Auf dem Schirm erschien ein Bild.
Zoe schluckte und sah in eine andere Richtung.
»Das Resultat«, sagte Elam Mather, »war im Grunde dasselbe wie bei einer ungefilterten Luftprobe. Binnen Minuten hatte die Maus hohes Fieber und keine zwei Stunden später zeigten sich innere Blutungen. Dann ging es schnelclass="underline" Systemkollaps, Ausbluten und Gewebeverflüssigung. Mehr als ein Dutzend fremder Mikrobenspezies wurden aus dem Blut der Maus gezüchtet; wieder die üblichen Verdächtigen.
Die nächste Probe musste durch ein feineres Filter, das auf der Erde alle Sporen und Bakterien zurückhalten würde, nicht aber Viren und Prionen.
Die zweite exponierte Maus starb auch — mit dem Unterschied, dass die Vergiftung eine Spur langsamer verlief. Das Resultat blieb dasselbe.«
Eine Mischung aus Fell und Muskelgewebe in einer schwarzen, sich verästelnden Lache. Man hätte die CI-BA-37-Maus ebenso gut in eine Küchenmaschine werfen können, dachte Zoe. Wäre vielleicht freundlicher gewesen.
Es schnürte ihr die Kehle zusammen. Schon merkwürdig, dass ihr der Anblick des kleinen Kadavers so sehr zu schaffen machte. Würde sie sich übergeben müssen?
Sie verengte die Augen, um die übrigen Fotos nicht sehen zu müssen und das Gegenteil vorzutäuschen. Die Forschungsarbeit wiederholte, bestätigte und erweiterte frühere Erkenntnisse; es stand nichts wirklich Neues zur Debatte. Entweder hatte Degrandpre das Material sehen wollen oder er hatte gewollt, dass Zoe es sah.
Weil ich keine Mikrobiologin bin, dachte Zoe. Er sieht in mir den verwöhnten terrestrischen Theoretiker. Als wüsste ich nicht, worauf ich mich einlasse!
»Selbst bei allerfeinster HEPA-Filterung[5] sind die geklonten Mäuse nach wiederholter Berührung mit der Außenluft schließlich doch erkrankt. In diesem Fall betrachten wir die Stäube und Proteintrümmer als mögliche Auslöser einer allergischen Reaktion; es kommt zwar nicht zum hämorrhagischen GAU, aber es ist ein Spiel mit dem Feuer…«
Der Mann namens Dieter Franklin sagte lakonisch: »Der Planet versucht uns umzubringen. Aber das ist längst bewiesen. Das Erstaunliche ist nur, wie viel Mühe er sich damit gibt.«
Degrandpre warf Zoe einen Blick zu, der zu sagen schien: »Verstehen Sie? Isis wird Sie töten, wenn Sie es zulassen.«
Zoe verzog keine Miene. Er sollte nicht merken, dass sie Angst hatte. Den Gefallen wollte sie ihm nicht tun.
Am Tag darauf stieß sie in der Cafeteria fast mit Tam Hayes zusammen.
Die Cafeteria war so spartanisch wie jede andere Kammer auf der IOS — von Turing-Konstrukteuren zusammengesetztes Stahldeck, Schweißnähte, wo man hinsah, Möblierung mit primitiven Klappstühlen und Klapptischen. Das war unvermeidlich, jedes Artefakt hatte entweder unter obszönen Kosten von der Erde herangeschafft werden müssen oder war von Turing-Fabriken auf dem deimos-großen Mond von Isis zusammengeschustert worden. Immerhin hatte man die Cafeteria verschönert. Irgendeine Künstlerseele hatte die glatten Innenwände mit einem Montage-Stichel bearbeitet; Zoe vermutete, dass er damit zwar Zeit und Energie vergeudet hatte, aber so gut wie kein Material. Die gegenüberliegende Wand stellte einen keltischen Wandschmuck aus geknoteten Schnüren dar mit diskret eingearbeiteten Symbolen der Kuiper-Clans. Sehr hübsch, dachte sie, wenn auch ein klein wenig subversiv.
Leider war die Deckenbeleuchtung eine schmucklose Matrix aus Schwefellampen; in diesem Licht sah das Essen hell und falsch aus, beinah wie Styropor.
»Morgen, Dr. Fisher.« Hayes holte sie ein. Er trug eine Thermosschale mit klebriger, flavinoider Suppe. »Was dagegen, wenn ich mich anschließe?«
»Morgen?« Mittag, sagte ihre Uhr.
»Für mich ist hier immer noch Yambuku. Über dem Tiefland geht gerade die Sonne auf — wenn es nicht regnet. Sie können es bald mit eigenen Augen sehen.«
»Ich freue mich schon. Aus dem Orbit war nicht viel zu sehen.«
»Man ist knickerig mit Fenstern. Aber die Live-Übertragungen sind fast so gut.«
»Kameraaufnahmen hab ich zu Hause gesehen.«
Er nickte. »IOS-Fieber. Ich weiß, wie das ist. Habe selbst mal drunter gelitten.« Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber. »Sie wollen die Wirklichkeit. Aber Yambuku ist nicht viel anders, fürchte ich. Isis ist gleich unter Ihren Füßen und trotzdem sind Sie regelrecht abgeschottet. Manchmal träume ich davon, draußen spazieren zu gehen — ohne Panzeranzug, meine ich.« Er setzte hinzu: »Ich beneide Sie, Dr. Fisher. Früher oder später werden Sie genau das erleben.«
»Nennen Sie mich Zoe.« Offenbar bevorzugte er die kuipersche Ungezwungenheit, sonst würde er nicht dasitzen und sich mit ihr unterhalten.
Er reichte ihr die Hand — schon wieder. Sie ergriff sie zögernd. Seine Hand war trocken; ihre war feucht. Er sagte: »Ich bin Tam.«
Sie hatte sich vorbereitet und wusste alles über ihn. Hayes leitete Yambuku, er war Yambuku. Er war technischer Manager und Mikrobiologe, verbannt aus seiner puritanischen Kuiper-Kolonie, weil er es gewagt hatte, einen Vertrag mit dem Kartell zu unterzeichnen.
Er war fünfunddreißig Jahre alt. Richtige Jahre: Er hatte keine Verjüngungskuren gemacht. Zoe fühlte sich von den Fältchen in seinen Augenwinkeln angezogen, reizende Höhenlinienkarten. Wie bei Theos Augen, nur nicht so scharf, so tief.
»Sie beneiden mich«, sagte sie, »aber Kenyon Degrandpre scheint zu denken, dass es mit mir kein gutes Ende nimmt.«
»Naja, Degrandpre… Mit dem IOS-Geplänkel hab ich nichts zu schaffen, aber Degrandpres Familie ist terrestrisches Urgestein. Ich will ihm nicht unrecht tun. Er ist ein Manager, ein Kacho. Wenn es nach ihm ginge, würde sich hier nie etwas ändern. Es muss alles im Lot sein, die Bücher müssen stimmen, das Gesicht muss gewahrt werden, das ist sein Motto. Erwarten Sie kein Verständnis von Degrandpre.«
»Ich hatte das Gefühl, er wollte mir Angst machen.«
»Ist es ihm gelungen?«
Er hatte das scherzhaft gemeint, doch Zoe war erschrocken.
Denn, ja. Sie hatte Angst.
Sie hatte, jetzt da sie sich ihre Angst eingestand, solche Angst, dass ihr das Essen im Hals stecken blieb und sich der Magen wie eine Faust zusammenballte.
Sie hatte mehr Angst, als sie es je für möglich gehalten hätte.
»Zoe?« Hayes runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«
Sie beherrschte sich. »Ja.«
Sie wartete ab, dass der Thymostat seine Arbeit tat, sie mit den richtigen Neurotransmittern impfte. Es würde gleich soweit sein, da war sie sich sicher, sie musste nur Geduld haben. Die Angst würde weichen, und sie würde wieder sein wie immer.
Zwei
Die Rückkehr zu Oberfläche von Isis war normalerweise ein ermüdender Prozess, zumindest bei friedlichem Wetter — und besser ermüdend als aufregend — doch der Shuttle hatte kaum die Wolkenschicht durchbrochen, als Tam Hayes erfuhr, dass ihn eine Krise erwartete. Nicht, dass eine Krise in Yambuku etwas Ungewöhnliches war. Diese aber konnte sich als tödlich erweisen.
Hayes hatte Macabie Feya mit der Leitung der Station betraut. Mac war ein fähiger Ingenieur, ein Reformierter Mormone, Needle-Clan aus Kuiper-Republik 22, mit einer ausgesprochenen Begabung für Mikro- und Turing-Apparate, der sich so gut mit sterilen Verfahren auskannte, wie es eine Ausbildung im Kuiper-Gürtel besser nicht vermitteln konnte. Er war außerdem ein alter Yambuku-Hase, der zwei Stationsjahre hinter sich hatte und es besser hätte wissen müssen als sich in einem ungeprüften Panzeranzug nach draußen zu wagen. Doch genau das hatte Mac getan und steckte jetzt unter freiem Himmel in Schwierigkeiten.