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Sie wartet angespannt auf irgendeinen Hinweis darauf, was er denkt. Anderson-sama verlangt keine weiteren Informationen von ihr. Hält alles in der Schwebe. Seinen Körper kann sie jedoch spüren, ganz nahe, die Hitze, die ihre Haut abstrahlt. Hört er noch zu? Wäre er ein zivilisierter Mann, würde sie sein Schweigen als Schlag ins Gesicht deuten. Aber Gaijin sind nicht so subtil.

Emiko macht sich auf alles gefasst. Nur mit größter Mühe gelingt es ihr, Konditionierung und genetischen Imperativ zu überwinden. Sie muss darum kämpfen, sich nicht wie ein Hund ängstlich zu ducken. Aber sie versucht es, auch wenn es ihr fast die Kehle zuschnürt.

»Im Moment lebe ich in der Bar. Raleigh-san bezahlt große Summen dafür, um sich die Weißhemden vom Leib zu halten — das Dreifache wie sonst. Das Geld geht an andere Bars und an die Weißhemden selbst, sonst könnte ich nicht dort bleiben. Ich weiß nicht, wie lange das noch gutgeht. Meine Nische verschwindet zunehmend, glaube ich.«

»Hast du …« Anderson-sama kommt ins Stocken, verstummt. Dann sagt er: »Du könntest hier wohnen.«

Emiko Herz setzt aus. »Raleigh-san würde mir bestimmt folgen.«

»Es gibt Mittel und Wege, mit Leuten wie Raleigh fertigzuwerden. «

»Sie könnten mich von ihm freikaufen?«

»Ich bezweifle, dass mein Geld dafür reicht.«

Emiko spürt, wie die Verzweiflung sie zu überwältigen droht.

»Solange die Lage so angespannt ist, kann ich ihn nicht provozieren, indem ich dich ihm einfach wegnehme. Nicht, solange er mir Weißhemden auf den Hals hetzen kann. Das wäre zu riskant. Aber ich glaube, dass ich wenigstens dafür sorgen kann, dass du hier schläfst. Vielleicht wäre es Raleigh sogar recht, dass du nicht mehr so exponiert bist.«

»Aber würde das nicht Ihnen Probleme bereiten? Die Weißhemden mögen keine Farang. Sie sind auch so schon in einer heiklen Lage.« Hilf mir, von hier zu fliehen. Hilf mir, das Dorf der Neuen Menschen zu finden. Hilf mir, bitte. »Wenn ich Raleigh-san das Geld zurückzahle … könnte ich nach Norden gehen.«

Anderson-sama zieht sanft an ihrer Schulter. Emiko dreht sich zögerlich zu ihm um. »Du gibst dich mit so wenig zufrieden«, sagt er. Seine Hand streicht ihr über den Bauch. Beiläufig. Versonnen. »Gut möglich, dass sich bald einiges verändert. Vielleicht sogar für die Aufziehmenschen.« Er schenkt ihr ein verschwörerisches Lächeln. »Die Weißhemden und ihre Regeln wird es nicht immer geben.«

Sie fleht um ihr Leben, und er gibt sich Hirngespinsten hin.

Emiko versucht, ihre Enttäuschung zu verbergen. Du solltest nicht zu viel verlangen, sondern für das dankbar sein, was du hast. Aber sie kann verhindern, dass ihre Stimme verbittert klingt. »Ich bin ein Aufziehmädchen. Nichts wird sich ändern. Uns wird man immer verachten.«

Er lacht und zieht sie an sich. »Sei dir dessen nicht so sicher. « Seine Lippen streifen ihr Ohr, und er flüstert: »Wenn du zu dieser Bakeneko, eurer Göttin der Cheshire, betest, kann ich dir vielleicht mehr bieten als ein Dorf im Dschungel. Mit etwas Glück sogar eine ganze Stadt.«

Emiko rückt von ihm fort und mustert ihn traurig. »Ich verstehe, wenn Sie an meinem Schicksal nichts ändern können. Aber Sie sollten mich nicht noch verspotten.«

Anderson-sama lacht nur aufs Neue.

26

Hock Seng kauert in einer Gasse unmittelbar außerhalb des Industriegebiets der Farang. Es ist Nacht, aber die Weißhemden sind noch immer überall. Wohin er sich auch wendet, überall haben sie die Straßen abgesperrt. An den Kais liegen Klipper, zu denen niemand Zugang hat und die auf die Genehmigung warten, entladen zu dürfen. Im Industriegebiet stehen an jeder Ecke Soldaten des Ministeriums und verweigern Arbeitern, Fabrikeigentümern und Ladenbesitzern gleichermaßen den Zutritt. Mit Ausnahme der Einheimischen, die dort wohnen, darf niemand hinein oder heraus.

Da er sich nur mit seiner Yellow Card ausweisen kann, hat Hock Seng den halben Abend gebraucht, um die Kontrollpunkte zu umgehen und die Stadt zu durchqueren. Mai fehlt ihm. Ihre jungen Augen und Ohren haben ihm Sicherheit gegeben. Jetzt hockt er hier mit den Cheshire, von Uringestank eingehüllt, beobachtet, wie die Weißhemden den Pass eines Mannes überprüfen, und flucht darüber, dass er von der SpringLife-Fabrik abgeschnitten ist. Er hätte tapfer sein sollen. Er hätte einfach den Tresor ausrauben sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte, und alles auf eine Karte setzen. Jetzt ist es dafür zu spät. Jetzt gehört jeder Zentimeter der Stadt den Weißhemden, und am liebsten machen sie Jagd auf Yellow Cards. Nur zu gern erproben sie die Festigkeit ihrer Schlagstöcke an den Schädeln der Flüchtlinge und erteilen ihnen eine Lektion. Hätte der Kadaverkönig nicht so großen Einfluss, wären die Yellow Cards in den Hochhäusern bestimmt längst abgeschlachtet worden. In den Augen des Umweltministeriums unterscheiden sich die Flüchtlinge durch nichts von den anderen invasiven Spezies und Seuchen, deren es Herr zu werden versucht. Wenn es nach ihnen ginge, würden die Weißhemden alle Yellow-Card-Chinesen niedermetzeln und sich dann in aller Form bei der Kindskönigin dafür entschuldigen, dass sie vielleicht ein wenig über die Stränge geschlagen haben. Aber erst im Nachhinein.

Eine junge Frau zeigt ihren Ausweis und wird durchgelassen. Sie geht die Straße entlang und verschwindet im Industriegebiet. Alles ist so verlockend nah und doch unerreichbar.

Objektiv betrachtet, ist es wahrscheinlich nur zum Besten, dass die Fabrik geschlossen wurde. Für alle Beteiligten. Wäre er nicht so erpicht auf den Inhalt des Tresors, würde er melden, dass am Fließband eine Infektion aufgetreten ist, und die ganze tamade Sache dann ein für alle Mal vergessen. Und doch, trotz der tödlichen Krankheit, die in den Algenbädern ausgebrütet wurde, kann er der Verlockung der Baupläne nicht widerstehen.

Hock Seng könnte sich seine letzten Haare ausreißen, so frustriert ist er.

Wütend starrt er den Kontrollpunkt an — wenn die Weißhemden nur weitergehen oder wenigstens in eine andere Richtung schauen würden! Er betet zu der Göttin Guanyin, fleht den fetten Budai um ein wenig Glück an. Mit diesen Bauplänen und der Unterstützung des Kadaverkönigs wäre so viel möglich! Eine neue Zukunft. Ein neues Leben. Er könnte seinen Vorfahren wieder Opfergaben darbringen. Vielleicht wieder heiraten. Einen Sohn bekommen, der seinen Namen weiterführt. Vielleicht …

Eine Streife! Hock Seng zieht sich tiefer in die Dunkelheit zurück. Die Soldaten erinnern ihn an die Grünen Brigaden, die auch immer nachts durch die Straßen schlichen. Anfangs hielten sie nur nach Paaren Ausschau, die abends Händchen hielten — ein Zeichen von Sittenlosigkeit.

Damals erklärte er seinen Kindern, sie sollten nur auf sich achtgeben, der Konservatismus käme und ginge wie die Gezeiten, und wenn sie nicht so offen und frei leben konnten wie ihre Eltern, was war schon dabei? Hatten sie nicht volle Mägen und Familie und Freunde, in deren Gesellschaft sie sich wohlfühlten? Und in ihren von hohen Mauern umgebenen Anwesen war es egal, was die Grünen Brigaden dachten.

Noch eine Streife. Hock Seng dreht sich um und verschwindet in der Gasse. Es gibt keine Möglichkeit, in das Industriegebiet hineinzugelangen. Die Weißhemden sind fest entschlossen, jeglichen Handel zu unterbinden und den Farang möglichst großen Schaden zuzufügen. Hock Seng verzieht das Gesicht und macht sich auf den langen Weg durch die gewundenen Gassen zurück zu seiner Bruchbude.

Andere im Ministerium waren korrupt, aber nicht Jaidee. Jedenfalls nicht, wenn irgendetwas von dem stimmt, was er über den Offizier gehört hat. Sogar Sawatdee Krung Thep!, das Flüsterblatt, das ihn am meisten geliebt und ihn dann am heftigsten verdammt hatte, ergeht sich jetzt in seitenlangen Lobeshymnen auf den Nationalhelden. Hauptmann Jaidee war zu beliebt, als dass er einfach so in Stücke geschnitten und wie Abfall in den Methankomposter geworfen werden konnte. Irgendjemand muss bestraft werden.