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Degrandpre betrat die kleine medizinische Abteilung und zog sich unbekümmert aus. Wie die Uniform war auch sein Körper Ausdruck von Rang und Würde. Er war nahezu unbehaart, das überschüssige Körperfett war fortcheliert, die Muskulatur deutlich aber nicht aufdringlich. An der linken Schulter trug er ein Firmentattoo des Kartells. Der schlanke Penis baumelte über der kaum erkennbaren Narbe seiner Orchidektomie[7], ein weiteres Rangabzeichen. Er trat rasch in die Diagnosekabine.

Nefford saß aufmerksam an seinem Monitor, er war nie so taktlos zu reden, bevor er angesprochen wurde.

In Degrandpres Rücken schnurrten Apparaturen, das Flirren von Kolibriflügeln. Er sagte: »Sicher haben Sie schon von dem Todesfall gehört.«

Der Arzt nickte. »Ein Leck im Anzug, wie man hört. Tragisch für Yambuku, für die ganze Belegschaft. Vermutlich muss der Panzer ersetzt werden.«

»Ganz zu schweigen von dem Ingenieur.«

»Macabie Feya. Kam vor dreißig Monaten. Gesund wie ein Pferd, aber das sind sie alle, zumindest wenn sie ankommen. Er soll selber schuld sein.«

»Er war im Freien, die Schutzkleidung war nicht durchgecheckt. Insofern, ja, es war sein Versäumnis. Aber Fehler haben es an sich, die Rangleiter hinaufzuklettern.«

»Ihnen einen Vorwurf machen, Manager? Absurd.«

»Danke für die wenig überzeugende Schützenhilfe. Wir wissen es natürlich besser.«

»Die Welt ist nicht ideal.«

»Wir haben zwei Aktivposten eingebüßt, und zwar von den teuersten. Machen wir uns nichts vor. Aber lahm gelegt ist Yambuku noch lange nicht. Exkursionen mit Fahrzeugen sind weiterhin möglich, die meisten Roboter sind in einem passablen Zustand und es gibt noch mindestens einen Anzug mit Biopanzerung, der ziemlich rasch auf Vordermann gebracht werden kann. Die Grundlagenforschung geht nahtlos weiter.«

»Und«, meinte Nefford, »Yambuku verfügt über die nagelneue Ausrüstung dieser Fisher-Frau.«

»Ist das allgemein bekannt?«

»In guten wie in schlechten Tagen. Die IOS ist ein Dorf. Die Leute reden.«

»Zu viel und zu oft.« Doch Degrandpre erwartete von Corbus Nefford ein gewisses Quantum an Klatsch und Tratsch. Denn Corbus Nefford war Arzt und Abteilungsleiter. Neffords Reisschüssel wurde nie leer. Er konnte aussprechen, was andere vielleicht für sich behielten. »Was Zoe Fisher im Gepäck hat, ist eine unerprobte Technik, die uns von einer reichlich exzentrischen Sparte des Kartells aufgenötigt wird. Die Fisher kommt mit einem dicken Handbuch von Devices & Personnel und setzt einfach ihr Leben aufs Spiel. Das macht mir Kummer. Einmal ist keinmal, aber zwei Tote, das riecht nach jemandes Inkompetenz.«

Der Doktor nickte geistesabwesend, während er in den Bildschirm murmelte. »Die Diagnostik ist beendet. Sie können sich wieder anziehen.«

Degrandpre zog sich laut denkend an. »Devices & Personnel tut so, als könnten sie nach Belieben mit unseren Prioritäten umspringen. Ich bezweifle, dass sich die Firmenbevollmächtigten diese Art von Arroganz noch lange gefallen lassen. Indessen, ich möchte, dass Zoe Fisher mindestens so lange überlebt, bis ich wieder sicher in Beijing bin. Das ist nicht mein Krieg, offen gestanden.« Nahm er den Mund zu voll? »Das ist selbstverständlich vertraulich.«

»Selbstverständlich.«

»Mit anderen Worten, kein Kombüsengeschwätz.«

»Sie können mir vertrauen, das wissen Sie doch, Kenyon.« Dass er Degrandpre beim Vornamen nannte, war keine Frechheit; er tat es mit niedergeschlagenen Augen und um sich einzuschmeicheln.

»Danke, Corbus.« Ein sanfter Rüffel. »Also, ja oder nein? Bin ich gesund?«

Nefford widmete sich merklich erleichtert seinem Bildschirm. »Ihr Knochen-Kalzium ist ausgezeichnet, Ihre Muskulatur stabil und Ihre Strahlenbelastung liegt summa summarum innerhalb der Toleranzen. Beim nächsten Mal möchte ich aber eine Blutprobe.«

»Nächstes Mal bekommen Sie eine.«

* * *

Einmal pro Kalendermonat schritt Degrandpre, die linke Hand am Halfter der Reitpeitsche, die Peripherie der Orbitalstation ab, von den Docks bis zu den Sonnengärten.

Er betrachtete diesen Kontrollgang als eine Möglichkeit, mit der IOS in Kontakt zu bleiben. Die Wartungscrew auf Zack zu halten, den Firmenstab auf Uniformverletzungen hinzuweisen — ganz allgemein Präsenz zu zeigen. (Was Verstöße gegen die Bekleidungsvorschriften anging, so hatte er bei den Kuiper- und Marswissenschaftlern längst die Waffen gestreckt; er schätzte sich schon glücklich, wenn sie überhaupt daran dachten, sich anzuziehen.) Probleme, die von seinem Schreibtisch aus weit entfernt zu sein schienen, wogen aus der Nähe schwerer. Und er mochte die körperliche Bewegung.

Seine Inspektion begann stets bei den schwach erhellten Frachtlagern von Modul Zehn und endete mit Modul Neun, den Gärten. Er verweilte gern in den Gärten. Wenn man ihn gefragt hätte, würde er wohl gesagt haben, dass er den gefilterten Sonnenschein genoss, der von automatisch nachgeführten Kollektoren in der Radnabe hierher gepumpt wurde, oder die feuchte Luft oder den erdigen Geruch der aeroponischen Suspensionen[8]. Und das war die reine Wahrheit. Aber nicht die ganze.

Für Kenyon Degrandpre waren die Gärten eine Art Taschenparadies.

Schon als Kind hatte er Gärten gemocht. Die ersten zwölf Lebensjahre hatte er bei seinem Vater gelebt, einem Seniormanager des Sortenarchivs in Südfrankreich. Die Gewächshäuser des Archivs bedeckten Tausende von Morgen Weideland, die Fundamente gegen den südlichen Himmel geneigt, eine Stadt aus beschlagenen Glaswänden und zischenden Lüftern.

»Paradies«, hatte sein Vater dazu gesagt. Nach der Bibel war das Paradies ein Garten namens Eden; Eden war kultiviert und vollkommen. Als die Menschheit in Ungnade fiel, fiel der Garten in Anarchie.

Auf der IOS spielten die Gärten eine noch zentralere Rolle, waren so anfällig und lebenswichtig wie ein transplantiertes Herz. Er lieferte den größten Teil der Nahrung, besorgte das Recycling der organischen Abfälle und reinigte die Luft. Weil die Gärten unentbehrlich und empfindlich waren, waren sie zumindest in Degrandpres Augen das Paradies des Alten Testaments, und zwar vor dem Sündenfalclass="underline" ordentlich, kalkuliert, organisch und präzise.

Die Gärtner in ihrer gelbbraunen Montur bestätigten seine Gegenwart, indem sie ihm aus dem Weg gingen. Er schritt die langgestreckten Beete ab, hielt in einer Schneise zwischen hohen Tomatenstauden inne, um den Geruch und das blattgrüne Licht zu genießen.

Als er in den Konzern eingetreten war, hatte er noch viel vom Idealismus seines Vaters im Gepäck gehabt. Die Menschheit hatte sich zu lange mit einer verwilderten Erde abgefunden. Die Folgen waren unkontrolliertes Bevölkerungswachstum, Entartung des Klimas und Krankheiten gewesen.

Kuiper-Radikale warfen der Erde vor, sich in Untätigkeit zu ergehen. Unsinn, dachte Degrandpre. Wie lange würde ein Kuiper-Habitat oder eine marsianische Luftfarm ohne Regulierung der Eis- und Sauerstoffförderung überleben? Wie lange konnte die IOS zum Beispiel in einem Zustand der Anarchie überleben? Verhielt es sich auf der Erde so viel anders? Die Probleme waren dieselben, nur großräumiger, diffuser. Isis zum Beispieclass="underline" ein noch unkultivierter Garten. Wunderschön, wie frisch eingetroffene Kuiper-Enthusiasten immer wieder betonten. Und von Grund auf feindselig gegenüber menschlichen Lebens.

Er durchquerte den Gemüsegarten und erklomm eine Terrasse, auf der in der Nähe des Lichts raffiniert konstruierte Obstreben gediehen. Gärtner und schlanke, weiße Roboter bewegten sich wie Engel in dem üppigen Blattwerk — er lauschte dem beharrlichen Geräusch tropfenden Wassers. Die Erde, dachte Degrandpre: Fünf Jahre war er nicht mehr zu Hause gewesen; weiß Gott, was sich in seiner Abwesenheit alles zugetragen hatte. Die verhängnisvolle nordafrikanische Aquifer-Initiative hätte ihn fast die Karriere gekostet; er hatte alle uneingelösten Versprechungen eingefordert, nur damit ihn der Konzern behielt. Um seine Flexibilität zu demonstrieren, hatte er die Jobrotation akzeptiert. Es war der einzige einigermaßen verantwortungsvolle Posten gewesen, den man ihm angeboten hatte.

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7

operative Entfernung eines oder beider Hoden

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8

fein verteilte Nährstoffe in der Luft bei Aerokulturen