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Es kursieren Geschichten über die Raubzüge, die notwendig waren, um dieses Dezernat ins Leben zu rufen. Über die seltsamen Bündnisse, die es ihnen ermöglichten, sich dieser Technologien zu bemächtigen. Farang, die für viel Geld zu ihnen übergelaufen sind; ausländische Experten, die den Virus ihrer Ideen übertrugen, die invasiven Prinzipien ihrer Genkriminalität ins Königreich einschleppten — das Wissen, das notwendig war, um die Thai zu schützen und sie vor den Seuchen zu bewahren.

Manche von diesen Leuten sind jetzt berühmt, so bedeutsam für die Folklore wie Ajahn Chanh und Chart Korbjitti und Seub Nakhasathien. Einige von ihnen sind selbst Bodhi geworden, barmherzige Geister, die sich ganz der Rettung des Königreichs gewidmet haben.

Kanya durchquert den Innenhof. In einer Ecke steht ein kleines Geisterhaus mit Miniaturstatuen des Lehrers Lalji, der wie ein kleiner, verhutzelter Sadhu aussieht, und der AgriGen-Heiligen Sarah. Das Bodhi-Paar. Mann und Frau, Kalorienräuber und Genfledderer. Dieb und Schöpfer. Davor brennen nur einige wenige Räucherstäbchen, auf einem Teller steht wie gewöhnlich ein Frühstück, und darüber sind Ringelblumen drapiert. Wenn die Seuchen zunehmen, wimmelt es hier nur so von betenden Wissenschaftlern, die um eine Lösung ringen.

Sogar unsere Gebete sind an Farang gerichtet, denkt Kanya. Ein Farang-Gegenmittel für eine Farang-Seuche.

Bediene dich aller Hilfsmittel, deren du habhaft werden kannst. Eigne sie dir an, hatte Jaidee immer gesagt, um zu erklären, warum sie sich mit dem Teufel einließen. Warum sie Schmiergelder verteilten und zu Dieben wurden und Ungeheuer wie Gi Bu Sen unterstützen.

Einer Machete ist es gleichgültig, wer sie schwingt. Nimm ein Messer, und es wird schneiden. Nimm einen Farang, und mache ihn zu deinem Werkzeug. Und wenn dieses Werkzeug sich gegen dich wendet, kannst du es immer noch einschmelzen. Dann hast du wenigstens das Rohmaterial.

Bediene dich aller Hilfsmittel. Jaidee war schon immer ausgesprochen praktisch veranlagt.

Aber es tut weh. Sie jagen jedem Fitzelchen Wissen aus dem Ausland nach, wie die Cheshire stets auf der Suche nach Beute, um zu überleben. Im Midwest Compact wird so viel Wissen gehortet. Wenn irgendwo auf der Welt ein vielverspechender Genetiker auftaucht, wird er sofort bedrängt, bestürmt, bestochen, bis er mit den anderen Genies in Des Moines oder Changsha zusammenarbeitet. Es braucht schon einen couragierten Forscher, um der Macht von PurCal, AgriGen oder RedStar zu widerstehen. Und selbst wenn sie den Kalorienkonzernen die Stirn bieten — was hat ihnen das Königreich schon zu bieten? Selbst ihre besten Computer hinken denen der Kalorienkonzerne Generationen hinterher.

Kanya schiebt den Gedanken von sich. Wir leben noch. Wir leben noch, während ganze Königreiche und Länder untergegangen sind. Malaya ist nur noch ein Sumpf aus Grausamkeit und Tod. Kowloon steht unter Wasser. China ist gespalten, die Vietnamesen sind am Ende, und in Burma herrscht fortwährend Hungersnot. Das amerikanische Imperium existiert nicht mehr. Die europäische Union ist in Fraktionen zerfallen. Aber wir harren aus, vergrößern uns sogar. Das Königreich hat Bestand. Dem Buddha sei Dank, dass er voller Barmherzigkeit seine Hand ausstreckt, und dass unsere Königin so weise ist, diese dienstbaren Farang zu ködern, ohne die wir vollkommen wehrlos wären.

Schließlich erreicht sie den letzten Kontrollpunkt. Erduldet es, dass ihre Papiere noch einmal überprüft werden. Türen gleiten beiseite, und sie wird in einen elektrischen Aufzug hineingewinkt. Sie spürt, wie zusammen mit ihr die Luft vom Unterdruck in der Kabine eingesaugt wird, und dann schließen sich die Türen.

Kanya stürzt erdwärts, als würde sie der Hölle entgegenfallen. Sie muss an die hungrigen Gespenster denken, die in dieser schrecklichen Einrichtung zu Hause sind — die Geister der Toten, die sich geopfert haben, um die Dämonen der Welt in Fesseln zu schlagen. Ihr kribbelt die Haut.

Abwärts.

Abwärts.

Die Türen des Aufzugs öffnen sich. Ein weißer Flur und eine Luftschleuse. Sie zieht sich aus. Tritt unter eine stark gechlorte Dusche. Verlässt sie auf der anderen Seite wieder.

Ein junger Mann reicht ihr einen Laborkittel und gleicht ihre Identität noch einmal mit einer Liste ab. Er erklärt ihr, dass sie sich keiner zusätzlichen Sicherheitsprozeduren unterziehen muss, und führt sie dann weitere Korridore entlang.

Die Wissenschaftler hier haben das Aussehen von Menschen, die wissen, dass sie eine fast aussichtslose Schlacht schlagen. Die wissen, dass nur wenige Türen entfernt ein Grauen von apokalyptischem Ausmaß droht. Wenn Kanya darüber nachdenkt, bekommt sie eine Gänsehaut. Jaidee war da stärker. Er glaubte an seine früheren Leben und an seine künftigen. Kanya dagegen? Sie wird ein Dutzend Mal wiedergeboren werden, um an Cibiskose zu sterben, bevor ihr gestattet wird, weiterzukommen. Kamma.

»Das hätten Sie sich überlegen sollen, bevor Sie mich verraten haben«, sagt Jaidee.

Kanya stolpert, als sie die Stimme hört. Jaidee folgt ihr in einer Entfernung von nur wenigen Schritten. Kanya stößt ein lautes Keuchen aus und presst sich mit dem Rücken an die Wand. Jaidee legt den Kopf schief und mustert sie eingehend. Kanya stockt der Atem. Wird er sie einfach erwürgen, um ihr den Verrat heimzuzahlen?«

Ihr Führer bleibt stehen. »Ist Ihnen nicht wohl?«, fragt er.

Jaidee ist nirgendwo zu sehen.

Kanya hämmert das Herz in der Brust. Sie schwitzt. Wenn sie sich noch tiefer innerhalb des abgeschotteten Bereichs befände, müsste sie verlangen, unter Quarantäne gestellt zu werden, darum bitten, nie wieder hinausgelassen zu werden, weil irgendein ein Bazillus oder ein Virus sie heimgesucht hatte und sie sterben würde.

»Mir geht … «, würgt sie hervor und muss plötzlich an das Blut auf der Treppe vor General Prachas Verwaltungsgebäude denken. Jaidees entstellte Leiche, die Gestalt gewordene Grausamkeit.

»Brauchen Sie einen Arzt?«

Kanya bemüht sich, ruhig zu atmen. Jaidee geistert ihr nach. Sein Phii verfolgt sie. Sie versucht, ihre Angst unter Kontrolle zu bekommen. »Mir geht es gut.« Sie nickt dem jungen Mann zu. »Gehen wir. Bringen wir es zu Ende.«

Kurz darauf deutet ihr Führer auf eine Tür und bedeutet ihr mit einem Kopfnicken, dass sie eintreten soll. Als Kanya die Tür öffnet, blickt Ratana von ihren Akten auf. Ein Monitor beleuchtet ihr Gesicht. Sie lächelt.

Die Computer hier unten haben alle große Bildschirme. Manche Modelle gibt es seit über fünfzig Jahren nicht mehr, und sie verbrennen mehr Energie als fünf neue, aber sie funktionieren, und deshalb werden sie auf das Sorgfältigste gewartet. Trotzdem, bei dem Gedanken an die Unmengen von Energie, derer sie bedürfen, bekommt Kanya weiche Knie. Sie sieht förmlich, wie im Gegenzug das Meer ansteigt. Es ist entsetzlich, neben einem solchen Ding stehen zu müssen.

»Danke, dass du gekommen bist«, sagt Ratana.

»Natürlich.«

Über ihre früheren Rendezvous verlieren sie kein Wort. Als hätten sie keine gemeinsame Vergangenheit, in der so manches schiefgelaufen ist. Kanya war einfach nicht in der Lage, mit einer Frau Tom und Dee zu spielen, die sie in absehbarer Zeit verraten würde. Das war sogar für sie der Scheinheiligkeit zu viel. Trotzdem, Ratana ist noch immer wunderschön. Kanya erinnert sich noch, wie sie während des Loi Kratong lachend in einem Boot über den Chao Phraya ruderten, um sich herum zahllose leuchtende Papierschiffchen. Sie weiß noch, wie es sich anfühlte, als Ratana sich an sie schmiegte, während die Wellen sie umspülten und Tausende von kleinen Kerzen brannten, das Wasser von den Wünschen und Gebeten der ganzen Stadt übersät.