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»Ah. Meine Gefängniswärterin.«

»Wohl kaum.«

Gibbons wendet sich Kip zu, die immer noch ihre Bahnen zieht. »Nur, weil ihr mir hübsche Mädchen mit hübschen Mündern zugesteht, bedeutet das noch lange nicht, dass ich kein Gefangener bin.« Er sieht zu ihr auf. »Nun, Kanya, Sie haben sich eine Weile nicht blicken lassen. Wo ist Ihr aufrechter Herr und Gebieter? Mein Bewacher, den ich mehr als alle anderen schätze? Wo ist unser kampfeslustiger Kommandant Jaidee? Mit Untergebenen halte ich mich nicht auf …« Er verstummt und wirft einen Blick auf Kanyas Rangabzeichen. Seine Augen verengen sich zu Schlitzen. »Aha, verstehe. « Er lehnt sich zurück und mustert Kanya prüfend. »Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihn jemand unschädlich macht. Gratuliere zur Beförderung, Hauptmann.«

Kanya zwingt sich, gelassen zu bleiben. Bei den bisherigen Besuchen war es immer Jaidee gewesen, der mit dem Teufel verhandelt hat. Kanya hatte stets am Pool gewartet, während die beiden im Gebäude verschwanden; lediglich die Geschöpfe, die sich der Doktor gerade zu seinem Vergnügen erwählt hatte, hatten ihr Gesellschaft geleistet. Wenn Jaidee zurückkam, dann immer mit zusammengekniffenem Mund.

Ein einziges Mal, gerade als sie dabei waren, das Gelände zu verlassen, hatte er beinahe doch gesprochen und ihr verraten, was ihm im Kopf herumging. Er öffnete den Mund zu einem »Aber … «, ein nur halb ausgesprochener Widerspruch, der sofort erstarb, sobald er ihm über die Lippen kam.

Kanya hatte den Eindruck gehabt, dass er das soeben beendete Gespräch weiterführte, einen Schlagabtausch, bei dem es ebenso schnell hin und her ging wie bei einer Partie Takra. Ein rasantes Wortgefecht mit Querschlägern, die an Jaidees Schädel abprallten. Bei einer anderen Gelegenheit war Jaidee finster dreinschauend und mit den Worten »Er ist einfach zu gefährlich, um ihn weiter am Leben zu lassen« vom Grundstück gestürmt.

Kanya war damals verwirrt gewesen. »Aber er arbeitet doch nicht mehr für AgriGen«, hatte sie eingewandt, woraufhin Jaidee überrascht aufsah — er hatte gar nicht bemerkt, dass er seinen Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Der Doktor war eine lebende Legende. Ein Kinderschreck. Kanya hatte eigentlich erwartet, ihn in Ketten vorzufinden, doch bei ihrer ersten Begegnung saß er selbstzufrieden da und löffelte das Innere einer Koh-Angrit-Papaya aus, während ihm der Saft der Frucht das Kinn hinunterlief.

Sie fragte sich oft, was den Doktor dazu getrieben hatte, hierher ins Königreich zu kommen. Waren es Schuldgefühle gewesen? Oder das Herannahen seines sicheren Todes, gepaart mit dem Reiz der Ladyboys? Vielleicht hatte es auch einen Streit unter Kollegen gegeben? Jedenfalls schien er nichts zu bereuen. All das Elend, das er in die Welt gesetzt hatte, ließ ihn kalt. Er scherzte darüber, wie er Ravaita und Domingo einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte. Amüsierte sich über Doktor Michael Ping, dem er die Arbeit von zehn Jahren zerstört hatte.

Eine Cheshire huscht über die Terrasse und reißt Kanya aus ihren Gedanken. Sie hüpft auf den Schoß des Doktors. Kanya weicht angewidert zurück, während der Farang beginnt, das Tier hinter den Ohren zu kraulen. Pfoten und Körper des Wesens wechseln die Farbe und verschmelzen schließlich ganz mit dem Muster der Steppdecke auf dem Schoß des alten Mannes.

Der Doktor lächelt. »Klammern Sie sich nicht zu sehr an das, was Ihnen natürlich erscheint, Hauptmann. Hier, schauen Sie« — er beugt sich vor und gibt gurrende Geräusche von sich. Maunzend reckt sich ihm der schimmernde Cheshire-Schatten entgegen. Das Schildpattfell reflektiert die Sonne. Zaghaft fährt eine kleine Zunge über das Kinn des Doktors. »Ein hungriges kleines Biest«, sagt er. »Was gut ist. Genügend Gier könnte sie an die Spitze der Nahrungskette bringen, es sei denn, wir erfinden einen ihm überlegenen Räuber. Etwas, dem es wiederum nach ihm gelüstet.«

»Diese Möglichkeit haben wir bereits in einer Langzeitanalyse durchgespielt«, erwidert Kanya. »Dadurch würde das Nahrungsnetz nur noch weiter zersetzt. Ein neues Superraubtier kann den bereits angerichteten Schaden auch nicht beheben. «

Gibbons schnauft verächtlich. »Das Ökosystem ist schon zu dem Zeitpunkt zusammengebrochen, als der Mensch die Seefahrt für sich entdeckte. Als wir die ersten Feuer in den Weiten der Savanne legten. Wir haben diese Entwicklung nur beschleunigt. Dieses Nahrungsnetz, von dem Sie reden, ist reine Nostalgie, nichts weiter. Natur!« Er verzieht angewidert das Gesicht. »Wir sind die Natur. All unsere Basteleien sind Teil der Natur, jedes biologische Streben. Wir sind, was wir sind, und die Welt gehört uns. Wir sind Götter. Ihr einziges Problem ist der Widerwille gegen ein von allen Fesseln befreites Gestaltungspotenzial.«

»So wie AgriGen? Wie U-Texas? Wie im Fall von RedStar HiGro?« Kanya schüttelt den Kopf. »Wie viele von uns mussten sterben, weil diese Firmen bereit waren, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen? Eure Kalorien-Herren haben uns gezeigt, was darauf folgt. Die Menschen sterben.«

»Jeder muss sterben.« Der Doktor wischt Kanyas Bedenken beiseite. »Aber Sie sterben, weil Sie an der Vergangenheit festhalten. Wir sollten inzwischen alle Aufziehmenschen sein. Eine vollkommen neue Kreatur zu erschaffen, die gegen Rostwelke immun ist, ist wesentlich einfacher, als die bestehenden Version menschlicher Lebewesen davor zu schützen. In nur einer Generation hätten wir uns dem veränderten Lebensumfeld angepasst. Ihre Kinder könnten bereits Nutznießer dieses Wandels sein. Aber Ihresgleichen will sich einfach nicht anpassen. Sie hängen einer Vorstellung von Menschlichsein an, die sich gemeinsam mit der Umwelt über Jahrtausende hinweg herausgebildet hat, doch paradoxerweise weigern Sie sich jetzt plötzlich, weiter mit der Entwicklung Schritt zu halten. Unsere natürliche Umgebung besteht aus Rostwelke. Cibiskose. Genmanipulierten Rüsselkäfern. Cheshire. Die haben sich angepasst. Was für eine Rolle spielt es, ob sich das alles auf natürlichem Wege entwickelt hat oder nicht? Tatsache ist doch, dass sich unsere Umwelt verändert hat. Wenn wir weiterhin an der Spitze der Nahrungskette stehen wollen, werden auch wir uns dementsprechend verändern müssen. Oder wir tun es nicht, und dann gehen wir eben den Weg der Dinosaurier und der Felis domesticus. Anpassung oder Ausrottung. So lautete schon immer das oberste Gesetz der Natur, und trotzdem stellt ihr Weißhemden euch dem unvermeidlichen Wandel in den Weg.« Er beugt sich vor. »Manchmal möchte ich Sie am liebsten schütteln. Wenn Sie mir nur freie Hand lassen würden, könnte ich Ihr Gott werden und ein neues Eden erschaffen. «

»Ich bin Buddhistin.«

»Und wir alle wissen, dass Aufziehmenschen seelenlose Wesen sind.« Gibbons verzieht den Mund zu einem Lächeln. »Sie werden nicht wiedergeboren. Also werden sie sich eigene Götter suchen müssen, die sie beschützen. Die sie um Beistand für ihre Toten bitten können.« Sein Grinsen wird noch breiter. »Vielleicht werde ich diese Lücke füllen, und Ihre Aufziehkinder werden auf der Suche nach Erlösung zu mir beten.« In seinen Augen blitzt der Schalk auf. »Ich hätte zur Abwechslung nichts gegen ein paar Anhänger mehr einzuwenden, das muss ich zugeben. Jaidee war wie Sie. Ein Skeptiker. Nicht ganz so schlimm wie die Grahamiten, aber auch nicht gerade das, was sich ein Gott wünscht.«

Kanya zieht eine Grimasse. »Wenn Sie sterben, werden wir Sie einäschern und in Chlorlauge auflösen. Niemand wird sich an Sie erinnern.«

Unbeeindruckt zuckt der Doktor mit den Achseln. »Alle Götter werden Prüfungen unterzogen.« Dann lehnt er sich mit einem verschmitzten Lächeln im Rollstuhl zurück. »Sie würden mich also lieber jetzt gleich auf einem Scheiterhaufen verbrennen? Oder möchten Sie nicht vielleicht erst vor mir zu Kreuze kriechen und einmal mehr meiner Intelligenz huldigen?«