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So sehr er sich bemühte, mit seinen Kräften zu haushalten, das hier war harte körperliche Arbeit. Der Schweiß rann in Strömen, ein kleiner Teil wurde recycelt, der größte Teil sammelte sich zwischen Körper und Kühlgelmembran und irritierte die Haut. Er hielt den Boden im Auge, mied Stellen, wo ihm der Morast zu tief erschien. In Pfützen, zwischen heruntergefallenen Blättern, spiegelte sich der Himmel, Sonne glitzerte auf schaumigem Wasser.

Und von Zeit zu Zeit stellte er sich der Frage, was er hier draußen tat.

Natürlich, er suchte nach Zoe, denn er machte sich Sorgen um Zoe. Sie war verletzlich aber gnadenlos hartnäckig — einen Moment lang verglich er sie mit einem Farn, der sich aus einer giftigen Verwehung vulkanischer Asche erhob. Sie war Misshandlungen ausgesetzt gewesen, die ihre vier Schwestern das Leben gekostet hatten, nur sie hatte überlebt — war aus ihrer Gefangenschaft nach Isis gekommen, gerade so wie Hayes seine Familie und den Clan hinter sich gelassen hatte.

Aber beide wurden wir verführt, dachte Hayes.

Ob sie so bereitwillig gekommen wäre, wenn sie gewusst hätte, dass sie nichts weiter als eine Art Versuchskaninchen für neue Konzernprodukte war? Gott sei’s geklagt, dachte Hayes, vielleicht ja; doch der Konzern hatte ihr keine Wahl gelassen. Lügen in Lügen verpackt, jeder war an der einen oder anderen Sünde beteiligt; Wissen wurde gehortet und krampfhaft festgehalten, denn Wissen war Macht. Die Erde lässt grüßen.

Und er war hier draußen, dachte Hayes, hier draußen in dieser friedvollen toxischen Wildnis, um Zoe zu retten… und, wenn er ehrlich war, sich selbst obendrein.

Das Schreckliche am Lügen war, dass es zur Gewohnheit wurde, und dann zu einem Reflex, so automatisch wie der Lidschlag oder das Entleeren der Gedärme. Lügen ist die terrestrische Krankheit, hatte seine Mutter immer gesagt. Besonnen, zurückhaltend, eine Ice Walkerin, die Potlach-Frau seines Vaters. In einem anderen Jahrhundert wäre sie vielleicht eine Quäkerin gewesen.

Er hatte sich nach den Sternen gesehnt, aber er hatte sich die terrestrische Krankheit eingefangen, das Nichtwahrhabenwollen unangenehmer Wahrheiten.

Er hatte Zoe belogen. Vielleicht nicht so krass wie Avrion Theophilus sie belogen hatte — aber er hatte diesen Lügen Vorschub geleistet.

Er war hier draußen, um Zoe zu retten — Zoe und die schäbigen Reste seiner Unschuld. Kein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen.

* * *

Bei Sonnenuntergang erreichte er den Fluss. Der Himmel war wolkenlos, sog sich voll mit Indigo, und der kleine Mond residierte im Zenit. Hayes wollte den Fluss noch vor Einbruch der Dunkelheit überqueren.

Die jüngsten Regengüsse hatten den Copper anschwellen lassen. Wasser wallte über die primitive, von Robotern gebaute Brücke. Hayes betrat die zerbrechliche Konstruktion und spürte, wie sie unter seinem Gewicht schwankte. Wenn die Brücke zusammenbrach und das strömende Wasser über ihm zusammenschlug, saß er in der Falle: Der klobige Anzug war weder für den Einsatz unter Wasser gedacht, noch schwamm er obenauf.

Er schaltete die Helmlampe ein und tastete sich langsam voran. Das Wasser, das über die Stiefel spülte, war rot getönt vom Sonnenuntergang und schillerte von den öligen Rückständen sich zersetzender Pflanzen. Servomotoren kämpften um sein Gleichgewicht. In der Strömung zu seiner Linken zitterte das Spiegelbild des Mondes, der an ein halb geöffnetes Auge erinnerte. Er dachte an Zoes Augen, in denen der Schock über den Verlust des Thymostaten nistete, die Augen eines ausgewachsenen Neugeborenen, weit und wachsam. Er begriff allmählich, welchen Preis sie für ihre Normalität bezahlt hatte.

Er musste daran denken, wie sie sich unter ihm angefühlt hatte, wie sie, Gott sei ihr gnädig, lustvoll aufgeschrien hatte — der erste Orgasmus vermutlich, den sie mit einem Mann geteilt hatte. Sie hatte gezittert wie diese Brücke. Danach hatte er sich ein bisschen geschämt, als habe er sie ausgenutzt, ihr schlagendes Herz gewaltsam aus einer komplexen Schutzmembran herausgelöst.

Er stapfte die gegenüberliegende Böschung hinauf, die Stiefel dick mit Lehm verklebt. Der Himmel war jetzt dunkler, der Wald ein schwarzer Korridor. Hier säumten gestürzte, faulende Baumstämme den Copper; zu seiner Rechten gewahrte Hayes ein kleines Tier, das im Kegel seiner Helmlampe zauderte, ehe es sich ins Unterholz stürzte.

Er war kaum im Wald, folgte dem Schacht, den die Helmlampe aus dem Dunkel schnitt, als das Funkgerät kurz prasselte, um gleich wieder zu verstummen. Das wäre nichts Ungewöhnliches gewesen, wenn er den Schutzpanzer nicht angewiesen hätte, alle Nachrichten auszublenden, bis auf solche, die Zoes Standard- oder Notfrequenzen benutzten. In seiner Erschöpfung brauchte er einen Augenblick, um zu begreifen, was er da eben gehört hatte.

Ihr Signal musste ziemlich schwach sein. Blockiert vielleicht von einem Hindernis, sonst hätten sie es in Yambuku längst empfangen. Seine Stiefel sanken tief in den Morast, er stand mucksmäuschenstill, um Zoe nicht zu verlieren, und ging auf Sendung. »Zoe? Zoe, hier ist Tam Hayes. Hörst du mich?«

Keine Antwort.

Er wartete sechzig Sekunden — eine Ewigkeit, in der das Katzenauge des Mondes durch den Scherenschnitt der Äste kroch — und versuchte es wieder.

Diesmal erwachte ihre Trägerfrequenz zum Leben, und er hörte Zoe, unheimlich nahe und verstört, als habe er sie aus einem tiefen Schlaf geweckt. »Theo?«

»Nein, Zoe, hier ist Tam. Ich komme dich holen, aber ich muss wissen, wo du bist und wie es dir geht.«

»Innen drin…«, murmelte sie.

»Noch mal.«

»Ich bin in einem Erdhügel. Unten drunter. Unter der Erde.«

»In welchem Hügel, Zoe?«

»Keine Ahnung. Ich glaube, sie stehen alle in Verbindung. Es ist stockdunkel.«

Sie hörte sich gar nicht gut an — sie klang kraftlos, verunsichert, beinah wie im Delirium. Aber es war ihre Stimme. Sie lebte. »Zoe, wie geht es dir? Bist du verletzt?«

»Wie es mir geht?« Sie schwieg eine ganze Weile. »Heiß. Es ist heiß hier. Ich kann nichts sehen.«

»Haben sie dir wehgetan?«

»Die Gräber sind nicht hier. Nicht immer, meine ich.«

»Zoe, bleib auf Sendung. Ich hol dich da raus. Hör nicht auf zu reden, hörst du?«

Doch er verlor sie, als er sich zum nächsten Hügelkamm aufmachte.

* * *

Auf seinem Weg durch die Nacht fing er ein paarmal Bruchstücke von Zoes Trägerfrequenz auf, nie lange genug, um mit ihr in Kontakt zu treten.

Trotz der fein aufeinander abgestimmten Servomotoren und des ganzen ergonomischen Klimbims, war der Biopanzer inzwischen schrecklich schwer geworden. Hayes war sich der enormen Anstrengung bewusst, die es ihn kostete, sich bergan zu schleppen — er näherte sich den Ausläufern der Copper Mountains, der Boden wurde steinig, und wann immer Hayes nach Westen blickte, sah er das flache, mondbeschienene Land, das sich bis ans ferne Meer erstreckte. Ohne eine wehrhafte Peripherie aus Robotern und Telesensorien war ihm angst und bange, doch kein größeres Raubtier traute sich in seine Nähe; er war selbst eine furchterregende Kreatur und wenn der Panzer roch, dann bestimmt nicht wie ein Leckerbissen.

Ein einziges Mal setzte er sich mit Yambuku in Verbindung, um ihnen mitzuteilen, dass Zoe lebte und er mit ihr gesprochen hatte. Dieter Franklin saß an der Kommunikationskonsole. »Tam«, sagte er, »das ist mal eine gute Nachricht, aber wir haben trotzdem Probleme.«