»An einer solchen Blasphemie würde ich mich niemals beteiligen. « Hagg zieht ein finsteres Gesicht. »Nahrungsmittel sollten aus ihrem Ursprungsland kommen und auch dort bleiben. Sie sollten nicht um des Profits willen kreuz und quer über den Globus verfrachtet werden. Diesem Weg sind wir schon einmal gefolgt, und er hat in den Ruin geführt.«
»Und noch mehr Nischenlehre.« Anderson schält noch eine Ngaw. »Irgendwo in dem ganzen orthodoxen Gedankengut der Grahamiten muss doch auch eine Nische für Geld sein. Ihre Kardinäle sind ja schließlich reichlich fett.«
»Die Lehre ist ohne Fehl, selbst wenn die Gemeinde in die Irre geht.« Hagg steht unvermittelt auf. »Vielen Dank für die Gesellschaft.« Er wirft Anderson einen wütenden Blick zu, greift jedoch über den Tisch und nimmt sich eine Ngaw, bevor er davonstolziert.
Sobald er fort ist, entspannen sich alle. »Herrgott, Lucy, was soll das?«, fragt Otto. »Der Kerl ist mir unheimlich. Ich habe den Compact verlassen, damit mir keine grahamitischen Priester mehr über die Schulter blicken. Und du lädst einen an unseren Tisch?«
Quoile nickt missmutig. »Ich habe gehört, dass sich an der gemeinschaftlichen Botschaft auch einer herumtreibt.«
»Die sind überall. Wie die Fliegen.« Lucy schlägt nach ebensolchen. »Gib mir noch eine von diesen Früchten.«
Sie fallen wieder über die Ngaw her. Anderson schaut ihnen dabei zu und fragt sich, ob einer dieser weit gereisten Menschen eine Ahnung hat, woher sie stammen. Die Rambutan ist allerdings eine interessante Möglichkeit. Trotz der schlechten Nachrichten über die zerstörten Algentanks und Nährstofflösungen verläuft der Tag besser als erwartet. Rambutan. Ein Wort, das er den Forschern in Des Moines übermitteln kann. Eine Spur, die sie bei ihren Nachforschungen über das geheimnisvolle botanische Objekt verfolgen können. Irgendwo existieren bestimmt Aufzeichnungen darüber. Er muss sich wieder seinen Büchern zuwenden, um herauszufinden …
»Schaut mal, wer da kommt«, murmelt Quoile.
Alle drehen sich um. Richard Carlyle steigt in einem makellos gebügelten Leinenanzug die Treppe hinauf. Im Schatten angekommen, nimmt er den Hut ab und fächelt sich Luft zu.
»Scheiße, ich hasse diesen Kerl«, murmelt Lucy. Sie hält ein Streichholz über ihre Pfeife und saugt daran.
»Was lächelt der denn so?«, fragt Otto.
»Weiß der Teufel. Dabei hat er doch gerade ein Luftschiff verloren.«
Carlyle bleibt im Schatten stehen, lässt den Blick über die Gäste schweifen und nickt allen zu. »Ziemlich heiß, was?«, sagt er laut.
Otto starrt ihn wütend an; sein Gesicht ist rot angelaufen, und die Augen drohen ihm aus den Höhlen zu treten. »Wenn er die Finger von der Politik gelassen hätte, wäre ich jetzt ein reicher Mann.«
»Regen Sie sich ab.« Anderson steckt sich noch eine Ngaw in den Mund. »Lucy, lassen Sie den Mann mal an Ihrer Pfeife ziehen. Ich will nicht, dass Sir Francis uns wegen einer Prügelei rauswirft.«
Lucys Augen sind von dem Opium ganz glasig, aber sie wedelt mit der Pfeife in die ungefähre Richtung von Otto. Anderson langt über den Tisch, nimmt sie ihr aus der Hand und gibt sie Otto, bevor er aufsteht und nach seinem leeren Glas greift. »Will sonst noch jemand etwas?« Alle schütteln halbherzig den Kopf.
Carlyle grinst, als Anderson an die Bar tritt. »Hat sich Otto wieder beruhigt?«
Anderson erwidert seinen Blick. »Das Opium, das Lucy raucht, hat es in sich. Ich bezweifle, dass er in der Lage sein wird zu laufen, geschweige denn sich mit irgendjemandem zu streiten.«
»Eine Teufelsdroge, das.«
Anderson prostet ihm mit dem leeren Glas zu. »Das und der Schnaps.« Er späht über den Rand der Bar.«
»Wo zum Teufel steckt Sir Francis?«
»Ich dachte, die Frage könnten Sie mir beantworten.«
»Sieht nicht so aus«, erwidert Anderson. »Haben Sie viel verloren?«
»Einiges.«
»Wirklich? Sie wirken nicht weiter bedrückt.« Anderson macht eine Handbewegung, die die ganze Phalanx einschließt. »Alle anderen jammern und heulen, weil Sie sich andauernd in die Politik einmischen und bei Akkarat und dem Handelsministerium einschmeicheln. Und jetzt stehen Sie hier und grinsen breit. Sie könnten ein Thai sein.«
Carlyle zuckt mit den Schultern. Sir Francis, elegant gekleidet und sorgfältig frisiert, taucht aus einem Hinterzimmer auf. Carlyle bestellt einen Whisky, und Anderson hält sein leeres Glas hoch.
»Kein Eis«, sagt Sir Francis. »Die Mulitreiber verlangen mehr Geld fürs Pumpen.«
»Dann geben Sie es Ihnen eben.«
Sir Francis nimmt Andersons Glas und schüttelt den Kopf. »Wenn die einem an die Eier gehen, darf man nicht verhandeln, sonst wird das nur zur Gewohnheit. Und im Unterschied zu Farang wie Ihnen kann ich das Umweltministerium nicht bestechen, um Zugang zum Kohlenetz zu erhalten.«
Er dreht sich um, nimmt eine Flasche Khmer-Whisky vom Regal und schenkt mit geübter Hand ein. Anderson fragt sich, ob an den Gerüchten über diesen Mann irgendetwas Wahres dran ist.
Otto, der inzwischen unzusammenhängendes Zeug über »verdammte Luftschiffe« murmelt, behauptet, Sir Francis sei ein alter Chaopraya gewesen, ein hochrangiger Ratgeber des Königs, der bei einem Machtkampf aus dem Palast gedrängt wurde. Diese Theorie hat ebenso viel für sich wie das Gerücht, er sei ein ehemaliger Diener des Kadaverkönigs im Ruhestand oder ein Prinz der Khmer im Exil, der unter falschem Namen lebt, seit sich das Königreich Thailand ausgedehnt und die östlichen Gebiete vereinnahmt hat. Alle sind sich einig, dass er von edler Abstammung sein muss — das ist die einzige Erklärung für die Verachtung, die er seinen Gästen gegenüber zur Schau stellt.
»Bezahlen Sie jetzt gleich«, sagt er, als er die Gläser auf die Bar stellt.
Carlyle lacht. »Sie wissen, dass wir kreditwürdig sind.«
Sir Francis schüttelt den Kopf. »Sie haben beide auf den Ankerplätzen viel verloren. Alle wissen das. Bezahlen Sie jetzt gleich.«
Carlyle und Anderson lassen Münzen auf die Theke fallen. »Ich dachte, wir würden uns besser kennen«, beschwert sich Anderson.
»So ist das nun mal in der Politik.« Sir Francis lächelt. »Vielleicht sind Sie morgen wieder hier. Vielleicht aber werden Sie fortgespült wie der Plastikmüll aus der Expansionszeit an einem Strand. An allen Straßenecken kann man Flüsterblätter kaufen und darin die Forderung lesen, Hauptmann Jaidee solle Chaopraya-Ratgeber im Palast werden. Wenn er berufen wird, dann ist es mit Farang wie Ihnen …« Er wedelt mit der Hand, als würde er jemanden fortscheuchen. »… aus und vorbei.« Er zuckt mit den Schultern. »General Prachas Radiosender bezeichnen Jaidee als Tiger und Helden, und die Studentenverbände fordern, dass das Handelsministerium geschlossen und den Weißhemden unterstellt wird. Das Handelsministerium hat an Gesicht verloren. Farang und das Ministerium sind so untrennbar miteinander verbunden wie Farang und Flöhe.«
»Sehr hübsch.«
Sir Francis zuckt mit den Schultern. »Sie riechen eben.«
Carlyle blickt ihn finster an. »Hier riecht jeder. Gottverdammt nochmal, es ist heiß!«
Anderson geht dazwischen. »Dann werden sie im Handelsministerium wohl schäumen, wenn sie so sehr das Gesicht verloren haben.« Er nippt an dem warmen Whisky und verzieht das Gesicht. Bevor er hierherkam, hat ihm Schnaps bei Zimmertemperatur geschmeckt.
Sir Francis zählt die Münzen in seine Geldkassette. »Minister Akkarat stellt noch immer ein Lächeln zur Schau, aber die Japaner verlangen Entschädigungen für ihre Verluste, und da sind sie bei den Weißhemden an der falschen Adresse. Entweder bezahlt Akkarat also aus seiner eigenen Tasche für das, was der Tiger von Bangkok getan hat, oder er wird auch den Japanern gegenüber das Gesicht verlieren.«