Und wenn das Handelsministerium die Schuld daran trägt, muss das Handelsministerium bestraft werden. Also wurden die Fabriken geschlossen, die Ankerplätze, Straßen und Hafenzufahrten abgeriegelt, und Hock Seng kommt nirgends durch. Er kann keine Passage auf einem Klipper buchen, kann nicht flussaufwärts nach Ayutthaya fahren, das in Trümmern liegt. Er kann nicht an Bord eines Luftschiffs nach Kalkutta oder Japan fliehen.
Er schleicht sich am Hafen vorbei, und wie hätte es auch anders sein sollen — die Weißhemden liegen dort noch immer auf der Lauer. In ihrer Nähe hocken einige Arbeiter in Grüppchen auf dem Boden — wegen der Blockade gibt es für sie nichts zu tun. Einhundert Meter vom Ufer entfernt liegt ein prächtiger Klipper vor Anker und schaukelt sanft auf den Wellen. Ein so schönes Schiff hat er früher auch besessen! Modernste Technologie, Wechselrumpf und Tragflächen, Palmölpolymer, Windflügel. Schnell. Mit großem Laderaum. Es liegt dort draußen, von Scheinwerfern angestrahlt. Und er steht auf dem Kai und starrt hinüber. Genauso gut könnte es in Indien vor Anker liegen.
Er entdeckt eine Garküche; der Verkäufer brät gengefledderte Tilapia in einem tiefen Wok. Hock Seng nimmt seinen ganzen Mut zusammen. Er muss einfach fragen, selbst wenn er sich damit als Yellow Card zu erkennen gibt. Ohne Informationen ist er blind. Die Weißhemden stehen am anderen Ende des Kais — sollte der Mann nach ihnen rufen, hätte er noch immer Zeit zu fliehen.
Hock Seng nähert sich ihm vorsichtig. »Gibt es irgendeine Möglichkeit, eine Passage zu buchen?«, murmelt er und deutet mit einer Kopfbewegung zu dem Klipper hinüber. »Auf dem Schiff dort?«
»Sie lassen niemanden durch«, murmelt der Verkäufer.
»Nicht einmal einen einzelnen Mann?«
Der Thai runzelt die Stirn und deutet auf eine Gruppe von Leuten, die in Dunkeln sitzen, rauchen und Karten spielen. In ihrer Mitte steht ein Kurbelradio. »Die da warten schon seit einer Woche. Du wirst dich gedulden müssen, Yellow Card. Wie alle anderen auch.«
Hock Seng muss sich zusammenreißen, um keine Miene darüber zu verziehen, dass der andere ihn so leicht durchschaut. Er tut so, als wäre sie hier alle gleich, in der Hoffnung, dass er als Mensch und nicht als unerwünschte Cheshire gesehen wird. »Haben Sie vielleicht etwas von kleineren Booten gehört, weiter die Küste hinunter? Außerhalb der Stadt? Für Geld?«
Der Fischverkäufer schüttelt den Kopf. »In keiner Richtung ist ein Durchkommen. Sie haben auch zwei verschiedene Gruppen von Passagieren erwischt, die von ihren Schiffen an Land gehen wollten. Die Weißhemden lassen nicht einmal die Versorgungsboote ablegen. Wir schließen Wetten ab, ob der Kapitän die Anker lichten oder ob die Weißhemden vorher jemanden durchlassen werden.«
»Wie lauten die Quoten?«, fragt Hock Seng.
»Ich gebe dir elf zu eins, dass der Klipper sich vorher davonmacht. «
Hock Seng verzieht das Gesicht. »Das ist mir das Risiko nicht wert.«
»Dann eben zwanzig zu eins.«
Einige andere haben anscheinend ihrer Unterhaltung zugehört. Sie lachen leise. »Wetten Sie nicht, wenn er Ihnen nicht fünfzig zu eins gibt«, sagt einer von ihnen. »Die Weißhemden werden nicht nachgeben. Nicht dieses Mal. Nicht nach dem Tod des Tigers.«
Hock Seng zwingt sich, in ihr Lachen einzustimmen. Er zieht eine Zigarette hervor, zündet sie an und reicht die Schachtel herum. Ein kleines Geschenk an die Thai, das seinen guten Willen zeigen soll, für diesen kurzen Augenblick des brüderlichen Beisammenseins. Wäre er kein Yellow Card mit einem auffälligen Akzent, würde er vielleicht sogar versuchen, die Weißhemden zu bestechen, aber in einer Nacht wie dieser würden sie nur nach ihren Schlagstöcken greifen. Und dass ihm jemand den Kopf auf das Pflaster drischt — das will er sich doch lieber ersparen. Er raucht und lässt den Blick über die Blockade schweifen.
Zeit vergeht.
Bei dem Gedanken an die abgeriegelte Stadt zittern ihm die Hände. Hier geht es nicht um die Yellow Cards, redet er sich ein. Wir sind nicht der Grund für all das. Und doch fühlt es sich so an, als ob sich eine Schlinge um seinen Hals zusammenzieht. Im Moment mag es um das Handelsministerium gehen, aber in der Stadt halten sich einfach zu viele Yellow Cards auf, und wenn der Handel längere Zeit zum Erliegen kommt, wird sogar diesen freundlichen Menschen auffallen, dass es kaum noch Arbeit gibt, und dann werden sie trinken, und ihnen werden die Yellow Cards in ihren Hochhäusern einfallen.
Der Tiger ist tot. Sein Gesicht prangt auf jedem Laternenpfahl. Klebt an jedem Gebäude. Sogar hier hängen drei Bilder von Jaidee in Kampfhaltung an der Wand eines Lagerhauses. Hock Seng raucht seine Zigarette und betrachtet den Offizier mit wütender Miene. Ein Volksheld. Ein Mann, der nicht gekauft werden konnte, der Ministern ebenso entgegentrat wie den Firmen der Farang und den kleinen Geschäftsleuten. Ein Mann, der sogar bereit war, gegen sein eigenes Ministerium zu kämpfen. Der an einen Schreibtisch verbannt wurde, als er zu viel Ärger machte, und dann wieder auf die Straße geschickt wurde, als auch das nichts half. Ein Mann, der über Todesdrohungen lachte und drei Mordanschläge überlebte, bevor er einem vierten zum Opfer fiel.
Hock Seng zieht eine Grimasse. Die Zahl vier ist in seinen Gedanken zurzeit allgegenwärtig. Der Tiger von Bangkok hatte nur vier Chancen. Wie viele er selbst wohl schon aufgebraucht hat? Hock Seng betrachtet den Kai und die Menschen, die hier warten, weil sie nicht an Bord ihrer Schiffe gehen können. Mit den geschärften Sinnen eines Flüchtlings wittert er, dass Gefahr in der Luft liegt, bedrohlicher als der Wind, der über den Klipper hinwegfegt und einen Taifun ankündigt.
Der Tiger ist tot. Hauptmann Jaidees Augen starren Hock Seng an, und plötzlich hat Hock Seng das entsetzliche Gefühl, dass der Tiger gar nicht tot ist. Sondern sich noch immer auf der Jagd befindet.
Hock Seng weicht vor den Plakaten zurück, als wären es von Rostwelke befallene Durianfrüchte. Mit jeder Faser seines Körpers weiß er, dass er fliehen muss — so sicher, wie er weiß, dass sein Clan in Malaya tot und begraben ist. Er muss sich vor den Tigern verstecken, die durch die Nacht streifen. Ihm bleibt nur die Flucht in den Dschungel, wo es vor Blutegeln nur so wimmelt, wo er gezwungen ist, Kakerlaken zu essen und durch den Schlamm zu kriechen, wenn die Regenzeit alles unter Wasser setzt. Es spielt keine Rolle, wohin er geht. Nur weg von hier. Hock Seng blickt zu dem vor Anker liegenden Klipper hinüber. Es ist Zeit, eine schwierige Entscheidung zu fällen. Es ist Zeit, die SpringLife-Fabrik und die Baupläne dort abzuschreiben. Wenn er noch lange zögert, wird alles nur schlimmer. Er muss schleunigst Geld ausgeben. Sein Überleben sichern.
Das Floß geht unter.
27
Als Anderson aus dem Gebäude kommt, wartet Carlyle bereits ungeduldig in der Rikscha. Sein Blick zuckt hin und her, immer wieder späht er forschend ins Dunkel, das ihn umgibt. Der Mann zittert wie ein ängstliches Kaninchen.
»Sie wirken nervös«, bemerkt Anderson und steigt ein.
Carlyle zieht eine Grimasse. »Die Weißhemden haben gerade das Victory gestürmt. Und alles konfisziert, was nicht niet- und nagelfest war.«
Anderson schaut kurz zu seiner Wohnung hinauf, froh darüber, dass der arme alte Yates es vorgezogen hat, weit entfernt von den anderen Farang zu leben. »Haben Sie viel verloren?«
»Das Bargeld im Tresor. Diverse Kundendaten, die ich außerhalb des Büros aufbewahrt habe.« Carlyle ruft dem Rikschafahrer auf Thai zu, wohin er fahren soll. »Ich hoffe, dass Sie diesen Leuten etwas zu bieten haben.«