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Er hielt ihr den Helm hin, den Helm mit dem aufwändigen Gasrecycling, der Wasserreserve und dem hellen, herrlichen Licht.

Das Angebot war herzzerreißend.

Doch Zoe winkte ab. Zu spät, zu spät.

* * *

Hayes verstand die Geste. Er resignierte und legte den Helm beiseite, die Lampe blickte jetzt unverwandt zur Decke. Mit jedem Atemzug lud er mehr isische Mikroorganismen in seine Lunge; was spielte das jetzt noch für eine Rolle? Er nahm seine ganze Kraft zusammen und zwängte sich neben Zoe in den engen Alkoven. Keine Berührungsängste. Leben sucht Leben, wie Elam immer gesagt hatte.

Zoe strahlte Wärme aus, die Wärme des Fiebers und die Wärme der parasitären Infektion. Aber ihre Lippen, als er sie berührte, waren kühl. Kühl wie der Rand eines Eimers voll Wasser, das aus einem tiefen bemoosten Brunnen stammte.

* * *

Er sagte: »Ich höre sie auch. Die Sterne.«

Aber sie hörte nichts mehr.

* * *

Die Gräber mieden den Bestand an fremd riechendem Fleisch, bis es sich zu einer vertrauteren Masse amorphen, enzymatischen Gewebes zersetzt hatte, das vor Leben geradezu wimmelte. Der Geruch wurde erst kräftig, dann exotisch, dann unwiderstehlich.

Einer nach dem anderen kringelten sie sich in die Fleischkammer. Sie schmausten tagelang.

Achtundzwanzig

Die Isis-Orbitalstation kreiselte um den Planeten, verstümmelt, aber nach wie vor in Betrieb.

Transportroboter pendelten zwischen der IOS und den polaren Eiskappen des Trabanten hin und her, um Wasser und Sauerstoff aus den Turing-Extraktoren zu holen und damit die kleinen aber unvermeidlichen Verluste des Recyclings auszugleichen. Auch die vielen menschlichen Leichen, die Haushaltsroboter kürzlich entdeckt hatten, waren wegen ihres hohen Nährstoffgehalts recycelt worden. Die Gärten, vollgepackt mit frischen Vorräten an Stickstoff, Phosphor, Kalium und Spurenelementen, gediehen prächtig. Sonnenkollektoren warfen ihre Glut auf dichte Grünkohl- und Kopfsalathecken und einen Überfluss an Tomaten und Gurken.

Während allerorten gestorben wurde, hatte Avrion Theophilus sich in die Gärten geflüchtet; Dieter Franklin, Lee Reisman, Kwame Sen und alle anderen, die mit dem Shuttle hierher gekommen waren, waren Opfer dieses schleppend langsamen Virus geworden, der die IOS unterwandert hatte.

Das Virus fuhr fort, durch die Dichtungen zu tunneln, fand aber bald keine Nahrung mehr; all seine Sporen schliefen inzwischen den Dornröschenschlaf.

Unten auf der Oberfläche des Planeten lagen Marburg und Yambuku verwaist und Theophilus hatte die immer verzweifelteren Hilferufe der arktischen Bodenstation ignoriert, als deren Vorpostenlinien eine um die andere überrannt wurden.

Mittlerweile waren sie alle tot — da unten und hier oben; viel schlimmer noch: das Rettungsboot war fort und die Partikelpaar-Verbindung zur Erde war unwiderruflich zerstört.

Und trotzdem war er, Avrion Theophilus, noch am Leben.

Er hatte darauf bestanden, mit der gleichen Immunsystem-Modifikation nach Isis zu reisen, die sein Konzern Zoe Fisher verpasst hatte. Die Bloodware erfüllte ihren Zweck, zumindest schützte sie ihn vor dem singulären Mikroorganismus, der die IOS kontaminiert hatte.

Er lebte und würde wahrscheinlich weiterleben. Aber er war allein. Ganz allein.

Er streifte durch das gefilterte Licht der Gärten, vorbei an stummen Robotern und saftigen Blättern, zog ruhelos seine Runden und führte Selbstgespräche, weil es sonst niemanden gab, mit dem er hätte reden können. Er spekulierte laut und wiederholt, ob überhaupt jemand kommen würde, ob man ihn bergen oder hier lassen würde; ob er bereits nach einem Monat oder erst nach einem Jahr überschnappen oder ob ihn sein sturer Thymostat für immer bei Verstand halten würde.

Die Zeit würde seine Fragen schon beantworten. Und Zeit hatte er mehr als genug.

Wie ein zugelaufener Hund folgte ihm sein Schatten durch die Korridore der IOS.

Avrion Theophilus wartete, aber niemand kam.

Epilog

Seit nunmehr hundertfünfzig Jahren zog die verwaiste IOS ihre Runden — fast auf den Monat genau. Solargespeist (und noch ziemlich rege, obwohl nahezu die Hälfte ihrer Photonenaustauscher ausgefallen war), sich regelnd und reinigend hatte sie mit scheinbar grenzenloser Geduld auf ihre Retter gewartet. Aus der Ferne sah sie unverändert aus. Aus der Nähe waren die Schäden und Altersspuren nicht mehr zu übersehen.

Zur Bergungsmannschaft gehörte Jasmin Chopra; sie war auserkoren, als Erste an Bord zu gehen. Als geborene Terrestrierin konnte sie ihre Abstammung durch beide Revolutionen zurückverfolgen. Zu ihren Vorfahren zählte Anna Chopra, die man angeklagt und als Provokatrice hatte hinrichten lassen, nach, wie es aussah, einem Leben voller Pflichterfüllung gegenüber den Familles anciennes.

Doch deswegen war Jasmin nicht hier. Sie war hier, weil sie zwei Sauveurmannschaften ohne unliebsame Zwischenfälle durch die todbringenden Ruinen von KB47 geführt und etliche Tonnen exotischer Materie in Gestalt von Higgs-Linsen-Trümmern geborgen hatte. Inzwischen war sie älter geworden, ging auf die fünfzig zu (terrestrische fünfzig), hatte sich aber schon früh für die Isis-Mission gemeldet und ihr Prestige voll in die Waagschale geworfen. Und da war sie nun, weiter von zu Hause entfernt als irgendein Mensch in diesen chaotischen anderthalb Jahrhunderten.

Nachdem man die Dichtungen der Docks für intakt befunden und den Innendruck um ein paar Hektopascal

angehoben hatte, war Jasmin Chopra also die erste der Sauveurs, die über die Schwelle trat.

Sie hatte keine Angst, sich anzustecken. Sie war mit einem Biostaten ausgestattet, der in der Lage war, jedwedes Fremdmaterial, das zufällig in ihren Körper gelangte, zu verdauen, zu vergiften, aufzulösen, zu verätzen oder sonst wie zu eliminieren. Sie schauderte förmlich bei dem Gedanken an die Abenteurer, die hier oben und auf dem Planeten ums Leben gekommen waren, nur weil ihre Monturen gegen die isische Biosphäre so wenig hatten ausrichten können wie Papierdrachen gegen Windstärke zwölf. Jasmin Chopra hatte auch keine Angst vor dem, was sie an Bord vorfinden würde. Wie nicht anders zu erwarten, hatten Haushaltsroboter jede organische Spur der ehemaligen Insassen getilgt und in den Stickstoffkreislauf gefüttert. Gemessen an dem, was sich hier zugetragen hatte, war die IOS geradezu übernatürlich sauber.

Es war schon unheimlich. Überall sah es nach Leben aus, das von einem Augenblick auf den anderen verschwunden war — Kleidung lag da, wo sie abgelegt worden war, verstreut auf den Schreibtischen diese altmodischen Palmtops, lose Papiere, an denen die Ventilation herumspielte. Lauter ausgehungerte Roboter drängten sich wie verwaiste Welpen um ihre Beine.

Die Erstbegehung des kontinuierlich mit Atmosphäre versorgten Teils der IOS führte sie schließlich auch zum terrassierten Sonnengarten.

Obwohl die Agroroboter unentwegt bei der Arbeit waren, war nicht viel übrig von den Kulturen.

Die aeroponischen Tanks für Kräuter und Gewürze mussten zu einem kritischen Zeitpunkt einen Stromausfall erlebt haben. Alles, was sie seitdem hervorgebracht hatten, war eine Menge Staub. Auf den größeren und komplexeren Gemüseterrassen war alles abgestorben bis auf den Grünkohl und die Tomatenstauden. Diese Pflanzen waren jahraus, jahrein herangereift und hatten jede atmosphärische Störung und jeden Stromausfall überlebt, hatten sich in den permanent durchspülten Mischbeeten ausgesät, waren mit dem Rückgang der Spurennährstoffe gelb und schilfrig und spröde geworden — aber sie lebten.