fast wie die Thai.« Er grinst und zeigt seine Zahnlücken. »Bald wird man uns nicht mehr von den Einheimischen unterscheiden können. «

»Kennen Sie Dog Fucker?«

Lachender Chan nickt bestimmt, und sein Lächeln verschwindet. »Und Sukrit kennt mich. Ich werde mich unterhalb des Deichs aufhalten, in der Nähe der Hütten. Wo mich niemand sieht. Ich habe dafür gesorgt, dass Ah Ping und Peter Siew die Augen offen halten.«

»Also gut.« Hock Seng isst sein Jok auf und bezahlt auch für Lachender Chan. Solange er Lachender Chan und seine Männer in der Nähe weiß, fühlt er sich ein wenig besser. Wenn auch immer noch nicht sicher. Falls diese Sache schiefgeht, wird Lachender Chan zu weit weg sein, um mehr zu tun, als Rache zu nehmen. Und wenn Hock Seng genauer darüber nachdenkt, hat er dafür eigentlich nicht genug bezahlt.

Lachender Chan schlendert davon und verschwindet zwischen den Planen. Hock Seng setzt seinen Weg durch die drückende Hitze fort, bis er den steilen, holprigen Pfad erreicht, der sich an der Seite des Deichs zwischen den Slums hinaufwindet. Er folgt ihm, und bei jedem Schritt tut ihm das Knie weh. Schließlich steht er auf dem breiten Damm, der die Stadt vor den Gezeiten schützt.

Nach dem Gestank der Elendsviertel ist die Meeresbrise, die auf ihn einstürmt und an seinen Kleidern zerrt, eine Erleichterung. Der hellblaue Ozean funkelt wie ein Spiegel. Hock Seng ist nicht der Einzige, der hier oben auf der Promenade steht und die frische Luft genießt. In einiger Entfernung hockt eine der Kohlepumpen von König Rama XII. wie eine gewaltige Kröte auf dem Rand des Damms. Das Symbol für Korakot — der Krebs — ist ihr in die Flanke gebrannt. In regelmäßigen Abständen stoßen ihre Schlote Dampf und Rauch aus.

Irgendwo tief unter der Deichanlage strecken, von dem genialen König erdacht, die Pumpen ihre Tentakel aus und saugen das Wasser herauf, damit die Stadt nicht ertrinkt. Selbst während der heißen Jahreszeit laufen beständig sieben Pumpen und sorgen dafür, dass Bangkok nicht untergeht. Während der Regenzeit arbeiten alle zwölf der Tierkreiszeichen auf Hochtouren — dann, wenn es in Strömen gießt und die Menschen, nass bis auf die Haut, die Hauptverkehrsadern der Stadt auf Booten entlangfahren und dankbar dafür sind, dass der Monsun nicht ausgeblieben ist und die Deiche halten.

Hock Seng klettert auf der anderen Seite hinunter und geht auf einen Landesteg hinaus. Ein Bauer mit einem Boot voll Kokosnüsse hält ihm eine entgegen und schlägt die grüne Oberseite ab, damit Hock Seng daraus trinken kann. Draußen im Meer ragen die untergegangenen Gebäude von Thonburi aus den Wellen. Hock Seng atmet tief durch und saugt den Geruch von Salz und Fisch und Seetang in seine Lungen. Das Leben des Ozeans.