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»Ich weiß es nicht. Die einzig gute Nachricht ist, dass es bislang nicht danach aussieht, als ob die erkrankten Menschen selbst Überträger sind.«

»Noch nicht.«

»Du musst zu Gi Bu Sen gehen und ihn um Rat bitten. Er ist der Einzige, der das Ungeheuer benennen kann, mit dem wir es hier zu tun haben. Es sind schließlich seine Kinder, die uns da heimsuchen. Er wird sie wiedererkennen. Ich habe einige neue Proben vorbereitet. Er wird herausfinden, worin der Zusammenhang zwischen den dreien besteht.«

»Gibt es keine andere Möglichkeit?«

»Wir könnten eine Quarantäne über die gesamte Stadt verhängen. Dann wird es zu Aufständen kommen, und uns wird nichts mehr bleiben, das es noch zu retten lohnt.«

Smaragdgrüne Reisterrassen erstrecken sich bis zum Horizont, ein flimmernd helles Leuchten in der tropischen Sonne. Kanya ist schon so lange in dem Dreckloch Krung Thep gefangen, dass es eine Wohltat für sie ist, diese im Wachsen begriffene Welt zu sehen. So etwas wie Hoffnung scheint wieder vorstellbar. Dass die Reisgräser nicht einer neuen Variante der Rostwelke anheimfallen werden. Dass nicht irgendeine genmanipulierte Spore den Weg von Burma hierherfinden wird, um im Königreich Wurzeln zu schlagen. Noch immer wächst Reis auf den gefluteten Feldern, die Schutzwälle halten, und die Wasserpumpen Seiner Königlichen Majestät Rama XII. tun weiterhin ihre Arbeit.

Die tätowierten Bauern falten respektvoll die Hände und verneigen sich, als Kanya an ihnen vorbeiradelt. Ihren gestempelten Armen zufolge haben die meisten von ihnen ihren Frondienst für dieses Jahr so gut wie abgeleistet. Einige andere tragen Zeichen, denen zufolge sie zur Beginn der Regenzeit in die Städte wechseln müssen, wo sie den Damm gegen Überflutungen sichern werden. Auch Kanya trägt Zeichen auf der Haut, die an ihre Zeit als Farmerstochter erinnern, lange bevor Akkarats Agenten sie damit beauftragten, ins Herz des Umweltministeriums einzudringen.

Nach einer Stunde Fahrt mit dem Rad auf erhöht gelegenen Fußwegen tauchen die Umrisse des Anwesens vor ihr auf. Zuerst der Zaun. Dann die Männer mit den Hunden. Als Nächstes Mauern, die mit hohen Bambusspeeren, Glasscherben und Stacheldraht gesichert sind. Kanya weicht den Stolperfallen aus und folgt der Straße. Eigentlich ist es nur das Haus eines reichen Mannes, hoch oben auf einem künstlichen Berg aus Bauschutt von Expansionshochhäusern errichtet.

Wenn man bedenkt, wie viele Menschenleben in den letzten einhundert Jahren verlorengegangen sind, ist es schon beeindruckend, dass eine solche Menge von Arbeitskräften für etwas so Albernes wie eine Anhöhe eingesetzt wurde — während Dämme repariert, Felder bestellt und Kriege ausgefochten werden müssen, war ein Mann in der Lage, sich all dies zu leisten. Der Rückzugsort eines Superreichen. Ursprünglich für Rama XII. gebaut und auch heute noch offiziell Eigentum des Palasts. Von einem Luftschiff aus betrachtet wirkt das Grundstück nicht besonders auffällig. Ein Anwesen unter vielen. Verschwendungssucht, die irgendeiner Nebenlinie der königlichen Familie zugutekommt. Und doch ist eine Mauer eine Mauer, ein Tigergraben ein Tigergraben, und Männer mit Hunden überwachen, wer hinein-und wer hinausgeht.

Kanya zeigt ihnen ihren Ausweis, während die Doggen knurren und an den Ketten zerren. Die Biester sind unnatürlich groß. Aufziehhunde. Hungrig, tödlich und wie für ihre Aufgabe geschaffen. Die Muskelberge mit den Riesenzähnen wiegen glatt das Doppelte wie sie. Zum Leben erweckte Schreckgespenster, die Gi Bu Sens Fantasie entstammen.

Die Wachen lesen Codes mit ihren handkurbelbetriebenen Dechiffriergeräten aus. Sie tragen die schwarze Livree der Königinnentreuen und sind in ihrer Effizienz und dem heiligen Ernst, den sie an den Tag legen, geradezu beängstigend. Endlich winken sie Kanya durch, vorbei an den Doggen, die die Zähne fletschen. Kanya radelt auf das Haupttor zu, und bei dem Gedanken, dass sie selbst mit dem Fahrrad niemals schneller wäre als die Hunde, stellen sich ihr die Nackenhaare auf.

An der Pforte angekommen, wird sie von einer weiteren Wache kontrolliert, dann führt man sie zur gefliesten Terrasse vor dem Haus, neben der ein blauer Swimmingpool wie ein Juwel in der Sonne glänzt.

Im Schatten eines Bananenbaums sitzen drei kichernde Ladyboys und lächeln zu ihr herüber. Kanya erwidert ihr Lächeln. Sie sind hübsch. Wenn sie allerdings einen Farang lieben, dann sind sie auch ausgesprochen töricht.

»Ich bin Kip«, stellt sich eine von ihnen vor. »Der Doktor bekommt gerade seine Massage.« Sie deutet mit dem Kopf auf das schimmernde Wasser. »Sie können am Pool auf ihn warten.«

Der Duft des Ozeans hüllt sie ein. Kanya schlendert zum Rand der Terrasse. Unter ihr plätschern Wellen ans Ufer, fallen in sich zusammen und scheuern weiß über den Sandstrand. Eine leichte Brise umspielt sie, die Luft ist sauber und frisch und bringt optimistische Gedanken mit sich, die so ganz anders sind als der klaustrophobische Gestank hinter den Dämmen von Bangkok.

Sie atmet tief ein und genießt die salzige Luft. Da flattert plötzlich ein Schmetterling herbei und lässt sich auf dem Geländer vor ihr nieder. Schließt die schillernden Flügel. Öffnet sie behutsam wieder. Ein ums andere Mal zeigt der Falter sein helles, mit Schwarz und Gold gesprenkeltes Kobaltkleid.

Kanya beobachtet ihn dabei, berückt von der auffällig bunten Schönheit, die aus einer anderen Welt zu stammen scheint. Sie fragt sich, was ihn wohl hierhergeführt haben mag, zu dieser fremdartigen Behausung mit ihrem Farang-Gefangenen. Unter allen Schönheiten der Welt ist hier eine, der sich wohl niemand zu entziehen vermag; die Natur hat sich in wildem Rausch verausgabt.

Kanya beugt sich über das Tier und betrachtet es genauer, wie es da auf dem Geländer sitzt. Eine unvorsichtige Hand könnte es zermalmen, ohne sich der Zerstörung überhaupt bewusst zu sein.

Langsam streckt sie einen Finger aus. Der Schmetterling erstarrt, dann lässt er sich aufnehmen und trippelt ihr in die hohle Hand. Er ist weit gereist. Er muss erschöpft sein. So wie sie selbst. Kontinent um Kontinent hat er überflogen. Hoch gelegene Steppengebiete und jadegrüne Dschungellandschaften hat er überquert, um hier zwischen Hibiskusblüten und Pflastersteinen zu landen, damit Kanya ihn in der Hand halten und bewundern kann. So ein weiter Weg!

Kanya schließt die Faust um das flatternde Tier. Öffnet sie wieder und lässt den Staub auf die Fliesen rieseln. Flügelfetzen und ein zerquetschter kleiner Körper. Ein industriell gefertigter Bestäuber, höchstwahrscheinlich von einem der PurCal-Labore ausgesandt.

Aufziehwesen besitzen keine Seele. Aber schön sind sie doch.

Hinter ihr hört sie ein Plätschern. Kip hat sich einen Badeanzug übergestreift. Ihre Silhouette flimmert unter der Wasseroberfläche, steigt auf, und dann wirft sie ihr langes schwarzes Haar zurück und lächelt Kanya an, bevor sie wendet und wieder losplanscht. Kanya schaut ihr beim Schwimmen zu, folgt den eleganten Kraulbewegungen der braunen Gliedmaßen im blauen Anzug. Ein hübsches Mädchen. Diesem Wesen zuzusehen ist eine wahre Freude.

Dann endlich rollt der Dämon auf den Rand des Pools zu. Sein Zustand hat sich deutlich verschlechtert, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hat. Fa’gan-Narben überziehen den gesamten Hals bis hin zu den Ohren. Ein pathogener Virus, den er entgegen aller Prognosen abwehren konnte. Er sitzt im Rollstuhl, den ein Angestellter schiebt. Auf den bewegungsunfähigen Beinen liegt eine dünne Decke.

Also schreitet die Krankheit doch weiter voran. Lange Zeit dachte sie, es wäre nur ein Mythos, doch nun kann sie sehen, dass es stimmt. Der Mann ist hässlich. Sein Siechtum und die glühende Intensität, die von ihm ausgeht, sind kaum zu ertragen. Kanya zittert. Sie wird froh sein, wenn der Dämon in sein nächstes Leben überwechselt. Zu einem Leichnam wird, den sie unter Quarantänebedingungen einäschern können. Bis dahin hofft sie, dass die Medikamente eine Übertragung verhindern können. Er ist ein griesgrämiger, behaarter Kerl mit buschigen Augenbrauen, einer fleischigen Nase und breiten Gummilippen, die sich zu einem hyänenhaften Lächeln verziehen, als er Kanya erblickt.