Stattdessen sind die Chinesen in Malakka und Penang und an der Westküste voller Arroganz für sich geblieben und haben geglaubt, die anschwellende Flut des Fundamentalismus könne ihnen nichts anhaben. Und jetzt kommen sie als Bettler ins Königreich und hoffen, dass ihre Vettern aus Chaozhou ihnen helfen, nachdem sie zu dumm waren, sich selbst zu helfen.
Die Chaozhou dagegen sind schlau und geschickt — sie sind praktisch Thai. Sie sprechen Thai. Sie haben thailändische Namen angenommen. Irgendwo in ihrer fernen Vergangenheit mögen sie chinesische Wurzeln haben, aber sie sind Thai geworden. Und sie sind loyal. Was zugegebenermaßen mehr ist, als Jaidee von einem Teil seines eigenen Volkes behaupten kann. Für Akkarat und seine Brut im Handelsministerium ist Loyalität jedenfalls ein Fremdwort.
Also empfindet Jaidee ein gewisses Maß an Mitgefühl mit dem Chaozhou, einem Geschäftsmann, der — in ein langes weißes Hemd und weite Baumwollhosen gekleidet und mit Sandalen an den Füßen — vor ihm in der Fertigungshalle auf und ab schreitet und sich beschwert, dass seine Fabrik geschlossen worden sei, weil irgendeine Kohlezuteilung überschritten wurde, dabei habe er sämtliche Weißhemden bezahlt, die durch diese Tür gekommen seien, und Jaidee habe kein Recht — kein Recht —, die ganze Fabrik dichtzumachen.
Jaidee hat sogar noch Verständnis dafür, dass der Chinese ihn ein Schildkrötenei schimpft — eine ziemliche Beleidigung, wenn man bedenkt, wie es im Chinesischen gemeint ist. Trotzdem toleriert er den Gefühlsausbruch des Geschäftsmanns. Die Chinesen sind nun einmal ein wenig heißblütig. Sie neigen zu Gefühlsausbrüchen, denen ein Thai niemals nachgeben würde.
Alles in allem empfindet Jaidee also ein gewisses Mitgefühl mit seinem Gegenüber.
Aber für einen Mann, der ihm wiederholt den Finger in die Brust rammt, während er lauthals flucht, empfindet er keine Sympathie, und deshalb sitzt Jaidee jetzt auf der Brust des Chinesen, presst ihm den schwarzen Schlagstock auf die Luftröhre und erklärt ihm ausführlich, dass es besser wäre, wenn er den Weißhemden künftig mit angemessener Achtung begegnen würde.
»Sie scheinen mich mit jemandem verwechselt zu haben — mit jemandem aus dem Ministerium«, stellt Jaidee in ruhigem Tonfall fest.
Der Chinese röchelt und versucht sich zu befreien, aber der Schlagstock, der ihm die Gurgel zu zerquetschen droht, hindert ihn daran. Jaidee mustert ihn eingehend. »Sie sind sich doch bestimmt darüber im Klaren, dass wir Kohle rationieren, weil die Stadt unter dem Meeresspiegel liegt, nicht wahr? Ihre Zuteilung wurde schon vor Monaten überschritten. «
»Ghghhaha.«
Jaidee überlegt, wie er reagieren soll. Traurig schüttelt er den Kopf. »Nein. Ich denke, das kann nicht so weitergehen. König Rama XII. hat verfügt, dass wir nie zulassen werden, dass Krung Thep den ansteigenden Meeresfluten anheimfällt, und Ihre Majestät die Kindskönigin hat diesen Erlass bestätigt. Wir werden nicht aus der Stadt der Engel fliehen, so wie die Feiglinge in Ayutthaya vor den Burmesen geflohen sind. Der Ozean ist keine Armee, die vor unseren Toren aufmarschiert. Wenn wir erst einmal vor dem Wasser zurückweichen, können wir das Land nie mehr zurückerobern.« Er betrachtet den schwitzenden Chinesen. »Und deshalb müssen wir alle unsere Pflicht tun. Wir müssen gemeinsam kämpfen, wie die Bewohner des Dorfes Bang Rajan, um den Eindringling von unseren Straßen fernzuhalten. Stimmen Sie mir da nicht zu?«
»Gghhghghhghhhh …«
»Gut.« Jaidee lächelt. »Es freut mich, dass wir Fortschritte machen.«
Jemand räuspert sich.
Jaidee blickt auf und unterdrückt seine Verärgerung. »Ja?«
Ein junger Gefreiter in einer neuen weißen Uniform steht neben ihnen und wartet. »Khun Jaidee.« Er bezeigt ihm mit einem Wai seinen Respekt. Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Sie unterbreche«, sagte er mit gesenktem Kopf.
»Ja?«
»Chao Khun General Pracha erwartet Sie.«
»Ich bin beschäftigt«, sagt Jaidee. »Unser Freund hier scheint endlich bereit, sich kühlen Blutes und in angemessener Haltung mit uns zu verständigen.« Er schenkt dem Geschäftsmann ein freundliches Lächeln.
»Ich soll Ihnen ausrichten …«, fährt der Junge fort. »Mir wurde aufgetragen …«
»Sag schon.«
»Ich soll Ihnen ausrichten, Sie sollen Ihren, Ihren — bitte verzeihen Sie — Ihren ›selbstsüchtigen Arsch‹ — bitte verzeihen Sie — ins Ministerium bewegen. Sofort, wenn nicht schneller.« Der Gefreite windet sich sichtlich. »Wenn Sie kein Fahrrad haben, sollen Sie meins nehmen.«
Jaidee zieht eine Grimasse. »Aha. Nun gut.« Er steht auf und nickt Kanya zu. »Leutnant? Vielleicht können Sie unserem Freund Vernunft beibringen?«
Kanya sieht ihn verwundert an. »Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«
»Offenbar möchte Pracha sich nun doch mal ordentlich Luft machen.«
»Soll ich Sie begleiten?« Kanya wirft einen Blick auf den Geschäftsmann. »Die alte Echse kann warten.«
Jaidee muss über ihre Besorgnis lächeln. »Keine Angst. Bringen Sie das hier zu Ende. Wenn Sie zurückkommen, lasse ich Sie wissen, ob wir für den Rest unserer Laufbahn in den Süden verbannt werden, um die Lager der Yellow Cards zu bewachen.«
Während Jaidee und der Gefreite zur Tür eilen, hat der Geschäftsmann seinen Mut wiedergefunden. »Das wird Sie Ihren Kopf kosten, Heeya!«
Jaidee hört, wie Kanyas Schlagstock auf den Kopf des Chinesen trifft und dieser einen Schrei ausstößt. Dann schließt sich die Tür der Fabrik hinter ihnen.
Draußen brennt die Sonne auf sie herab. Jaidee schwitzt bereits von seiner Auseinandersetzung mit dem Geschäftsmann, umso unangenehmer ist ihm die Hitze. Er wartet im Schatten einer Kokosnusspalme, bis der Bote sein Fahrrad geholt hat.
Der Junge bemerkt, wie sehr Jaidee schwitzt, und fragt ihn besorgt: »Möchten Sie sich nicht etwas ausruhen?«
Jaidee lacht. »Mach dir keine Sorgen um mich, ich werde nur alt. Dieser Heeya war äußerst störrisch, und ich bin nicht mehr der Kämpfer, der ich einmal war. In der kühlen Jahreszeit würde ich nicht so sehr schwitzen.«
»Sie haben viele Kämpfe gewonnen.«
»Einige.« Jaidee grinst. »Und ich habe auch trainiert, wenn es heißer war als jetzt.«
»Ihr Leutnant könnte sich um solche Sachen kümmern«, erwidert der Junge. »Sie müssen nicht so hart arbeiten.«
Jaidee wischt sich den Schweiß von der Stirn und schüttelt den Kopf. »Was würden meine Männer dann denken? Dass ich faul bin!«
Der Junge ringt nach Luft. »Das würde niemand von Ihnen denken. Niemals!«
»Wenn du es erst einmal zum Hauptmann gebracht hast, wirst du das besser verstehen.« Jaidee lächelt nachsichtig. »Männer sind einem treu ergeben, wenn man selbst an vorderster Front steht. Keiner meiner Leute wird je seine Zeit darauf verschwenden, einen Kurbelventilator anzutreiben oder mir mit einem Palmwedel Luft zuzufächeln, nur damit ich es bequem habe wie diese Heeya im Handelsministerium. Ich mag der Anführer sein, aber wir sind alle Brüder. Versprich mir, dass du es genauso halten wirst, wenn du Hauptmann bist!«
Die Augen des Jungen leuchten. Er verneigt sich ein weiteres Mal. »Ja, Khun. Das werde ich nicht vergessen. Vielen Dank!«