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Halt — das war ein Problem von morgen.

Solen für Technik sagte: »Wir prüfen, wie sich die Entfernung zwischen kritischen Funktionen und der kontaminierten Kapsel maximieren lässt. Die Farmen sind Gott sei Dank so weit von der Quarantäne entfernt, wie es weiter nicht geht, hundertachtzig Grad. Wir sind dabei, jenseits der landwirtschaftlichen Peripherie eine Ambulanz einzurichten; Krankheitsfälle, sollte es welche geben, werden direkt an die Peripherie der Quarantäne gelegt.«

Degrandpre vergegenwärtigte sich die Raumstation: eine rotierende Halskette mit zehn grauen Perlen. Nein, neun grauen Perlen und einer schwarzen — die virulent war. Er würde mit seinem Quartier auf Abstand gehen müssen.

Die neuen Turing-Generatoren mussten natürlich warten; eine erneute Verzögerung des D&P-Interferometer-Projekts war nicht zu vermeiden. Das Großziel, Isis als Etappenbasis für weiter reichende Higgs-Transfers zu benutzen, war nur mit einem stabilen isischen Vorposten zu erreichen — der, koste es, was es wolle, verteidigt werden musste. Ohne die IOS, dachte Degrandpre, konnte das Kartell die Sterne vergessen, auf absehbare Zeit zumindest.

Das Problem, das ihm am meisten auf den Nägeln brannte, war aber nicht die Ansteckungsgefahr als solche, sondern die Angst davor. Was in der Quarantäne passiert war, konnte man schwerlich fünfzehnhundert Leuten verheimlichen, so groß etwa war die Belegschaft der Orbitalstation; und jeder Einzelne wusste nur zu genau, dass er oder sie in einem Metallcontainer steckte, aus dem es so gut wie kein Entrinnen gab. Die für den Notfall reservierte Higgs-Schleuder, erklärte Solen geflissentlich, könne vielleicht zehn oder zwölf Fliegengewichte retten.

»Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter«, sagte Degrandpre, »aber machen Sie ihnen nicht die Hölle heiß. Betonen Sie, dass wir außergewöhnlich umsichtige Vorkehrungen treffen und dass es außerhalb von Zone Fünf zu keinerlei Kontamination gekommen ist.«

Leander für Medizin sagte: »Das wissen die Leute, Manager, aber sie sehen auch, was mit den Bodenstationen passiert. Man hat das Gefühl, dass es bei erfolgter Kontamination keine verlässliche Methode gibt, sie aufzuhalten.«

»Betonen Sie, dass es hier und jetzt um einen einzelnen Organismus geht und nicht um die ganze isische Biosphäre.«

»Es handelt sich nur um einen Organismus? Stimmt das?«

»Gut möglich. Die öffentliche Ordnung ist mir jedenfalls wichtiger als die Wahrheit.«

Die Besprechung ging zügig voran, folgte Punkt für Punkt der von Degrandpre vorbereiteten Tagesordnung. So weit, so gut: der Ansteckung war Einhalt geboten, Lebensmittel und Wasser lagerten in sicherem Abstand und alle lebensnotwendigen Prozesse funktionierten wie immer. Die IOS war nach wie vor eine sichere Zuflucht.

Was ihnen durch die tragischen Ereignisse in der Quarantäne abhanden gekommen war, war ein Gefühl von Geborgenheit. Zerbrechlich waren wir immer, dachte Degrandpre. Aber nicht so zerbrechlich wie jetzt.

* * *

Degrandpre hielt die Kommunikationsmanagerin zurück.

»Ich wünsche, dass alle auslaufenden Nachrichten zur Freigabe über mein Büro geleitet werden, auch alle den Haushalt betreffenden Routinemeldungen. Es wäre verfrüht, jetzt schon Alarm zu schlagen.«

Die Managerin, eine knochige Terrestrierin namens Nakamura, verlagerte peinlich berührt ihr Gewicht. »Das ist äußerst ungewöhnlich«, sagte sie — womit sie ihm vermutlich zu verstehen geben wollte, dass sie nicht den Kopf hinhalten würde, falls das Kartell einen Schuldigen suchte.

Junge Frau, dachte er, wenn Sie keine anderen Probleme haben. Er notierte ihren Einwand und entließ sie.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gab es nichts, worüber man die Familien hätte unterrichten müssen. Das Kartell fürchtete nichts mehr als die Verschleppung eines isischen Erregers zur Erde. Ein Alarm konnte ohne Weiteres bedeuten, dass man eine ausgedehnte Quarantäne verhängte — oder sich weigerte, ein Higgs-Modul aus der IOS andocken zu lassen, was bedeuten würde, dass die Überlebenden nicht überleben würden.

Degrandpre fand keinen Gefallen an der Vorstellung, Teil eines winzigen, gefrorenen Himmelskörpers zu werden, eingesargt in einer Art künstlichem Kuiper-Körper, einem kometenähnlichen Mausoleum, das endlose Bahnen um die Sonne zog.

* * *

Er unterhielt sich über Sichtfunk mit Corbus Nefford.

Der Chefarzt der Station litt Angst, das war deutlich zu sehen. Die Uniform trug Schweißringe, das Gesicht war blass und teigig, die Augen geweitet. Degrandpre versuchte sich vorzustellen, wie der Thymostat dieses Mannes auf Hochtouren arbeitete und in fieberhafter Eile molekulare Ordnungshüter synthetisierte…

»Es ist absurd«, beharrte Nefford, »mich ausgerechnet jetzt hier anzuketten…«

»Sicher, Corbus, Sie haben ja Recht. Aber so steht es nun mal in der Notverordnung.«

»Die sich pedantische Theoretiker ausgedacht haben, die offenbar keine Ahnung…«

»Die sich das Kartell ausgedacht hat. Nehmen Sie Ihre Zunge in Acht, Doktor.«

Die schmalen Augenbrauen und der schmale Mund des Arztes zogen sich gereizt zusammen, als ob, dachte Degrandpre, von innen jemand die Nahtfäden straffe. Der bisherige Manager für Medizin schien den Tränen nahe, kein gutes Omen. »So begreifen Sie doch. Diese Leute sind so rasch gestorben.«

»Sie starben in Zone Fünf, richtig?«

»Ja, aber…«

»Wozu dann die Panik?«

»Ich will doch nur ein bisschen mehr Abstand von der Kontamination. Ist das zu viel verlangt? Alle anderen zieht es zu den Gärten, wie man hört. Warum soll ich diese Arbeit machen, ausgerechnet ich?«

»Das entscheiden nicht Sie, Doktor.«

»Ich habe ein Leben lang in ästhetischer Umgebung gearbeitet. Ich gehöre zum Adel! Ich erhalte die Gesundheit! Ich führe keine Autopsien durch! Diese… diese Art von Arbeit ist mir fremd.«

Neffords Stimme verlor sich, er hieb die Stirn auf seinen Ärmel. Der Arzt war krank.

Vor Angst.

Hoffentlich, dachte Degrandpre. Diesmal beneidete er seinen Vater. Um dessen sture Religiosität. Um den Propheten, zu dem er gebetet hatte. Hier gab es keinen Propheten, kein Mekka, kein Jerusalem. Kein Paradies und keine Vergebung, keinen Spielraum für Fehler.

Nur einen Teufel. Und der Teufel war fruchtbar, der Teufel lebte.

Siebzehn

Die Evakuierung von Marburg nahm anderthalb Tage in Anspruch.

Die Forschungsstationen Marburg und Yambuku sahen sich zum Verwechseln ähnlich, erstere hatte sich tief im gemäßigten Wald des Kleineren Nordkontinents etabliert. Auch sie lag mitten in einer Rodung, der streng sterile Kernbereich enthielt Innenschichten, die eine wachsende Gefahr für Leib und Leben bedeuteten. Die organisch kontaminierten Außenwände wurden täglich abgeschrubbt — allerdings weniger gründlich, seit die Wartungsroboter erste Störungen gezeigt hatten; die Hangars standen voller Maschinen, die repariert werden mussten, und ein dünner bakterieller Belag hatte drei Luftschleusen unbrauchbar gemacht. Als sich ein ähnlicher Befall an den Dichtungen des Shuttledocks zeigte, hatte Weber, der leitende Manager, ein Virologe aus dem Shoe-Clan, die totale Evakuierung verlangt.

Seine Forderung stieß bei der IOS auf wenig Gegenliebe. Anscheinend wollte man den Shuttle von Marburg auf ein zweites Dock umlenken, das für eine längere Quarantäne eingerichtet war. Weber führte das auf terrestrische Paranoia zurück, auch wenn es Schlimmeres bedeuten konnte. Aber ein Aufschub kam nicht infrage. Weber liebte Isis und hatte geschuftet, um aus Marburg ein florierendes Unternehmen zu machen. Doch er war Realist. Die Evakuierung noch länger hinauszuzögern, hieß, den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen.