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»Dann tun Sie es doch. Aber beeilen Sie sich. Mich verlangt es dringend nach einer Rechtfertigung dafür, warum ich Ihnen nicht helfen werde.«

»Warum haben Sie so lange Zeit für AgriGen gearbeitet?«

Die Augen des Doktors verengen sich. »Aus demselben Grund, aus dem Sie wie ein Hund zu Ihrem Herrchen rennen. Ich wurde in der Münze entlohnt, die mir am meisten zusagt.«

Die Ohrfeige hallt über das Wasser. Das Sicherheitspersonal setzt sich in Bewegung, doch Kanya hat schon wieder Platz genommen und versucht, den stechenden Schmerz in ihrer Hand abzuschütteln. Sie verscheucht die Wachen. »Alles in Ordnung. Nichts passiert.«

Die Männer zögern, wägen ab, wem gegenüber sie sich loyal verhalten sollen. Der Doktor fasst sich an die aufgeplatzte Lippe, betrachtet nachdenklich das Blut an seinem Finger und sieht dann zu ihr auf. »Da habe ich wohl einen wunden Punkt getroffen … Wie viel von sich haben Sie an andere verkauft?« Sein Lächeln entblößt die von Kanya blutig geschlagenen Zähne. »Gehören Sie AgriGen? Arbeiten Sie für die?« Er schaut Kanya in die Augen. »Sind Sie hier, um mich zu töten? Um den Stachel, der ich noch immer bin, aus ihrem Fleisch zu ziehen?« Mit Augen, die sich in ihre Seele zu bohren scheinen, hält er sie gefangen. Sein Blick ist wachsam, neugierig. »Es ist nur eine Frage der Zeit. Die müssen wissen, dass ich hier bin. Dass ich Ihnen gehöre. Ohne mich hätte sich das Königreich unmöglich so lange behaupten können. Ohne meine Hilfe gäbe es keine Nachtschattengewächse, keine Ngaw. Wir wissen doch alle, dass die Jagd bereits eröffnet ist. Sind Sie etwa mein Nimrod? Mein Schicksal?«

Kanya blickt ihn finster an. »Wohl kaum. Wir sind noch nicht fertig mit Ihnen.«

Gibbons sinkt in sich zusammen. »Ah, natürlich nicht. Und Sie werden es auch niemals sein. Das liegt in der Natur der Raubtiere und Seuchen — wir haben es schließlich nicht mit hirnlosen, lenkbaren Maschinen zu tun. Sie gehorchen einzig ihren Grundbedürfnissen und werden von einem unstillbaren Hunger angetrieben. Die Evolution hat ihnen diese Rolle zugeteilt. Sie müssen sich ständig verändern und anpassen, und genau aus diesem Grund werden Sie niemals mit mir fertig sein. Was wird, wenn ich einmal nicht mehr bin? Wir haben dunkle Mächte in die Welt entlassen, gegen die einzig mein Intellekt uns noch schützen kann. Die Natur ist nicht mehr dieselbe. Sie liegt jetzt sprichwörtlich in unseren Händen. Wäre es nicht ausgleichende Gerechtigkeit, wenn wir von einer unserer eigenen Schöpfungen verschlungen würden?«

» Kamma «, murmelt sie leise.

»Genau so ist es.« Gibbons lehnt sich wieder zurück und schmunzelt. »Kip. Hol mir die Unterlagen. Lass uns sehen, ob wir dieses neue Rätsel lösen können.«

Nachdenklich trommelt er mit den Fingern auf seinen leblosen Beinen herum. Dann lächelt er Kanya verschmitzt an. »Wir werden herausfinden, wie nahe am Abgrund Ihr kostbares Königreich sich befindet.«

Kip schwimmt umher und sammelt die im Pool verstreuten Seiten ein. Dabei plätschern kleine Wellen über die Wasseroberfläche. Die Unterlagen sind triefend nass. Während Gibbons Kip beobachtet, huscht ein Lächeln über sein Gesicht. »Sie haben Glück, dass Kip mir gefällt. Sonst hätte ich Sie alle schon vor Jahren sterben lassen.«

Er nickt den Wachen zu. »Hauptmann Kanya wird Proben mitgebracht haben. Holt sie. Wir nehmen alles mit ins Labor.«

In diesem Moment kommt Kip herbei und legt dem Doktor die nassen Seiten in den Schoß. Auf ein Zeichen von ihm schiebt sie ihn auf den Eingang der Villa zu. Der Doktor bedeutet Kanya, ihm zu folgen.

»Kommen Sie schon. Es wird nicht lange dauern.«

Mit zusammengekniffenen Augen betrachtet der Doktor einen der Objektträger. »Es überrascht mich, wie Sie darauf kommen, dass es sich hierbei um eine unabhängige Mutation handeln könnte.«

»Es gibt nur drei Krankheitsfälle.«

Der Doktor blickt zu ihr auf. »Bis jetzt.« Ein kurzes Lächeln. »Das Leben folgt bestimmten Algorithmen. Aus zwei werden vier, dann zehntausend, dann eine Epidemie. Vielleicht ist es zu diesem Zeitpunkt bereits in der ganzen Bevölkerung verteilt, ohne dass wir davon wissen. Vielleicht sehen wir hier das Endstadium vor uns. Unheilbar, aber ohne Symptome, wie bei der armen Kip.«

Kanya schaut zu dem Ladyboy hinüber. Kip erwidert den Blick mit einem freundlichen Lächeln. Ihre Haut sieht normal aus. Ihr Körper ebenso. Sie leidet also nicht an derselben Krankheit wie der Doktor. Und doch … Kanya weicht unwillkürlich einen Schritt zurück.

Der Farang sieht sie belustigt an. »Kein Grund zur Aufregung. Sie leiden an derselben Krankheit. Naturgemäß ist das Leben selbst am Ende tödlich.« Er sieht wieder durch das Mikroskop.

»Da war kein Indie-Genhacker am Werk. Sondern irgendetwas anderes. Auch keine Rostwelke. Es gibt keine Anzeichen für eine Arbeit von AgriGen.« Plötzlich macht sich ein angewiderter Ausdruck auf seinem Gesicht breit. »Hier gibt es nichts, was mein Interesse verdient hätte. Irgendein Dummkopf hat einen Fehler gemacht. Dafür ist mir mein Verstand zu schade.«

»Das ist doch gut, oder nicht?«

»Eine zufällig entstandene Epidemie tötet ebenso gründlich wie eine im Labor gezüchtete.«

»Gibt es einen Weg, das aufzuhalten?«

Der Doktor nimmt eine Brotkruste zur Hand. Sie ist mit einer grünlichen Schimmelschicht bedeckt. Versonnen betrachtet er den Pilzüberzug. »So viele im Wachsen begriffene Dinge sind uns zuträglich. Und so viele lebensgefährlich.« Er hält Kanya das Brot hin. »Versuchen Sie es.«

Kanya schreckt zurück. Gibbons verzieht den Mund zu einem Grinsen und beißt hinein. Bietet ihr das Brot erneut an. »Vertrauen Sie mir.«

Kanya schüttelt den Kopf und unterdrückt den dringenden Wunsch, schützende und reinigende Gebete für Phra Seub aufzusagen, die ihren Aberglauben verraten würden. Stattdessen berührt sie kurz ihr Amulett und stellt sich den Heiligen im Lotussitz vor. Sie wird sich vom diesem Dämon nicht aus der Reserve locken lassen.

Der Mann nimmt einen weiteren Bissen. Krümelt sich das ganze Kinn voll. »Wenn Sie bereit sind, einen Happen zu sich zu nehmen, werde ich Ihre Frage beantworten.«

»Ich würde niemals etwas aus Ihrer Hand nehmen.«

Der Doktor lacht laut auf. »Aber das haben Sie doch bereits. Jede einzelne Spritze, die Sie als Kind erhalten haben. Jede Impfung. Jede Auffrischung.« Er hält ihr das Brot hin. »Das hier ist persönlicher. Sie werden es nicht bereuen, davon probiert zu haben.«

Kanya deutet mit dem Kopf in Richtung Mikroskop. »Um was genau handelt es sich bei dieser Sache? Werden Sie weitere Untersuchungen vornehmen?«

Gibbons schüttelt den Kopf. »Das? Das ist nichts. Eine alberne Mutation. Ein Standardprodukt. Die haben wir bei uns im Labor auch gehabt. Müll.«

»Warum haben wir dann noch nie etwas Vergleichbares gesehen?«

Gibbons’ Ausdruck wird ungeduldig. »Weil Sie den Tod nicht auf die Art züchten, wie wir es getan haben. Sie trauen sich nicht an die Bausteine des Lebens heran.« Für einen Moment sieht sie wirkliches Interesse und so etwas wie Leidenschaft in seinen Augen aufflackern. Zugleich schimmert Bosheit und Habgier darin. »Sie haben ja keine Vorstellung davon, was wir in unseren Laboratorien alles erschaffen haben. Dieser Firlefanz hier ist reine Zeitverschwendung für mich. Ich hatte gehofft, dass Sie mit einer Herausforderung an mich herantreten. Etwas aus der Hand von Dr. Ping und Raymond. Oder vielleicht von Mahmoud Sonthalia. Eine Aufforderung zum Tanz.« Der für ihn sonst so charakteristische zynische Ausdruck ist nun verflogen. Er wirkt beinahe entrückt. »Ha! Das wären würdige Gegner.«

Wir sind einem Spieler ausgeliefert.

Die Einsicht durchfährt Kanya wie ein heißer Blitz. Sie hat den Doktor durchschaut. Ein unzähmbarer Geist. Ein Mann, der in seinem Feld bereits alles erreicht hat. Ein missgünstiger Mensch, der sich geradezu zwanghaft mit anderen messen muss. Nur war die Konkurrenz irgendwann keine Herausforderung mehr für ihn gewesen, also wechselte er die Seiten und kam ins Königreich, um einen neuen Anreiz zu schaffen. Ein Winkelzug. So als hätte sich Jaidee entschlossen, einen Muay-Thai-Kampf mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen durchzuführen, nur um zu sehen, ob er es auch mit den Beinen allein schaffen könnte.