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»Das hört sich traumhaft an.«

»Das wird es auch sein«, sagt er. »Ich muss für einige Tage fortgehen, um Vorkehrungen zu treffen. Wenn ich zurückkomme, wird alles anders sein.«

Bevor er geht, ermahnt er sie noch, nicht von ihrem üblichen Verhalten abzuweichen und Raleigh nichts von alldem zu verraten. Er gibt ihr seinen Wohnungsschlüssel.

So kommt es, dass Emiko abends in einem angenehm kühlen Zimmer auf sauberen Laken erwacht. Über sich hört sie das gleichmäßige Surren des Kurbelventilators. Sie weiß nicht mehr, wann sie das letzte Mal so angst- und schmerzfrei geschlafen hat — es lässt sie ganz benommen zurück. Die Räume liegen im Halbdunkel, das nur von den Gaslampen auf der Straße erhellt wird, einem Flackern wie von lebendigen Glühwürmchen.

Sie hat Hunger. Heißhunger. Nachdem sie Anderson-samas Küche entdeckt hat, stöbert sie in den verschlossenen Behältern nach etwas zu knabbern: Kekse, einen kleinen Leckerbissen, Kuchen vielleicht, egal was. Frisches Gemüse hat Anderson-sama keines im Haus, aber sie findet Reis, Soja und Fischsauce, also setzt sie Wasser auf und bewundert den Methanbehälter, den er hier so vollkommen ungesichert lagert. Fast hat sie vergessen, dass es einmal eine Zeit gab, in der all diese Dinge für sie selbstverständlich waren. Dass Gendo-sama sie in einer weit luxuriöseren Umgebung untergebracht hatte, im obersten Stockwerk eines Apartments in Kyoto. Die Fenster gingen auf den Tō-ji-Tempel hinaus, auf alte Mönche ganz in Schwarz, die mit langsamen Bewegungen den Schrein hegten.

Diese längst vergangene Zeit kommt ihr vor wie ein Traum. Das ruhige, heitere Blau des Herbsthimmels. Sie erinnert sich an das schöne Gefühl, Kindern Neuer Menschen, die erst vor Kurzem der Krippe entstiegen waren, beim Entenfüttern zuzusehen oder dabei, wie sie eine Teezeremonie einstudierten, hoch konzentriert. Und ohne Aussicht auf Erlösung.

Auch an ihre eigene Ausbildung erinnert sie sich … schaudernd erkennt sie, dass sie darauf dressiert wurde, für alle Zeit einem Herrn dienstbar zu sein. Sie denkt daran zurück, wie Gendo-sama sie aufnahm und mit Zuneigung überschüttete; dann warf er sie fort wie eine ausgelutschte Tamarindenschale. Das war ihr vorbestimmtes Schicksal. Und bestimmt kein Zufall.

Mit zusammengekniffenen Augen starrt sie auf den Topf und das kochende Wasser, sieht den Reis vor sich, den sie nur mit Augenmaß perfekt abgemessen hat, weil sie genau weiß, wie viel sie benötigt. Unbewusst hat sie dann eine ebenmäßige Schicht im Topf geformt, ganz so, als handelte es sich dabei um einen Steingarten, als würde sie sich auf eine Zazen-Meditation vorbereiten, bei der sie die Körner festdrücken musste — als würde ihr Leben davon abhängen, dass sie den Reis in dem Topf ordentlich glattharkt.

Sie schlägt zu. Die Reisschale zerspringt, und Scherben fliegen in alle Himmelsrichtungen; auch der Wassertopf segelt durch die Luft, und kochend heiße Juwelen leuchten auf.

Emiko befindet sich im Auge des Sturms, sieht die kleinen Tropfen vorbeiziehen — schwerelose Reiskörner, mitten in der Bewegung erstarrt, als wären Korn und Wasser ebenfalls Aufziehwesen, die nur mit stockenden Bewegungen fliegen können, so wie sie ruckend und zuckend durchs Leben stolpert — ein bizarrer, unnatürlicher Anblick für normale Menschen. Diejenigen, denen sie so verzweifelt dienen will.

Jetzt sieh nur, was dir deine Beflissenheit gebracht hat.

Der Topf knallt gegen die Wand. Reiskörner glitschen über glatten Marmor. Alles ist triefend nass. Heute Nacht wird sie herausfinden, wo genau sich dieses Dorf für Neue Menschen befindet. Dieser Ort, an dem andere so wie sie ohne Herren leben. An dem Neue Menschen niemandem dienen müssen außer sich selbst. Auch wenn Anderson-sama gesagt hat, dass seine Leute unterwegs sind, so wird er doch immer ein echter Mensch bleiben und sie immer zu den Neuen Menschen gehören — und für immer die Dienerin sein.

Sie bekämpft den Drang aufzuräumen, damit alles ordentlich ist, wenn Anderson-sama nach Hause kommt. Stattdessen zwingt sie sich dazu, das ganze Chaos zu betrachten und sich vor Augen zu führen, dass sie nicht länger eine Sklavin ist. Wenn er möchte, dass der Reis vom Boden gewischt wird, dann muss er andere Leute damit beauftragen, für ihn die Drecksarbeit zu erledigen. Dafür ist sie nicht zuständig. Sie ist anders. Auf ihre eigene Art vollkommen. Und auch wenn sie einmal ein angebundener Falke war, etwas hat Gendo-sama doch getan, wofür sie ihm Dank schuldet. Er hat ihre Fesseln durchtrennt — nun ist sie frei.

Mühelos — es ist fast schon zu einfach — gleitet sie durch die Dunkelheit. Silberne Reifen glänzen an ihren Ohrläppchen, während Emiko sich mit frischer Farbe auf den Lippen und schwarz geschminkten Augen in das Getümmel stürzt.

Als Neuer Mensch kann sie sich mit einer solchen Geschwindigkeit durch die Menge bewegen, dass sie gar nicht wahrgenommen wird. Sie lacht über die anderen Leute. Lacht und schlängelt sich durch sie hindurch. Etwas tickt in ihrer Aufziehnatur und scheint den Suizid zu suchen. Sie taucht unter in der Öffentlichkeit. Das Schicksal hält seine schützende Hand über sie.

Während sie durch die Menge gleitet, weichen immer wieder Leute vor dem Aufziehmädchen in ihrer Mitte zurück. Dieses gegen alle Regeln verstoßende Geschöpf, das die Unverschämtheit besitzt, ihre Gehsteige zu beschmutzen, verwirrt sie — als wäre ihr Land auch nur halb so rein wie die Inseln, von denen sie vertrieben wurde. Sie kräuselt die Nase. Selbst Japans Abwässer wären noch zu gut für diesen lärmenden, übelriechenden Ort. Die Leute erkennen einfach nicht, dass sie eigentlich eine Zierde für sie darstellt. Emiko lacht in sich hinein, und erst durch die Blicke der anderen Passanten wird ihr bewusst, dass sie laut gelacht hat.

Weißhemden, direkt vor ihr. Ihre Uniformen blitzen zwischen behäbigen Megodonten und Handkarren auf. Emiko bleibt am Geländer einer Khlong-Brücke stehen, hält den Blick auf das dahinfließende Wasser gerichtet und wartet, bis die Gefahr vorbei ist. Der Kanal wird vom grünen Schein der Lampen erhellt; schimmernd blickt ihr das eigene Antlitz entgegen. Sie hat das Gefühl, eins mit dem Wasser werden zu können, wenn sie nur lange genug in das Leuchten hineinstarrt. Eine Wasserfrau werden! Ist sie nicht jetzt bereits ein Teil dieser wandelbaren Welt? Hätte sie es nicht verdient, sich treiben zu lassen und langsam unterzugehen? Sie erstickt diesen Gedanken im Keim. Das ist die alte Emiko, die da spricht. Diejenige, die ihr niemals das Fliegen beibringen konnte.

Ein Mann nähert sich ihr und stützt sich ebenfalls auf das Geländer. Sie sieht nicht zu ihm auf, behält aber sein Spiegelbild im Wasser im Auge.

»Ich sehe gern den Kindern dabei zu, wie sie ihre Boote die Kanäle entlangtreiben lassen«, sagt er.

Sie deutet ein Nicken an, wagt aber nicht zu sprechen.

»Sehen Sie etwas im Wasser? Weil Sie so lange hineinblicken? «

Sie schüttelt den Kopf. Seine weiße Uniform ist in grünes Licht getaucht. Er ist ihr so nahe, dass er nur die Hand ausstrecken müsste, um sie zu berühren. Sie fragt sich, welchen Ausdruck seine freundlichen Augen wohl annehmen würden, wenn er die sengende Hitze auf ihrer Haut spüren könnte.

»Sie müssen keine Angst vor mir haben«, fährt er fort. »Es ist nur eine Uniform. Und Sie haben doch nichts Unrechtes getan.«

»Nein«, haucht sie. »Ich habe keine Angst.«

»Das ist gut. Ein hübsches Mädchen sollte sich nicht fürchten müssen.« Er hält inne. »Sie haben einen merkwürdigen Akzent. Rein vom Aussehen her dachte ich zuerst, Sie seien vielleicht aus Chaozhou …«

Sie wiegt vorsichtig den Kopf hin und her. Eine ruckartige Bewegung. »Bedaure. Ich stamme aus Japan.«

»Sie gehören zu den Fabriken?«

Sie zuckt mit den Achseln. Sein Blick scheint sie zu durchbohren. Sie lässt den Kopf zur Seite gleiten — langsam, langsam, ruhig, ruhig, kein einziges Stottern, kein einziges Rucken — und schaut ihm direkt in die Augen. Er ist älter, als sie gedacht hat. Um die vierzig, wenn sie sich nicht täuscht. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht ist er noch jung und nur vorzeitig gealtert, weil er bei seiner Arbeit so viel Böses erlebt? Sie unterdrückt das unwillkürlich aufsteigende Mitleid, bekämpft den genetisch angelegten Wunsch zu dienen, selbst wenn er sie jeden Augenblick aus einer Laune heraus in Stücke reißen könnte. Ganz langsam dreht sie den Kopf wieder zum Wasser.