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Degrandpre begann mit dem Stift zu klopfen und setzte sich zurück. Seine Kleidung war von welkem Grau, die unvermeidliche Kacho-Uniform, ein steifer, schwarzer Kragen, der den dicken Bauernhals umschloss. Stuhl aus Holz, Schreibtisch aus Holz, ein Plüschteppich und ein mehrschichtiger Dienstanzug; das alles war von der Erde hierher geschafft worden - Zoe dachte mit Schaudern an die Kosten. Er fragte: »Fühlen Sie sich vernachlässigt?«

»Nein, nicht vernachlässigt. Ich wollte mich nur vergewissern…«

»Dass wir Sie nicht vergessen haben.«

»Ja… so ist es, Manager.«

Degrandpre fuhr fort, mit dem Stift gegen den Bildschirm zu klopfen, ein Geräusch, das Zoe an Eis denken ließ, das in einem warmen Glas zersprang. Er schien zugleich amüsiert und verärgert zu sein. »Erlauben Sie mir eine Frage, Bürgerin Fisher. Glauben Sie wirklich, in einem Außenposten dieser Größenordnung, wo über jedes Gramm Rechenschaft abgelegt und jeder Sou bewilligt werden muss, da könne jemand verloren gehen?«

Sie wurde rot. »So habe ich darüber noch nicht nachgedacht.«

»In den letzten sechs Wochen sind vier Shuttles zwischen uns und den Bodenstationen geflogen. Jeder Flug erfordert langwierige Quarantänemaßnahmen und ausgefuchste Prozeduren für das keimfreie Andocken. Die Flüge werden Monate im Voraus festgelegt. Leute Ihresgleichen kommen hier an und meinen, der Higgs-Transfer sei der Flaschenhals und der Abstieg zum Planeten sei verglichen damit eine Spritztour. Weit gefehlt. Ich weiß um Ihre Anwesenheit und Zweckbestimmung und Sie stehen fraglos auf der Warteliste. Aber Nachschub und Instandhaltung haben nun einmal Priorität. Das müssen Sie verstehen.«

Aber ihr wusstet doch, dass ich komme, dachte Zoe. Wieso wurde das nicht eingeplant? Oder hatte es Verzögerungen gegeben, von denen sie nichts wusste? »Entschuldigen Sie, Manager Degrandpre, aber ich habe auch keinen Terminplan gesehen. Wann ist mein Abstieg eingeplant?«

»Sie werden benachrichtigt. Ist das alles?«

»Nun… ja, Sir.« Jetzt, da sie durch das Fenster geschaut hatte.

Degrandpre musterte den rasch scrollenden Bildschirm. »Draußen wartet eine Delegation von Yambuku. Leute, mit denen Sie arbeiten werden. Sie können gerne bleiben und zuhören. Ihre Kollegen kennen lernen.« Es klang wie ein großzügiges Zugeständnis. Kalkuliert selbstverständlich. Eines dieser bei Bürokraten so beliebten Kacho-Manöver. Überrasche deinen Kontrahenten; lass dich nie überraschen.

Zoe sagte: »Yambuku?«

»Bodenstation Delta. Delta wird Yambuku genannt; Gamma ist Marburg.«

›Yambuku‹ und ›Marburg‹ hießen die ersten beschriebenen Spielarten des hämorrhagischen Fiebers, das die Erde des einundzwanzigsten Jahrhunderts verwüstet hatte. Scherz eines Mikrobiologen. Höchstwahrscheinlich eines Mikrobiologen aus dem Kuiper-Gürtel. Der terrestrische Sinn für Humor hielt sich auf dem Gebiet in Grenzen.

»Setzen Sie sich«, sagte Degrandpre. »Geben Sie Obacht. Halten Sie nach Möglichkeit den Mund. Wenn Sie aber möchten, können Sie weiterhin aus dem Fenster blicken.«

Sie ignorierte seinen Sarkasmus und blickte aus dem Fenster.

Die Dämmerung hatte die verstreuten Inselketten der Westsee erreicht. Über einem aktiven Vulkan stand eine dunkle Wolke, die aussah wie eine Rußfahne. Die Große Kontinentalmasse drehte sich ins Blickfeld, ein dichter Teppich aus gemäßigten und borealen Wäldern. Hier glänzte ein uralter, blauer Kratersee im Sonnenlicht, dort ein schmaler Ausläufer polaren Eises. Wolkengipfel so weiß wie geschliffene Diamanten.

Und alles so tödlich wie Arsen.

Ihre neue Heimat.

* * *

Zwei Männer und eine Frau schlurften in den Raum und beschlagnahmten den Konferenztisch. Zoe blieb am Fenster stehen. Still sollte sie sein; das hätte er sich sparen können; überfüllte Zimmer fand sie beklemmend.

Kenyon Degrandpre stellte ihr die Neuankömmlinge als Tam Hayes, Elam Mather und Dieter Franklin vor, alle aus der Yambuku-Station, alle mit dem letzten Shuttle gekommen.

Zoe erkannte Hayes wieder, sie hatte ihn auf Fotos gesehen. Er war Leiter der Delta-Station und Seniorbiologe des Isis-Projekts — Senior dem Status, nicht dem Alter nach. Hayes war trotz seiner fünf Jahre auf Isis-Rotation noch relativ jung. Der Mann machte etwas her, dachte Zoe. Gut, er brauchte einen Haarschnitt. Der Bart erinnerte an ein Gewirr aus Kupferdraht. Hayes war das Klischee eines Wissenschaftlers aus dem Kuiper-Gürtel, ungepflegt eben. Die beiden anderen waren nicht besser.

Hayes streckte ihr die Hand hin. »Zoe Fisher! Wir haben gehofft, Sie anzutreffen.«

Zoe ergriff die Hand mit Widerwillen. Sie mochte keine Berührungen mit anderen Menschen. Hatte man Hayes nicht informiert oder war es ihm egal? Ihre Hand verschwand in seinem fleischigen Griff. »Dr. Hayes«, murmelte sie und verbarg ihr Unbehagen.

»Bitte, nennen Sie mich Tam. So viel ich weiß, werden wir zusammenarbeiten.«

»Sie können sich später noch austauschen«, sagte Degrandpre. Und zu Zoe: »Dr. Hayes und seine Mitarbeiter haben Archivmaterial gesichtet, das für den Transfer zur Erde vorgeschlagen wurde.«

Zoe verfolgte angestrengt den Wortwechsel zwischen ihm und Hayes und versuchte die einzelnen Streitpunkte herauszuhören. Die Partikelpaar-Verbindung zur Erde war eine derart enge Pipeline, mit derart strenger Bandbreitenbeschränkung, dass die Downloadkapazitäten heiß umkämpft waren und das fragliche Material sich einer Art Auslese unterziehen musste. Degrandpre war gleichsam der oberste Richter. Also war Hayes gekommen, der Leiter des Yambuku-Projekts, und lieferte eine engagierte Zusammenfassung des Datenpakets seiner Gruppe, derweil Degrandpre die nervtötende Rolle des Kartellbürokraten spielte: reserviert, gelangweilt, skeptisch. Er spielte mit dem Stift herum, schlug ein Bein übers andere und bat Hayes ein ums andere Mal, etwas zu erklären, das bis dahin völlig klar gewesen war. Schließlich sagte er: »Zeigen Sie mir das Bildmaterial.« Holografien und Fotos zu übertragen, war besonders teuer, aber sie hatten sozusagen die Funktion von ›Belegexemplaren‹ und waren in der heimatlichen Presse ziemlich beliebt.

Von oben entrollte sich ein großer zentraler Bildschirm.

Die Bilder im Yambuku-Paket waren Mikrografien von Viren, Bakterien, Prionen und biologisch aktiven Proteinketten, allesamt »OLB«, wie Hayes sich ausdrückte: noch ohne lateinischen Beinamen. Es gab auch eine Reihe herkömmlicher Fotografien zur Illustration eines Aufsatzes, den einer seiner Juniorbiologen in einem wissenschaftlichen Journal publizieren wollte. Degrandpre fragte: »Noch mehr explodierende Mäuse?«

Zoe hatte diesen Ausdruck noch nie gehört.

Hayes Miene verriet, dass er ihm missfiel. »Wir setzen lebende Tiere aus, ja.«

»Wenn ich bitten darf, Dr. Hayes.«

Hayes benutzte eine Fernsteuerung, um die Bilder aus dem Zentralspeicher der IOS abzurufen. Zoe bemerkte, wie Degrandpre sie mit einem neugierigen Blick bedachte. Wollte er sehen, wie sie reagierte? Wenn ja, warum?

Elam Mather, eine Frau mit vollem Gesicht über der grauen Laborkleidung, stand auf, um die Bilder zu kommentieren. Die kräftige Stimme klang verärgert.

»Das Konzept war, die frei vorkommenden Mikroorganismen von Isis mittels einer Serie von Mikronfiltern zu sortieren, um ihre Tödlichkeit und ihre Vorgehensweise zu evaluieren. An einem ruhigen, trockenen Tag, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, nahmen wir eine Luftprobe von außerhalb der Station. Meteorologische Details sind beigefügt. Eine erste Analyse ergab eine Menge an organischer Materie und die übliche Mischung aus Wassertröpfchen, Silikatstaub und so weiter. Eine Probe wurde durch ein Filter genötigt und in eine Isolationskammer gespritzt, in der sich eine geklonte Maus der CIBA-siebenunddreißig-Linie befand.«