Выбрать главу

Narong entlässt sie mit einem Kopfnicken. Kanya stolziert aus der Garküche hinaus, während die Radiozuhörer erneut ein enttäuschtes Stöhnen ausstoßen — Sakda lässt sich offenbar von Charoens wiedererwachter Wildheit einschüchtern.

An der Straßenecke zieht Kanya im grünen Schein des Methans ihre Uniform straff. Auf ihrer Jacke sind Flecken — Überbleibsel der Zerstörung, die sie in den letzten Stunden angerichtet hat. Angewidert runzelt sie die Stirn. Fährt mit der Hand darüber. Betrachtet noch einmal die Liste, die Narong ihr gegeben hat, und prägt sich die Namen ein.

Bei diesen Männern und Frauen handelt es sich um die engsten Freunde von General Pracha. Und sie wird nun mit derselben Strenge gegen sie vorgehen wie gegen die Yellow Cards in ihren Hochhäusern. So energisch wie General Pracha vor vielen Jahren gegen ein kleines Dorf im Nordosten vorgegangen ist, wobei er hungernde Familien und brennende Hütten zurückließ.

Schwierig. Aber ausnahmsweise auch fair.

Kanya zerknüllt die Liste in ihrer Hand. So ist es nun mal auf unserer Welt, denkt sie bei sich. Wie du mir, so ich dir, bis wir alle tot sind und die Cheshire unser Blut auflecken.

Sie fragt sich, ob es früher wirklich besser war, ob es wirklich einmal ein Goldenes Zeitalter gegeben hat, angetrieben von Erdöl und Technologie. Eine Zeit, als nicht jede Lösung eines Problems sofort ein weiteres Problem nach sich zog. Sie möchte die Farang verfluchen, die das alles verschuldet haben. Die Kalorienmänner mit ihren auf Hochtouren arbeitenden Laboren und ihren sorgsam herangezogenen Getreidesorten, die, so hieß es, die ganze Welt ernähren würden. Mit ihren optimierten Tieren, die so viel weniger Kalorien benötigen und so viel effizienter sind. Die AgriGens und PurCals, die behaupteten, ihnen käme es nur darauf an, den Hunger auszurotten, ihr patentiertes Getreide zu exportieren, und dann fanden sie immer eine Entschuldigung, das hinauszuzögern.

Ach Jaidee, denkt sie. Es tut mir leid. Es tut mir so leid. Wegen allem, was ich Ihnen und Ihrer Familie angetan habe. Eigentlich wollte ich Ihnen gar nicht wehtun. Wenn ich gewusst hätte, wie hoch der Preis dafür ist, an Pracha Rache zu nehmen, wäre ich nie nach Krung Thep gekommen.

Anstatt ihren Soldaten zu folgen, sucht sie einen Tempel auf. Es ist nur ein winziger Nachbarschaftsschrein, um den sich eine Handvoll Mönche kümmern. Ein kleiner Junge kniet neben seiner Großmutter vor dem glitzernden Bildnis des Buddha, ansonsten ist der Raum leer. Kanya kauft dem Händler am Eingang ein paar Räucherstäbchen ab und geht hinein. Sie zündet sie an und kniet nieder, hält sich die brennenden Stäbchen an die Stirn und hebt sie dreimal hoch, um zu den drei Juwelen — Buddha, Dharma und Sangha — Zuflucht zu nehmen. Sie betet.

Wie viele böse Taten hat sie begangen? Wie viel schlechtes Kamma hat sie auf sich geladen? War es wichtiger, Akkarat treu zu bleiben und seinen Versprechen zu glauben, dass er die Waage ins Gleichgewicht bringen würde? Oder war es wichtiger, ihrem Adoptivvater Jaidee treu zu bleiben?

Ein Mann kommt in dein Dorf und verspricht dir Essen, ein Leben in der Stadt und Geld für den Husten deiner Tante und den Whisky deines Onkels. Und er hat es nicht einmal auf deinen Körper abgesehen. Was sonst kann man sich noch wünschen? Womit sonst ließe sich Loyalität erkaufen? Jeder benötigt einen Patron.

Mögest du in deinem nächsten Leben bessere Freunde haben, treuer Krieger.

Ach Jaidee, es tut mir leid.

Möge ich eine Million Jahre lang als Geist herumirren, um Buße zu tun.

Mögest du an einem besseren Ort als diesem wiedergeboren werden.

Sie steht auf, verneigt sich ein letztes Mal vor dem Buddha und verlässt den Tempel. Auf den Stufen bleibt sie stehen und blickt zu den Sternen hinauf. Sie fragt sich, wie es kommt, dass ihr Kamma sie auf diese Weise vernichtet hat. Sie schließt die Augen und ringt mit den Tränen.

Ein paar Straßen weiter geht ein Gebäude in Flammen auf. Ihr unterstehen über einhundert Soldaten, die in diesem Viertel eingefallen sind, um den Leuten zu zeigen, dass sie es ernst meinen. Auf dem Papier sind Gesetze eine wunderbare Sache, aber wenn keine Schmiergelder ihre Fesseln lockern, können sie wehtun. Das haben die Menschen vergessen. Plötzlich ist sie furchtbar müde. Sie dreht dem Gemetzel den Rücken zu. Für eine Nacht hat sie genug Blut und Ruß an den Händen. Ihre Männer wissen, was sie zu tun haben. Bis zu ihrem Haus ist es nicht weit.

»Hauptman Kanya?«

Kanya öffnet die Augen. Die Dämmerung sickert allmählich in das Zimmer. Einen Moment lang ist sie zu groggy, um sich daran zu erinnern, was in den letzten Tagen passiert ist, welchen Rang sie bekleidet …

»Hauptmann?« Die Stimme dringt durch die Jalousie vor dem Fenster.

Kanya steigt mühsam aus dem Bett und geht zur Tür. »Ja?«, ruft sie hindurch. »Was ist denn?«

»Sie werden im Ministerium erwartet.«

Kanya öffnet die Tür, nimmt einen Umschlag entgegen und wickelt das Siegel ab. »Das kommt ja vom Quarantänedezernat«, sagt sie erstaunt.

Der Bote nickt. »Dafür hatte sich Hauptmann Jaidee freiwillig gemeldet …« Er verstummt. »Da alle im Dienst sind, hat General Pracha gebeten …« Er zögert.

Kanya nickt. »Ja. Natürlich.«

Sie bekommt eine Gänsehaut, als sie sich daran erinnert, was Jaidee ihr über die ersten Cibiskose-Erreger erzählt hat. Wie er, das Herz in den Hosen, zusammen mit seinen Männern seine Pflicht getan hat, wobei sie sich unablässig fragten, wer von ihnen wohl das Ende der Woche überleben würde. Alle hatten sie entsetzliche Angst davor, krank zu werden, alle schwitzten sie sich die Seele aus dem Leib, was sie nicht daran hinderte, ganze Dörfer niederzubrennen. Hütten und Wats und Bildnisse Buddhas gingen sämtlich in Flammen auf, während die Mönche ihre Gesänge anstimmten und die Geister um Hilfe anflehten; und überall um sie herum lagen die Menschen mit zerfetzter Lunge auf der Erde und starben, erstickten an ihrer eigenen Körperflüssigkeit. Das Quarantänedezernat. Sie liest die Botschaft. Nickt dem Jungen knapp zu. »Ja. Ich verstehe.«

»Soll ich etwas melden?«

»Nein.« Sie legt den Umschlag auf einen Beistelltisch — ein Skorpion in Lauerstellung. »Das ist alles, was ich brauche.«

Der Bote salutiert und rennt die Treppe hinunter zu seinem Fahrrad. Kanya schließt nachdenklich die Tür. Der Umschlag lässt Entsetzliches ahnen. Vielleicht ist das ihr Kamma. Vergeltung.

Innerhalb kürzester Zeit ist sie unterwegs zum Ministerium. Sie radelt begrünte Straßen entlang, überquert Kanäle, rollt im Leerlauf fünfspurige Prachtstraßen hinunter, die für Benzinfahrzeuge gebaut wurden, auf denen jetzt aber Megodonten entlangziehen.

Im Quarantänedezernat lässt sie zwei Sicherheitskontrollen über sich ergehen, bevor ihr gestattet wird, den Komplex zu betreten.

Computer und Klimagebläse summen unerbittlich. Das ganze Gebäude scheint vor Energie zu vibrieren. Mehr als drei Viertel der Kohlenstoffzuteilung des Ministeriums geht an dieses eine Gebäude, das Gehirn des Quarantänedezernats; hier werden die Veränderungen der genetischen Architektur bewertet und vorhersagt, die eine Reaktion des Ministeriums erforderlich machen.

Hinter Glaswänden blinken LEDs an Servern grün und rot — sie verbrennen Energie, um Krung Thep zu retten, und tragen damit gleichzeitig zum Untergang der Stadt bei. Kanya geht die Korridore entlang, an zahllosen Zimmern vorüber, in denen Wissenschaftler vor riesigen Computerbildschirmen sitzen und auf hell leuchtenden Displays genetische Modelle studieren. Fast meint sie spüren zu können, wie sich die Luft entzündet, so viel Energie wird hier verbraucht — eine aberwitzige Menge von Kohle, nur um dieses Gebäude am Laufen zu halten.