Aus einiger Entfernung steigen Angstschreie himmelwärts, so schwarz und ölig wie Rauch von der brennenden Hütte eines Bauern. Kanya atmet tief ein. Fast empfindet sie so etwas wie Nostalgie. Der Rauch ist derselbe. Sie zieht wieder an ihrer Zigarette, atmet aus. Fragt sich, ob ihre Männer nicht vielleicht doch übertreiben. Ein Feuer in diesen WeatherAll-Slums wäre ein ziemliches Problem. Die Öle, die das Holz vor Fäulnis schützen, entzünden sich bei Hitze leicht. Sie raucht gemächlich weiter. Was soll sie auch dagegen tun? Wahrscheinlich ist das nur ein Offizier, der illegal gesammeltes Altholz verbrennt. Sie streckt die Hand nach ihrer Kaffeetasse aus und betrachtet den Bluterguss auf der Wange des Mannes, der sie bedient.
Wenn es nach dem Umweltministerium ginge, befänden sich all diese Yellow-Card-Flüchtlinge auf der anderen Seite der Grenze. Ein Problem der Malaien. Das Problem eines anderen souveränen Staates. Nicht des Königreichs. Aber Ihre Majestät die Kindskönigin ist gnädig und barmherzig. Im Unterschied zu Kanya.
Kanya drückt ihrer Zigarette aus. Das ist guter Tabak, Gold Leaf, ein einheimisches Konstrukt, der Beste im ganzen Königreich. Sie zieht eine weitere Zigarette aus der Schachtel aus Hirsefolie und zündet sie an der blauen Flamme an.
Der Yellow Card bemüht sich weiterhin um eine höfliche Miene, als sie ihm bedeutet, er möge ihr süßen Kaffe nachschenken. Im Stadion wird gejubelt, und auch die Männer, die sich um das knisternde Radio versammelt haben, jubeln — für den Augenblick haben sie die Frau in der weißen Uniform vergessen.
Die Schritte sind fast lautlos, den Jubelrufen angepasst, aber der Gesichtsausdruck des Yellow Card verrät seine Ankunft. Kanya blickt nicht auf. Sie gibt dem Mann, der neben ihr steht, mit einer Geste zu verstehen, dass er sich zu ihr setzen soll.
»Entweder tötest du mich, oder du setzt dich hin«, sagt sie.
Ein leises Kichern. Der Mann setzt sich.
Narong trägt ein weites Hemd mit schwarzem Stehkragen und eine graue Hose. Ordentliche Kleider. Ein Büroangestellter vielleicht. Nur seine Augen verraten ihn: Sie sind zu aufmerksam. Und sein Körper ist zu entspannt. Er strahlt eine Arroganz aus, die nur mit Mühe in diese Kleider passt. Manche Menschen sind einfach zu mächtig, um einen niedrigeren Status vorzutäuschen. Aus diesem Grund ist er auch auf den Ankerplätzen aufgefallen. Sie unterdrückt ihren Zorn und wartet schweigend.
»Gefällt Ihnen die Seide?« Er streicht über sein Hemd. »Sie kommt aus Japan. Dort gibt es noch Seidenwürmer.«
Sie zuckt mit den Achseln. »Ich mag rein gar nichts an Ihnen, Narong.«
Darüber muss er lächeln. »Jetzt aber, Kanya. Da hat man Sie zum Hauptmann befördert, und Sie freuen sich nicht einmal. «
Er bedeutet dem Yellow Card, ihm Kaffee einzuschenken. Sie schauen zu, wie die dunkelbraune Flüssigkeit in ein Glas fließt. Der Yellow Card stellt eine Schüssel Suppe vor Kanya auf die Theke, Fischbällchen, Zitronengras und Hühnerbrühe. Sie fängt an, U-Tex-Nudeln herauszufischen.
Narong sitzt geduldig neben ihr. »Sie haben um dieses Treffen gebeten«, sagt er schließlich.
»Haben Sie Chaya umgebracht?«
Narong richtet sich auf. »Ihnen hat es schon immer an Umgangsformen gefehlt. Obwohl Sie schon so lange in der Stadt leben und wir Ihnen so viel Geld gegeben haben, benehmen Sie sich noch immer wie ein Fischfarmer vom Mekong.«
Kanya mustert ihn mit ausdrucksloser Miene. Wenn Sie ehrlich ist, muss sie sich eingestehen, dass sie Angst vor ihm hat, aber sie weiß es zu verbergen. Hinter ihr ertönt erneut Jubel aus dem Radio. »Sie sind genauso widerlich wie Pracha«, sagt sie.
»Als Sie noch ein kleines, verletzliches Mädchen waren und wir zu Ihnen kamen, um Sie nach Bangkok zu holen, waren Sie anderer Meinung. Schließlich haben wir jahrelang Ihre Tante unterstützt. Und wir haben Ihnen die Gelegenheit gegeben, General Pracha und den Weißhemden einen vernichtenden Schlag zu versetzen.«
»Alles hat Grenzen. Chaya hat nichts getan.«
Wie er sie jetzt ansieht, gleicht Narong noch immer einer Spinne. Schließlich sagt er: »Jaidee hat den Bogen überspannt. Sie haben ihn sogar gewarnt. Passen Sie bloß auf, dass Sie nicht selbst in den Rachen der Kobra springen.«
Kanya will etwas erwidern, überlegt es sich dann jedoch anders. Als sie ihre Stimme wieder unter Kontrolle hat, sagt sie: »Werden Sie mit mir dasselbe machen wie mit Jaidee?«
»Kanya, wie lange kennen wir uns jetzt schon?« Narong lächelt. »Wie lange kümmere ich mich jetzt schon um Ihre Familie? Sie sind unsere geschätzte Tochter.« Er schiebt ihr einen dicken Umschlag zu. »Ich würde ihnen niemals etwas tun«, fährt er fort. »Wir sind nicht wie Pracha.« Narong hält einen Moment inne. »Wie wird der Tod des Tigers in Ihrer Abteilung aufgenommen?«
»Schauen Sie sich um!« Kanya deutet mit einer Kopfbewegung in die Richtung, aus der die Wut- und Schmerzensschreie kommen. »Der General ist außer sich. Jaidee war für ihn fast wie ein Bruder.«
»Ich habe gehört, dass er das Handelsministerium direkt angreifen will. Es vielleicht sogar in Schutt und Asche legen.«
»Natürlich will er das. Ohne das Handelsministerium hätten wir nur halb so viele Probleme.«
Narong zuckt mit den Schultern. Der Umschlag liegt zwischen ihnen. Ebenso gut könnte Jaidees Herz auf der Theke liegen. Sie hat lange darauf gewartet, Rache zu nehmen. Jetzt ist es ihr gelungen.
Es tut mir leid, Jaidee. Ich habe versucht, dich zu warnen.
Sie greift nach dem Umschlag, nimmt das Geld heraus und stopft es sich in eine Gürteltasche, während Narong ihr dabei zuschaut. Selbst das Lächeln dieses Mannes ist so scharf wie eine Rasierklinge. Das Haar hat er sich nach hinten gegelt — es glänzt seidig. Regungslos sitzt er da und wirkt dabei furchterregend.
Und mit seinesgleichen haben Sie sich eingelassen, murmelt eine Stimme in ihrem Kopf.
Kanya zuckt zusammen. Die Stimme hat sich angehört wie Jaidee. Genauso ironisch und unerbittlich. Eine klare Aussage, aber mit Humor vorgetragen. Jaidee hatte nie seinen Sinn für Sanuk verloren.
Ich bin nicht Ihresgleichen, denkt Kanya bei sich.
Wieder das Grinsen und das Kichern. Das wusste ich doch.
Warum haben Sie mich dann nicht einfach umgebracht?
Die Stimme schweigt. Hinter ihnen dringt noch immer der Jubel im Muay-Thai-Stadion aus dem Radio. Charoen und Sakda. Ein guter Kampf. Aber entweder hat Charoen eine Menge dazugelernt, oder Sakda ist dafür bezahlt worden zu verlieren. Kanya kann ihren Wetteinsatz abschreiben. Das riecht nach einem abgekarteten Spiel. Vielleicht hat sich der Kadaverkönig eingemischt. Kanya verzieht ärgerlich das Gesicht.
»Ein schlechter Kampf?«, fragt Narong.
»Ich setze immer auf den Falschen.«
Narong lacht. »Deshalb ist es hilfreich, vorab an Informationen zu kommen.« Er reicht ihr einen Fetzen Papier.
Kanya überfliegt die Namensliste. »Das sind alles Freunde von Pracha. Manche davon sogar Generäle. Sie stehen unter seinem Schutz, wie die Kobra über den Buddha wachte.«
Narong grinst. »Umso überraschter werden sie sein, wenn er sich plötzlich gegen sie wendet. Nehmen Sie sie in die Mangel. Es muss richtig wehtun. Zeigen Sie ihnen, dass niemand das Umweltministerium auf die leichte Schulter nehmen darf. Dass das Ministerium alle Verstöße gleichermaßen ahndet. Keine Vetternwirtschaft mehr! Führen Sie ihnen vor Augen, dass das Umweltministerium unnachgiebig ist.«
»Sie möchten einen Keil zwischen Pracha und seine Verbündeten treiben? Sie wütend auf ihn machen?«
Narong zuckt mit den Schultern. Erwidert nichts. Kanya isst ihre Nudeln auf. Als ihr keine weiteren Anweisungen mehr erteilt werden, steht sie auf. »Ich muss los. Meine Männer dürfen uns nicht miteinander sehen.«