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Wie es sich gehört, nimmt er ihre Anwesenheit nicht zur Kenntnis, sondern steht auf und geht zu Raleigh hinüber. Da weiß sie, dass sie, sobald sie ihren Auftritt hinter sich gebracht hat, in Sicherheit sein wird. Zum ersten Mal, seit die Weißhemden die Stadt abgeriegelt haben, wird sie ohne Angst schlafen können.

Zu ihrer Überraschung kommt Raleigh sofort zu ihr herüber. »Sieht so aus, als würdest du einmal etwas richtig machen. Der Farang möchte deine Dienste gleich in Anspruch nehmen.«

»Kein Auftritt heute?«

Raleigh zuckt mit den Schultern. »Er hat bezahlt.«

Emiko verspürt Erleichterung in sich aufsteigen. Sie macht sich in aller Eile fertig und schleicht dann die Treppe hinunter. Raleigh hat dafür gesorgt, dass die Weißhemden ihre Razzien nur zu bestimmten Zeiten durchführen, so dass sie sich im Ploenchit einigermaßen sicher fühlen kann. Trotzdem ist sie vorsichtig. Bevor das neue Muster festgelegt wurde, fanden drei Razzien statt. Eine ganze Reihe von Geschäftsleuten hat Blut gespuckt, bevor Einigkeit über die neue Detente herrschte. Aber nicht Raleigh. Raleigh scheint die Mechanismen von Bürokratie und Vollzug besser zu begreifen als jeder andere.

Vor dem Club wartet Anderson in seiner Rikscha. Er riecht nach Whisky und Tabak, und sein Gesicht ist von Bartstoppeln bedeckt. Sie schmiegt sich an ihn. »Ich hatte gehofft, dass Sie kommen würden.«

»Es tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Gerade ist alles etwas schwierig für mich.«

»Ich habe Sie vermisst.« Zu ihrer Überraschung muss sie feststellen, dass es stimmt.

Sie gleiten durch den abendlichen Verkehr, vorbei an den schwerfälligen Schattenrissen der Megodonten, vorbei an flimmernden Cheshire, brennenden Kerzen und schlafenden Familien. Sie begegnen Weißhemden auf Streife, aber die Soldaten sind damit beschäftigt, Gemüsebuden zu durchsuchen. Über ihnen flackert die grüne Beleuchtung der Gaslampen.

»Geht es dir gut?« Er nickt in Richtung der Weißhemden. »Führt das Ministerium Razzien durch?«

»Anfangs war es schlimm. Aber jetzt ist es besser.«

Während der ersten Razzien war es zu Panikausbrüchen gekommen, als die Weißhemden die Treppen hinaufstürmten, Mama-sans aufscheuchten, illegale Methanzapfstellen absperrten und ihre Schlagstöcke schwangen. Die Ladyboys schrien, während die Geschäftsleute verzweifelt nach Bargeld suchten und schließlich zusammengeschlagen wurden, wenn es ihnen nicht gelang, sich ihre Freiheit zu erkaufen. Emiko war, stocksteif wie eine Statue, zwischen den anderen Mädchen gestanden. Die Weißhemden waren durch die Bar stolziert, hatten Probleme ausgemacht und damit gedroht, sie so lange zu prügeln, bis keiner von ihnen mehr arbeiten konnte. Die Soldaten hatten sich auf keine Diskussionen eingelassen, so wütend waren sie über den Tod ihres Tigers — sie wollten jedem eine Lektion erteilen, der jemals über die Regeln der Weißhemden gelacht hatte.

Emiko hatte entsetzliche Angst gehabt, wie sie da zwischen den Mädchen stand und darauf wartete, dass Kannika ihr einen Schubs gab und sie verriet — dass sie diesen Augenblick wählen würde, um Emiko dem Tod zu überantworten.

Raleigh verneigte sich vor jedem Einzelnen, eine ziemlich Farce, denn unter den Soldaten befanden sich nicht wenige, die er regelmäßig schmierte. Manche von ihnen schauten sie direkt an — Suttipong und Addilek und Thanachai —, sie wussten genau, was für eine Rolle sie hier spielte, einige hatten sie sogar schon ausprobiert, und alle überlegten sie, ob sie Emiko nicht jetzt »entdecken« sollten. Alle spielten ihre Rolle, und Emiko rechnete jeden Moment damit, dass Kannika dem Affenzirkus ein Ende machen und alle zwingen würde, das Aufziehmädchen, dem sie eine solch reiche Ausbeute an Bestechungsgeldern verdankten, zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn Emiko daran zurückdenkt, läuft ihr ein Schauder den Rücken hinunter. »Jetzt ist es besser«, wiederholt sie.

Anderson-sama nickt.

Die Rikscha hält vor dem Haus, in dem er wohnt. Er steigt zuerst aus, schaut sich um, ob nicht irgendwelche Weißhemden in der Nähe sind, und geleitet sie hinein. Die beiden Wachmänner sind ängstlich bemüht, ihre Gegenwart zu ignorieren. Wenn sie geht, wird sie daran denken, ihnen ein Trinkgeld zu geben, damit sie sie ganz vergessen. Sie mögen sich vor ihr ekeln, aber sie werden mitspielen, solange sie sich ihnen gegenüber respektvoll verhält, und solange sie bezahlt. So nervös, wie die Weißhemden sind, wird sie mehr bezahlen müssen. Aber das ist im Rahmen des Möglichen.

Sie und Anderson-sama betreten den Fahrstuhl, und die Fahrstuhlfrau ruft das geschätzte Gewicht nach oben, wobei sie darauf achtet, ein ausdrucksloses Gesicht zu wahren.

Als sie sicher in seiner Wohnung angekommen sind, schließen sie einander in die Arme. Emiko ist überrascht, wie glücklich sie darüber ist, dass er sie begehrt, dass er ihr mit der Hand über die Haut streicht, dass er sie überhaupt berühren möchte. Sie hat vergessen, wie es ist, als Mensch und mit Respekt behandelt zu werden. In Japan hatte niemand Bedenken, sie anzuschauen. Hier hat sie jedoch das Gefühl, sich in ein Tier verwandelt zu haben.

Es ist eine Erleichterung, geliebt zu werden, wenn auch nur um ihres Körpers willen.

Seine Finger gleiten über ihre Brüste, ihren Bauch hinunter, zwischen ihre Beine, in sie hinein. Sie ist froh darüber, wie leicht ihr die Lust fällt. Emiko presst sich an ihn, sie küssen sich, und für eine Weile vergisst sie, dass die Leute »Aufziehmädchen« zu ihr sagen und Heechy-Keechy. Für eine Weile fühlt sie sich ganz wie ein Mensch, und sie verliert sich in den Berührungen. In Anderson-samas Haut. In der Sicherheit von Lust und Pflicht.

Als es vorbei ist, kehrt ihre Schwermut jedoch zurück.

Anderson-sama bringt ihr kaltes Wasser, ganz offensichtlich darauf bedacht, sie nicht über die Maßen zu strapazieren. Noch immer nackt, legt er sich neben sie, berührt sie jedoch nicht, damit ihr nicht noch heißer wird. »Was ist los?«, fragt er.

Emiko zuckt mit den Achseln, versucht zu lächeln, ihrer Rolle als »Neuer Mensch« gerecht zu werden. »Es ist nichts. Jedenfalls nichts, das sich ändern ließe.« Fast ist es ihr unmöglich, über ihre Bedürfnisse zu sprechen. Es läuft ihrem ganzen Wesen zuwider. Mizumi-sensei würde sie dafür schlagen.

Anderson-sama beobachtete sie, sein Blick erstaunlich liebevoll für einen Mann, dessen Körper von Narben bedeckt ist. Diese Narben sind ihr ein Rätsel — wer hat ihm solche Gewalt angetan? Die gekräuselten Narben auf seiner Brust stammen vielleicht von einer Federpistole. Die auf seiner Schulter vielleicht von einer Machete. Die auf seinem Rücken mit großer Wahrscheinlichkeit von Peitschenhieben. Sicher ist sie sich nur bei der Narbe an seinem Hals — sie hat er sich bestimmt in der Fabrik zugezogen.

Er streckt die Hand aus und berührt sie sanft. »Was ist los?«

Emiko rollt von ihm weg. Sie ist so verlegen, dass sie kaum ein Wort herausbringt. »Die Weißhemden … Sie werden mich nie aus der Stadt lassen. Und jetzt hat Raleigh-san noch mehr Bestechungsgelder aufbringen müssen, um mich zu behalten. Er wird mich niemals fortlassen.«

Anderson-sama erwidert nichts. Sie kann seinen Atem hören, der langsam und regelmäßig ist, aber sonst nichts. Sie schämt sich so sehr.

Dummes kleines Aufziehmädchen — was hast du auch für Erwartungen? Sei dankbar für das, was er zu geben bereit ist.

Das Schweigen nimmt kein Ende. Schließlich fragt Anderson-sama: »Bist du sicher, dass Raleigh nicht mit sich reden lässt? Schließlich ist er Geschäftsmann.«

Emiko lauscht auf seinen Atem. Will er sie freikaufen? Wäre er ein Japaner, hätte sie das so verstanden — als sorgfältig verklausulierten Vorschlag. Aber bei Anderson-sama lässt sich das nur schwer sagen.

»Ich weiß es nicht. Raleigh-san hängt am Geld. Aber ich glaube, dass er mich auch gerne leiden sieht.«