Als der Name fällt, werden die anderen unruhig und setzen sich aufrecht hin, wie Kinder, die von strengen Eltern bei etwas ertappt wurden. Anderson fröstelt es. »Das hätten Sie nicht tun sollen«, murmelt er.
Otto zieht eine Grimasse. »Ich dachte, er wäre gestorben.«
»Die Auserwählten sind gegen die Rostwelke gefeit — wussten Sie das nicht?«
Alle unterdrücken ein Lachen, als eine Gestalt aus der Düsternis geschlurft kommt. Haggs Gesicht ist gerötet und von Schweiß bedeckt. Er mustert die Phalanx mit ernster Miene. »Hallo zusammen.« Er wendet sich Lucy zu. »Sie machen also immer noch Geschäfte mit denen?«
Lucy zuckt mit den Achseln. »Wie es sich eben ergibt.« Sie deutet auf einen Sessel. »Stehen Sie nicht so herum. Trinken Sie ein Glas mit uns. Erzählen Sie uns Ihre Geschichten.« Sie zündet die Opiumpfeife an und zieht an ihr, während der Mann einen Sessel heranzieht und sich hineinfallen lässt.
Hagg ist ein stämmiger, wohlgenährter Mann. Nicht zum ersten Mal registriert Anderson interessiert, dass bei grahamitischen Priestern im Vergleich zu ihren Schäfchen immer reichlich Hüftspeck aus der eigenen Nische herausquillt. Hagg winkt und bestellt einen Whisky, und zur Überraschung aller taucht sofort ein Kellner an seinem Ellenbogen auf.
»Ohne Eis«, sagt dieser.
»Nein, kein Eis. Natürlich nicht.« Hagg schüttelt emphatisch den Kopf. »Das ist doch nur eine Verschwendung von Kalorien.«
Als der Kellner zurückkehrt, nimmt Hagg das Glas entgegen und leert es in einem Zug. Sofort bestellt er noch eins. »Es tut gut, wieder in der Stadt zu sein«, sagt er. »Die Freuden der Zivilisation misst man nur ungern.« Er prostet ihnen allen mit seinem zweiten Glas zu und kippt es ebenfalls hinunter.
»Wie weit draußen waren Sie?«, fragt Lucy, wobei sie die Pfeife nicht aus dem Mund nimmt. Allmählich bekommt sie glasige Augen.
» In der Nähe der alten Grenze zu Burma, am Drei-Pagoden-Pass. Er mustert die Anwesenden mit mürrischer Miene, als hätten sie die Sünden begangen, denen er nachspürt. »Ich wollte wissen, inwieweit sich dort die Elfenbeinkäfer ausbreiten.«
»Da oben soll es nicht sicher sein, habe ich gehört«, sagt Otto. »Wer ist Ihr Jao Por?«
»Ein Mann namens Chanarong. Mit ihm gab es nicht die geringsten Schwierigkeiten. Ganz im Unterschied zu dem Kadaverkönig oder den unbedeutenderen Jao Por in der Stadt. Nicht allen Paten geht es nur um Macht und Profit.« Hagg mustert seine Tischgenossen vielsagend. »Für uns, die wir es nicht darauf abgesehen haben, das Königreich um Kohle und Jade zu erleichtern, ist es auf dem Land allemal sicher.« Er zuckt mit den Schultern. »Jedenfalls wurde ich von Phra Kritipong eingeladen, sein Kloster zu besuchen. Um nach Veränderungen im Verhalten der Elfenbeinkäfer Ausschau zu halten.« Er schüttelt den Kopf. »Die Verheerungen sind gewaltig. Ganze Wälder ohne ein einziges Blatt. Kudzu, sonst nichts. Das gesamte Oberholz ist weg, alle Stämme umgefallen. «
Otto blickt interessiert auf. »Irgendwas zu retten?«
Lucy mustert ihn angewidert. »Da waren Elfenbeinkäfer am Werk, du Idiot. Damit will hier niemand etwas zu tun haben.«
»Sie sagten, das Kloster hätte Sie eingeladen?«, fragt Anderson. »Obwohl Sie bekennender Grahamite sind?«
»Phra Kritipong ist ein Mensch ohne Vorurteile — er weiß, dass weder Jesus Christus noch die Nischenlehren eine Gefahr für seinesgleichen darstellen. Die Wertvorstellungen der Buddhisten und der Grahamiten überschneiden sich in vielen Bereichen. Noah und der Märtyrer Phra Seub sind komplementäre Gestalten.«
Anderson verbeißt sich ein Lachen. »Wenn Ihr Mönch sehen würde, wie die Grahamiten in ihrer Heimat agieren, würde er es sich vielleicht anders überlegen.«
Hagg wirkte sichtlich beleidigt. »Ich bin nicht irgendein Prediger, der dazu aufruft, Felder niederzubrennen. Ich bin ein Mann der Wissenschaft.«
»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.« Anderson holt eine Ngaw aus seinem Beutel und bietet sie Hagg an. »Das könnte Sie interessieren. Wir haben Sie auf dem Markt entdeckt. «
Hagg begutachtet die Ngaw überrascht. »Auf dem Markt? Auf welchem?«
»Überall«, sagt Lucy.
»Die sind aufgetaucht, während Sie weg waren«, fügt Anderson hinzu. »Versuchen Sie mal — die sind nicht übel.«
Hagg nimmt die Frucht entgegen und untersucht sie genauer. »Ganz außergewöhnlich.«
»Wissen Sie, was das ist?«, fragt Otto.
Anderson schält sich eine weitere Ngaw, hört dabei aber aufmerksam zu. Er selbst würde einem Grahamiten nie eine solche Frage stellen, lässt aber gerne andere die Arbeit machen.
»Quoile hält sie für eine Litschi«, sagt Lucy. »Hat er Recht?«
»Nein, eine Litschi ist das nicht. Dessen bin ich mir sicher. « Hagg dreht sie hin und her. »Sieht so aus, als könnte es etwas sein, was in den alten Texten eine ›Rambutan‹ genannt wird.« Hagg grübelt nach. »Wenn ich mich recht erinnere, sind sie allerdings miteinander verwandt.«
»Rambootan?« Anderson gibt sich betont freundlich und neutral. »Das ist ein seltsamer Name. Die Thai sagen Ngaw dazu.«
Hagg isst die Frucht und spuckt den fetten Kern in seine Hand. Begutachtet den schwarzen Samen, der vor Speichel glänzt. »Ich frage mich, ob sie reinerbig ist oder ob es sich um eine Hybride handelt.
»Sie könnten den Kern in einen Blumentopf stecken und es herausfinden.«
Hagg wirft ihm einen verärgerten Blick zu. »Wenn sie nicht von den Kalorienkonzernen stammt, ist sie reinerbig. Die thailändischen Genhacker stellen keine sterilen Produkte her..«
Anderson lacht. »Ich wusste nicht, dass die Kalorienkonzerne tropische Früchte herstellen.«
»Sie produzieren Ananas.«
»Stimmt. Das habe ich vergessen.« Anderson legt eine kurze Pause ein. »Woher wissen Sie so viel über Obstsorten?«
»Ich habe an der Alabama New University Biosystematik und Ökologie studiert.«
»Das ist die grahamitische Hochschule, richtig? Ich dachte, da lernt man nur, wie man Felder niederbrennt.«
Die anderen halten die Luft an, aber Hogg mustert sein Gegenüber nur mit eisiger Miene. »Versuchen Sie nicht, mich zu provozieren. So einer bin ich nicht. Wenn es uns jemals gelingen soll, Eden wiederherzustellen, werden wir das Wissen der Jahrhunderte benötigen. Bevor ich hierhergekommen bin, habe ich mich mit den südostasiatischen Ökosystemen aus der Zeit vor der Großen Kontraktion vertraut gemacht.« Er greift über den Tisch und nimmt sich noch eine Frucht. »Das wird die Kalorienkonzerne maßlos ärgern.«
Lucy folgt seinem Beispiel. »Glauben Sie, wir könnten einen Klipper damit vollkriegen und zurück übers Meer schicken? Den Spieß umdrehen, verstehen Sie? Ich möchte wetten, dass die Leute dafür ein Vermögen hinblättern würden. Eine neue Geschmacksrichtung? Was für ein Luxus!«
Otto schüttelt den Kopf. »Erst müssten Sie sie überzeugen, dass sie nicht von Rostwelke befallen sind. Die rote Schale würde die Leute nervös machen.«
Hagg nickt zustimmend. »Das ist keine gute Idee.«
»Aber die Kalorienkonzerne machen es doch genauso«, gibt Lucy zu bedenken. »Sie transportieren Samen und Früchte überallhin. Sie treiben Handel auf der ganzen Welt. Warum sollten wir nicht dasselbe versuchen?«
»Weil es gegen alles verstößt, was in der Nischenlehre steht«, erwidert Hagg in sanftem Tonfall. »Die Kalorienkonzerne haben sich ihren Platz in der Hölle längst verdient. Sie sollten nicht versuchen, es ihnen gleichzutun.«
Anderson lacht. »Jetzt kommen Sie schon, Hagg. Sie werden doch nicht ernsthaft etwas gegen ein wenig Unternehmergeist haben? Lucy ist da an etwas dran. Wir könnten sogar Ihr Gesicht außen auf die Kisten drucken.« Er vollführt den grahamitischen Segen. »Sie wissen schon — von der Heiligen Kirche genehmigt und dergleichen mehr. So sicher wie Soy-PRO. « Er grinst. »Was würden Sie davon halten?«