Seit dem Unfall waren fast acht Stunden ins Land gegangen. Der Anzug hatte die Aderpressen angelegt und würde, falls nötig, eine CPR[6] durchführen und Herzstimulanzien verabreichen; selbst mit restlos ruinierten Rumpfsystemen funktionierte die Maschine noch gut. Für jemanden, der verletzt und alleine war, waren aber acht Stunden eine lange Zeit. Und das bescheidene Reservoir an Analgetika und Narkotika war nahezu erschöpft.
Vorsichtig näherte Hayes sich seinem verletzten Freund. Die Beine des Anzugs mochten blockieren, aber die kraftverstärkten Arme waren beweglich. Wenn Mac in Panik geriet, konnte er ziemlichen Schaden anrichten.
Zwei Gelände-Roboter rollten aus dem Weg, als Hayes näherkam, die Kameras guckten hin und her zwischen ihm und Macabie. Das waren natürlich Yambukus Augen. Elams Augen, genau genommen: Elam Mather führte die Roboter. Und wie friedlich alles erschien in der Stille des Spätnachmittags. Vögel schwätzten hoch oben in den Bäumen, ein schwarz glänzender Mittagskäfer spazierte über die verkohlte Rodung — wie ein winziger viktorianischer Bankier. Hayes räusperte sich. »Mac? Mac, kannst du mich hören?«
Seine Stimme wurde per Funk in Macs Kopfhörer übertragen. Wir hören die Insekten besser als die Stimme des anderen, dachte Hayes. Zwei Abgeschiedenheiten, die sich auf einem mikrobiotischen Ozean mit Handflaggen verständigen.
Keine Antwort, nur das leise Summen der Trägerwelle. Mac musste wieder das Bewusstsein verloren haben.
Hayes war jetzt so nahe, dass er das Leck im Anzug untersuchen konnte. Der Anzug bestand aus mehreren Schichten, Hydraulik und Servomotoren arbeiteten normalerweise isoliert von der feuchten menschlichen Fracht einerseits und der aggressiven isischen Biosphäre andererseits. Die Überhitzung hatte die äußere, flexible Panzerschicht wie Folie abblättern lassen und ein Gewirr aus verbrannten Isolierungen und sickernden blauen Flüssigkeiten bloßgelegt — die Wunde eines Roboters. Der weiche Nugget namens Mac Feya lag tiefer darunter — verborgen, aber in höchster Gefahr.
Hayes brauchte einen Mac, der aktiv kooperierte, oder einen Mac im sicheren Koma. Er erkundigte sich bei Elam nach den telemetrischen Daten.
»Seine Funktionen sind relativ stabil; mehr kann man nicht erwarten, Tam. Soll ich den Anzug veranlassen, die Betäubung zurückzufahren?«
»Nimm die Infusion bitte nur einen Tick zurück, Elam.«
»Bist du sicher, dass du ihn nicht erst schienen willst?«
»Bin schon dabei.«
Er hakte eine Körperschiene vom nächsten Roboter und fing an, sie mit Macs Rumpfpanzer zu verbinden. Die Roboter hätten das selbst machen können, wenn sie nur größer und flexibler gewesen wären. Aber das hier war Isis und irgendein terrestrischer Kacho hatte Gewicht- und Größenbeschränkungen für das Roboterinventar erfunden, ohne sich allzu viel Gedanken über die praktischen Konsequenzen zu machen. Hinter Mac arbeitend, verankerte Hayes die Schiene in chordalen Fassungen — sofort begann ein Datenaustausch zwischen ihr und der noch intakten Anzugelektronik.
Die Verbindung war fast komplett, als Mac aufwachte.
Im ersten Augenblick erkannte Hayes das Geräusch nicht, das in seinen Helm prallte: Das unmenschliche Brüllen, das die Audiowandler strapazierte, stammte von seinem Freund Macabie Feya. Elam versuchte es zu übertönen: »Seine Werte reißen aus! Er ist nicht stabil — du musst übernehmen, sofort.«
Grimmig presste Hayes den letzten Anker in die Fassung an Macs schaukelndem Panzer.
Er war noch dabei das Gerät zu verriegeln, als ihn Macs Ellbogen traf.
Hayes taumelte zurück, verletzt und atemlos. Sein Panzer war zwar massig, aber auf seine Weise auch verletzlich, konstruiert um vor der Biosphäre zu schützen, nicht vor einem physischen Angriff. Hayes taten die Rippen weh, er bekam keine Luft und hörte, wie sein Anzug Alarm schlug.
»Tam, du hast ein Leck in der äußeren Schicht! Zurück in die Luftschleuse, sofort!«
»Mac«, sagte Hayes.
Der wortlose Schmerzensschrei des Ingenieurs wurde ein wenig leiser.
»Mac, du verstehst mich, ja?«
Elam: »Mach das nicht, Tam!«
»Mac, hör zu. Du bist okay. Ich weiß, du hast Angst, und ich weiß, dass du zu lange hier draußen warst, und ich weiß auch, dass du Schmerzen hast. Wir sind gleich so weit, dass wir dich reinfahren können. Aber du musst dich entspannen, halt noch ein bisschen still, ja?«
Diesmal gab es eine Antwort, Hayes verstand die Worte »Scheiß Falle«.
»Hör mir zu«, sagte Hayes. Er war da, wo Mac ihn sehen konnte. Er tat einen vorsichtigen Schritt voran, die behandschuhten Hände vorgestreckt und offen. »Du hast jetzt eine Schiene am Anzug, aber die Schiene muss noch den Spagat machen. Vorher können wir dich nicht reinbringen.«
Elam, die nicht locker ließ: »Ich kann deine Sicherheit nicht mehr garantieren. Also komm zurück, jetzt.«
Hayes trat noch einen Schritt näher.
»Ich glaube, du hast mir eine Rippe gebrochen, Mac. Ruhig Blut, okay? Ich weiß, es tut weh. Aber wir haben es fast geschafft, alter Junge.«
Mac krächzte immer wieder ein und dasselbe, würgte daran.
»Du verstehst mich, Mac, ja?«
Er fasste das Schweigen als Zustimmung auf. Mit dem einen Handschuh packte er in den Schlitten und nutzte aus, was er für einen Moment der Klarheit hielt.
Mac wurde hoch- und zurückgerissen, als die Verriegelung einrastete. Dann setzte sich die Schienenelektronik über seine Motorik hinweg, streckte ihm die Arme an die Seite und hielt sie dort unverrückbar fest. Dieser unfreiwillige Bewegungsablauf musste schmerzhaft gewesen sein. Mac brüllte gegen die neuerliche Hilflosigkeit an, es war furchtbar.
Zwei kleine Roboter rollten heran, packten die Stummelflügel der Schiene und kippten sie nach hinten. Jetzt war Mac ein Fahrzeug auf Rädern und rollte bereits auf die äußere Dekontaminierungskammer des Hangars zu. Hayes hielt Schritt, ignorierte Elams Stimme an seinem Ohr und sorgte dafür, dass Mac ihn die ganze Zeit sehen konnte. Als das satte Blau der Abenddämmerung hinter den Schotts verschwand und die grelle Innenbeleuchtung aufflammte, legte Hayes seinen Helm an den von Mac.
Wenn Hayes ihn richtig verstanden hatte, hatte Mac zwei Worte geflüstert: »Zu spät.«
Während der ganzen Dekontaminierung hielt Hayes den Helm gegen Macs Helm gedrückt; ein fahlgrüner Sprühnebel aus ätzenden Antiseptika wallte von der Decke. Mac starrte durch das beschlagene Glas.
Hayes machte ihm das Daumen-nach-oben-Zeichen, in der Hoffnung, glaubhaft zu wirken.
Macs Augen waren leer und blutunterlaufen. Aus seinen Poren sickerten rubinrote Tränen. Gewebeverflüssigung und Ausbluten hatten schon eingesetzt.
Macabie Feya lag im Sterben und Hayes konnte nichts dagegen tun.
Drei
Vor allem hatte er die Frage zu lösen, wie er diesen unseligen Todesfall verpacken sollte.
Das Problem beschäftigte Kenyon Degrandpre, als er den Bericht für die monatliche, medizinische Evaluation verfasste. Er musste unbedingt mit dem Doktor reden. Nicht, dass Degrandpre krank gewesen wäre. Doch der medizinische Seniordirektor — Corbus Nefford, ein in Boston geborener Arzt mit einer langen Kartellkarriere — war im Grunde der einzige Mensch an Bord der IOS, der in Degrandpres Nomenklatur einem Freund am nächsten kam. Nefford, anders als die Kaltweltbarbaren, die in der wissenschaftlichen Besatzung den Ton angaben, verstand sich auf die Feinheiten der bürgerlichen Unterhaltung. Er war freundlich, ohne sich anzubiedern, und meistens ehrerbietig, ohne zu kriechen. Nefford besaß ein rundliches, aristokratisches Gesicht, das ihm beim beruflichen Wettkampf daheim sicher sehr zustatten gekommen war; selbst im bescheidenen Arztkittel sah er aus wie ein Verwandter der Familie.