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»Und nur«, flüsterte sie Tam Hayes — jemandem - Theo womöglich — ins Ohr, »und nur, wenn das Bewusstsein eines Lebewesens eine bestimmte Komplexität erreicht, kann Isis es beeinflussen. Die Gräber. Man kann wirklich nicht sagen, dass sie besonders helle sind. Sie sind eigentlich noch Tiere, tragen aber schon einen Funken Isis in sich. Sie können Isis hören — wie aus weiter Ferne.«

Und:

»Deshalb hat auch kein SETI-Projekt je etwas finden können. Die Milchstraße strotzt vor Leben, und sie redet — mein Gott, Tam, wenn du die Stimmen nur hören könntest! Alte, alte Stimmen, älter als die Erde! Aber wir waren taub. Isis redet mit, aber nicht die Erde. Welche Sporen die Erde auch immer befruchtet haben, damals, als sie noch heiß und blutjung war, sie müssen defekt gewesen sein — sie hatten keine Verbindung mehr — die vom Leben ausgesäte Quantenkohärenz, sie war abgerissen, tot. Die Erde schoss ins Kraut und verwahrloste. Sie verwaiste. Als die Primaten das Bewusstsein ›erfanden‹, das Kunststück, Neuronen mit Neuronen kommunizieren zu lassen, so wie es Planeten mit Planeten tun — als sie aus Quantenereignissen Bewusstsein machten —, als das geschah, da gab es nichts, was unsere Evolution hätte befördern können, keine Erde, nur Erdlinge.«

Aber hatte sie es denn nicht geahnt? Hatte sie es denn nicht gespürt, als sie unter den Wintersternen die schmutzige Wäsche geschleppt hatte? Dass alles so schrecklich falsch war, die ganze Quälerei und das Schweigen und die Feindseligkeit und dieser ganze Schlachthof der Menschheitsgeschichte, falsch, falsch, falsch; aber was war richtig? Was fehlte ihr so sehr, dass sie sich vor Sehnsucht danach verzehrte?

»Warum verehren wir Götter, Tam?«

Weil wir ihre Nachfahren sind, dachte Zoe. Wir sind ihre stummen und verstümmelten Nachkommen, zu Abermillionen.

Sie hustete und spürte die Nässe von Blut auf dem Handrücken.

Irgendwo in den Katakomben aus Schmutz und Dung kam Tam Hayes angerobbt.

* * *

Hayes lauschte dem Kopfhörer und fragte sich, wie viel von Zoes Geplapper auf das Konto von Dieter Franklin ging und wie viel auf das Konto ihres Deliriums.

Und wie viel daran stimmen mochte.

Doch es gab zu viel Zoe in allem. Sie brauchte diese Idee von Isis, überlegte er, die Idee einer Gemeinschaft der Welten, denn in keiner ihrer Welten war sie je richtig zu Hause gewesen. Der verwahrloste Waise war Zoe, nicht die Menschheit.

Dieser lange Tunnel schraubte sich wie ein zentraler Korridor in die Erde. Hayes stellte sich eine Spirale vor, die von unzähligen Generationen in die steinige Finsternis getrieben worden war. Hindernisse umgehend und sich mit bornierter Sturheit dem kontinentalen Sockel nähernd.

Saftige, fast durchsichtige Pflanzen tranken die Feuchtigkeit am Tunnelboden. Hayes wunderte sich über ihren Metabolismus: kein Licht, nur Wasser und Mineralien. Unter dem Druck seiner Handschuhe verspritzten die Pflanzen eine klebrige Flüssigkeit.

Zoes Halluzination. Der Himmel redete mir ihr. Naja, das konnte er nachvollziehen. Er hatte so oft in den Sternenhimmel geblickt, war durch die Red Thorn-Sonnengärten in eines der gläsernen Augen geklettert, wo sich der Himmel um ihn herum gedreht hatte, die Sonne nicht mehr als ein besonders heller Stern unter all den karussellfahrenden Sternen. Das hatte zu Mutters Überzeugungen gehört, dass die Biosphären alles miteinander vernetzten, von den Kängurus bis zu den marsianischen Mikrofossilien. Eine religiöse Überzeugung, die ihrer Ice Walker-Erziehung entsprang. Er — halb Puritaner, halb Freidenker — hatte diese Ansicht zusammen mit dem Rest des ideologischen Flickwerks abgelehnt, das sich im Kuiper-Gürtel breit gemacht hatte.

Aber wenn er die Sterne betrachtet hatte, dann hatte er daran geglaubt. Er wusste, was es hieß, jenseits der Verstandesgrenzen Bedeutung zu ahnen — die Sterne eine einzige gigantische Stadt, die er nie betreten konnte, eine Republik, deren Bürgerrechte er nie reklamieren konnte.

Er spürte eine kühle Nässe unter dem linken Spann und wusste sofort, dass das empfindliche Kernstück der Schutzmembran gerissen, war. Wie bei Zoe. Nur, dass er nicht ihr optimiertes Immunsystem besaß. Jetzt durfte er keine Zeit mehr verlieren.

Vorsichtig brauchte er jetzt nicht mehr zu sein.

Vielleicht fand sie ja mit seinem Helm nach draußen.

* * *

Sie war versucht aufzugeben.

Isis konnte ihr nicht helfen — nicht ihrem natürlichen Körper, der trotz aller Nachbesserungen im Sterben lag, weil er von zu vielen fremden Mikroorganismen attackiert wurde. Mit einer singulären Infektion wäre er fertig geworden, vielleicht auch mit einer doppelten oder dreifachen; aber er war von Hunger und Durst geschwächt und wurde von einer Übermacht an Organismen belagert.

Doch der Planet wusste, was er an ihr hatte, und würde sie nicht einfach gehen lassen. Zoe — das Muster von Zoe — würde in die dichte Matrix der isischen Biosphäre eingehen. So und nicht anders kommunizierte Isis mit ihr, vermittels virueller Entitäten, die in ihr Nervensystem schlüpften und aus terrestrischen Neuronen neue isische Zellen machten. Isis tötete sie zwar, bewahrte sie aber in ihrem Gedächtnis. Behielt eine Vorstellung von ihr. Träumte von ihr.

Trotzdem wartete sie auf Tam.

* * *

Als er endlich zu ihr stieß, hatte er bereits hohes Fieber. Die ganze verzweifelte Eile hatte ihn vergessen lassen, wozu er überhaupt hier war — tief unter der Erde, in dieser schlauchförmigen Enge um Knie und Nacken, das drückende Gewicht des Erdreichs über dem Kopf… Und jedes Mal, wenn ihn die Panik zu übermannen und zu ersticken drohte, hielt er inne und zwang sich zur Ruhe.

Und wenn er nicht mehr keuchte, die Hände nicht mehr zitterten und die Beine wieder bei Kräften waren, setzte er seinen Weg fort.

Schon merkwürdig, dass sie ihm so ans Herz gewachsen war, diese terrestrische Waise mit einem defekten Thymostaten. Dass er so viele Hoffnungen und so viele Ängste in sie investiert hatte und dass es ihn ihretwegen in dieses finstere, stickige Labyrinth verschlagen hatte.

Er bildete sich ein zu klettern und nicht zu kriechen… dass die Helligkeit vorne im Korridor mehr war als nur der grelle Lichtfleck seiner Helmlampe.

* * *

Zoes Sinne streikten. Als sich der Lichtschein aus der Finsternis näherte, gewahrte sie nur mehr einen schwachen, unsteten Schimmer.

Sie blinzelte mit verklebten Augen.

* * *

Als er sie im Lichtkegel sah, fand er seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Jede Rettung kam zu spät.

Die Biosphäre hatte ihr hart zugesetzt.

Sie saß mit dem Rücken gegen die gewölbte Wand des Stollenendes gelehnt, die Schutzmembran so ramponiert wie ein alter Wischlappen. Der Bauch war blutverkrustet, von rußigem Ziegelrot. Pilz hatte die entblößte Haut befallen, zog geschwollene Kreise aus Blau und Papierweiß.

Selbst das Albinomoos hatte Appetit bekommen, langte mit saftigen Ranken nach ihrer Feuchtigkeit. Die Stiefel verschwanden bereits darin.

* * *

Sie sah zu, wie er den Helm lockerte und absetzte. Der Lichtstrahl — so grell! — vollführte einen Veitstanz. Er beschien die Decke aus Lehm und Tierkot, das hauchfeine Insektennetz voller vertrockneter Hülsen, die zarten Moosknollen.