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»Braver Junge.« Jaidee schwingt sich in den Sattel. »Wenn Leutnant Kanya hier fertig ist, dann nimmt sie dich auf unserem Tandem mit.«

Er fährt los. Wer in der heißen Jahreszeit mit dem Rad unterwegs ist, muss entweder verrückt oder hoch motiviert sein. Die meisten Menschen harren im Schatten aus, unter Torbögen oder Planen, die die Gassen überspannen. Jaidee passiert Märkte, auf denen Gemüse, Geschirr und Kleider verkauft werden.

Auf der Thanon Na Phralan nimmt er die Hände vom Lenker und verneigt sich im Vorbeifahren vor dem Schrein der Stadtsäulen; er flüstert ein Gebet für die Sicherheit des spirituellen Herzens von Bangkok. Dort hat König Rama XII. seine Erklärung verlesen, dass sie die Stadt nicht dem ansteigenden Meer überlassen würden. Jetzt dringt der Gesang der Mönche auf die Straße, die um das Überleben der Stadt bitten, und er erfüllt Jaidee mit innerem Frieden. Dreimal hebt er die Hand an die Stirn, einer von vielen Radlern, die dasselbe tun.

Fünfzehn Minuten später taucht das Umweltministerium vor ihm auf, eine Reihe von mit roten Ziegeln gedeckten Gebäuden mit steilen Dächern, die aus einem Dickicht aus Bambus, Teak und Regenbäumen herausragen. Hohe weiße Mauern und Bildnisse von Garuda und Singha wachen über das Ministerium; der Regen hat auf ihnen seine Spuren hinterlassen, und sie werden von Farnen und Moosen eingefasst.

Jaidee hat das Grundstück schon einmal aus der Luft gesehen — er gehörte zu einer Handvoll Männern, die an Bord eines Luftschiffes über die Stadt flogen. Damals war Chaiyanuchit noch Umweltminister und der Einfluss der Weißhemden uneingeschränkt. Seuchen fegten über die Erde und töteten die Ernte mit einem solch schwindelerregenden Tempo, dass niemand wusste, ob etwas überleben würde.

Chaiyanuchit war sich darüber im Klaren, was auf dem Spiel stand und was getan werden musste. Als die Grenzen geschlossen, als Ministerien isoliert, als Phuket und Chiang Mai ausradiert werden mussten, zögerte er nicht. Als im Norden die Dschungelblüte explodierte, brannte er unbarmherzig alles nieder, und als er im Luftschiff Seiner Majestät des Königs in den Himmel aufstieg, dufte Jaidee ihn begleiten.

Zu jener Zeit waren sie allerdings nur noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt. AgriGen und PurCal und die anderen lieferten ihre seuchenresistenten Samen und forderten exorbitante Profite; patriotische Genfledderer arbeiteten bereits daran, den Code der Kalorienkonzerne zu knacken, und versuchten mit all ihrer Kraft, das Königreich mit Nahrung zu versorgen, während Burma und die Vietnamesen und die Khmer dem Untergang geweiht waren. AgriGen drohte mit einem Embargo, weil ihr geistiges Eigentum verletzt worden sei, aber das Königreich Thailand war noch am Leben. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Während andere von den Kalorienkonzernen ausgequetscht wurden, blieb das Königreich standhaft.

Embargo! Chaiyanuchit hatte nur gelacht. Das ist doch genau das, was wir wollen! Wir wollen keinerlei Kontakt zur Außenwelt haben.

Und so waren Mauern in die Höhe geschossen, eine nach der anderen — sofern der Ölkollaps und die Angst vor dem Bürgerkrieg und den hungernden Flüchtlingen nicht sowieso schon allerorten dazu geführt hatten, dass die Grenzen geschlossen wurden. Barrieren legten sich um das Königreich und schotteten es vor der Außenwelt ab.

Als frischer Rekrut war Jaidee erstaunt gewesen, was für eine Hektik im Umweltministerium herrschte. Weißhemden eilten aus ihren Büros auf die Straße hinaus und versuchten, unter Tausenden von Gefahren den Überblick zu behalten. In keinem anderen Ministerium war das Gefühl von Dringlichkeit so ausgeprägt. Auf den Ausbruch von Seuchen musste blitzschnell reagiert werden. Wurde in einem abgelegenen Distrikt ein einziger transgener Rüsselkäfer entdeckt, handelten sie innerhalb von wenigen Stunden, und die Weißhemden rasten mit einem Spannfederzug quer durchs Land zum Epizentrum der Seuche.

Täglich wurde der Zuständigkeitsbereich des Ministeriums erweitert. Die Seuchen waren nur der vorerst letzte Angriff auf das Königreich. Den Anfang machte der ansteigende Meeresspiegel, weshalb Deiche und Dämme gebaut werden mussten. Dann folgte die Regulierung des Energiemarktes, der Handel mit Kohlenstoffguthaben und die strenge Ahndung von Verstößen gegen die Klimabestimmungen. Die Weißhemden übernahmen die Lizenzierung der Produktion und Verwertung von Methan. Sie überwachten das Fischereiwesen und vor allem das Ausmaß der Toxinanreicherung in der letzten Kalorienbastion des Königreichs (es war ein Segen, dass die Kalorienkonzerne der Farang wie Binnenlandbewohner dachten und nur halbherzige Angriffe auf die Fischbestände geführt hatten). Und natürlich musste der Gesundheitszustand der Menschen sowie die Ausbreitung von Viren und Bakterien im Auge behalten werden: H7V9; Cibiskose111. b, c, d; die fa’ gan-Wucherung; Bitterwassermuscheln und ihre viralen Mutationen, die so leicht vom Salzwasser aufs Festland übersprangen; Rostwelke … Die Pflichten des Ministeriums kannten keine Grenzen.

Jaidee fährt an einer Frau vorbei, die Bananen verkauft. Rasch springt er vom Rad und kauft sich eine — er kann nicht anders. Es ist eine neue Sorte, von der fleißigen Abteilung für Prototypen im Ministerium geschaffen. Schnell wachsend und resistent gegen Makmak-Milben, die mit ihren winzigen schwarzen Eiern die Bananenblüten befallen, bevor sie richtig wachsen können. Er schält die Banane und isst sie gierig, während er das Fahrrad schiebt — wenn er doch nur die Zeit hätte, etwas Anständiges zu sich zu nehmen! Schließlich wirft er die Schale neben den Stamm eines Regenbaums.

Alles, was lebt, produziert Abfälle. Das zieht Unkosten, Gefahren und Probleme der Entsorgung nach sich, und so fand sich das Ministerium plötzlich im Mittelpunkt allen Lebens wieder, mit der Aufgabe betraut, den Abfall, den die Menschen zurückließen, möglichst schadensneutral zu beseitigen und die Gesetzesverstöße der Kurzsichtigen und Habgierigen zu verfolgen — derjenigen, die auf raschen Profit hoffen, auch auf Kosten des Lebens anderer.

Das Symbol des Umweltministeriums ist das Auge einer Schildkröte. Sie steht für Weitblick — für das Bewusstsein, dass überall verdeckte Kosten lauern, auch wenn die Dinge scheinbar billig und leicht verfügbar sind. Und wenn die anderen jetzt vom Schildkrötenministerium reden und die Chaozhou-Chinesen die Weißhemden als Schildkröteneier beschimpfen, weil sie nicht mehr so viele Spannfederroller herstellen dürfen, wie sie gerne möchten, dann sei es drum. Das Umweltministerium hat sichergestellt, dass das Königreich überlebt, und wenn Jaidee daran zurückdenkt, was in diesen Mauern geleistet wurde, ist er von Ehrfurcht erfüllt.

Und trotzdem, als er vor den Toren des Ministeriums vom Fahrrad steigt, wirft ein Mann ihm einen zornigen Blick zu, und eine Frau schaut demonstrativ weg. Sogar unmittelbar vor dem Gebäude selbst — oder vielleicht vor allem dort —, wenden sich die Menschen, die er beschützt, von ihm ab.

Jade verzieht das Gesicht und schiebt sein Rad an den Wachen vorbei.

Hier herrscht noch immer große Hektik, und doch ist vieles anders geworden, seit er sich hat anwerben lassen. An den Wänden breitet sich Schimmel aus, und die Mauern haben unter dem Ansturm der Schlingpflanzen Risse bekommen. An einer Ecke lehnt ein alter Bobaum und fault vor sich hin — ein stummer Zeuge ihres Scheiterns. Seit zehn Jahren steht er nun schon so da. So viele Dinge sind gestorben, dass ihm niemand mehr Beachtung schenkt. Das ganze Gebäude wirkt heruntergekommen, als würde der Dschungel versuchen, das zurückzuerobern, was ihm entrissen worden ist. Würde niemand die Ranken auf den Wegen entfernen, hätten sie das Ministerium längst unter sich begraben.

Als die Mitarbeiter des Ministeriums noch als Volkshelden galten, wäre dergleichen unmöglich gewesen. Damals beugten die Menschen die Knie vor den Beamten, als wären die Soldaten Mönche, und ihre weißen Uniformen erweckten Respekt und Verehrung. Jetzt sieht Jaidee die Zivilisten zusammenzucken, wenn er vorbeischlendert. Und die Flucht ergreifen.