»Ich wusste nicht, was Sie gern gehabt hätten. Ich dachte mir, Sie bestimmen lieber selbst, was Sie daraus anfertigen lassen.«
Mehr als genug Material für eine Kappe und ein Paar Handschuhe oder vielleicht sogar eine Weste, war dieses Fell schwarz wie die Nacht. Makellos, ohne auch nur das kleinste Härchen in Weiß oder Grau.
»Hätten Sie es lieber in einer anderen Farbe gehabt?«
Silja stieg das Blut ins Gesicht.
Als hätte Grischa geahnt, dass sie nicht deshalb weiter an ihrer Witwentracht festhielt, weil sie noch um Reidar Ingvarsson trauerte. Auch mehr als ein Jahrzehnt später trug sie schwarze Stoffe mit schwarzen Stickereien über der weißen Bluse ihrer Tracht, weil sie wusste, dass das ihrer Haut schmeichelte, ihr helles Blond und ihre Augen hervorstrich.
Eine kleine Eitelkeit Siljas, bei der sie sich nun ertappt fühlte.
Endlich lösten sich ihre Lippen. »Das ist es nicht.«
»Was ist es dann?«
»Es ist zu kostbar. Ich kann das nicht annehmen.«
Drei Jahre war es her, dass er hier vor der Tür gestanden war, mit nichts als Lumpen am Leib. Ohne zu wissen, wo er als Nächstes etwas zu essen für sich und seine Schwester herbekam oder wo sie schlafen sollten. Bei Silja Guðmundsdóttir hatten sie ein Dach über dem Kopf bekommen und immer eine Mahlzeit auf dem Tisch, sogar Kaffee am Morgen. Heute besaß er nicht nur Hemden und Hosen zum Wechseln und Stiefel für die See, sondern auch das Paar guter Schuhe, das er sich so lange ersehnt hatte.
Erst hier in Tromsø war es ihm möglich geworden, gutes Geld zu verdienen und sogar etwas davon abzuzweigen, um es in sein erstes kleines Geschäft zu investieren.
So etwas vergaß man nicht.
»Ich habe es gesehen und fand, Sie sollten es haben.«
Selbstbewusst hatte er es gesagt, mit einer aufrichtigen Wärme.
Schließlich nickte Silja knapp und senkte die Augen wieder auf das Robbenfell, das seidig glänzte, verlockend wie die Sünde.
Normalerweise genoss es Katya, am ersten Abend von Grischas Rückkehr lange am Tisch zu sitzen und zuzuhören, wenn er von seiner Fahrt in den Norden erzählte. Ihn nach Eisbergen auszufragen, die er unterwegs gesehen hatte, und nach Schnee.
Heute konnte sie es nicht abwarten, ihm die Überraschung zu zeigen, die oben in der Kammer wartete.
Im Lampenschein nahm sie das Buch von dem Tisch, der zwischen ihren Betten stand.
Eine Nacherzählung nordischer Sagen. Nicht leicht zu lesen, weil sie viele Wörter noch nicht kannte und Fru Guðmundsdóttir danach fragen musste, aber einfacher als das Neue Testament. Manchmal nahm sie das Buch mit hinunter, damit Silja Guðmundsdóttir ihr daraus vorlas, während Katya einen Riss in einem Betttuch flickte, für einen Gast Knöpfe wieder annähte oder Socken stopfte.
Grischas Brauen zogen sich verwirrt zusammen, dann hellten sich seine Augen auf.
»Du kannst lesen?«
Katya nickte. »Fru Guðmundsdóttir hat es mir beigebracht. Und Schreiben geht auch schon ganz gut. Ich übe immer abends ein oder zwei Stunden.«
Grischa betrachtete die beschriebenen Papierbogen, die Katya stolz aus der Schublade hervorholte, bedeckt von mal angestrengt wirkenden, dann wieder flüssigeren Buchstabenfolgen, dicht gedrängt und klein gehalten, wie um Platz zu sparen.
Begierig blätterte er durch die Buchseiten.
Sich nicht mehr nur die Umrisse auf einer Seekarte einprägen und sich ihre Namen dem Hörensagen nach merken, sondern sie lesen können. Die Zeichen auf den Navigationsinstrumenten entziffern und die Position des Schiffs mit denselben Zeichen festhalten. Nicht nur im Kopf rechnen, sondern auch auf Papier. Briefe an Katya schreiben und welche von ihr bekommen. Verträge abschließen, sollte es in einem Geschäft um mehr gehen, als dass man es nur mit einem Handschlag unter Männern besiegelte.
Und bestimmt konnte man auch mehr von dem erfahren, was auf der Welt geschah, wenn man lesen konnte.
Ein ganzes Feld neuer Möglichkeiten öffnete sich vor ihm; sein Mund war plötzlich ausgedörrt von einem Durst, den er zuvor nicht gekannt hatte.
Entschlossen hielt er das aufgeschlagene Buch Katya hin.
»Bring es mir auch bei«, stieß er hervor, seine Stimme heiser vor Aufregung.
Die trockenen Schläge, die draußen von der Hauswand widerhallten, zerrten an Siljas Nerven. Sie spähte aus dem Fenster.
In der prallen Sonne hackte Grischa das Feuerholz für den Winter. Er hielt inne, um sich mit dem Ärmel über das Gesicht zu wischen, die Handflächen an seiner Hose trocken zu reiben, bevor er mit wieder sicherem Griff die Axt schwang; es war ein ungewöhnlich freundlicher und warmer September geworden.
Auf eine merkwürdige Art störte sich Silja Guðmundsdóttir an Grischas Anwesenheit im Haus in diesem September. Von dem Augenblick an, an dem er lachend an Katyas Hand über die Schwelle getreten war, einen zotteligen Bart im Gesicht und ein Geruch aus jeder Pore wie aus einem Einmachglas, das jahrelang vergessen in der Speisekammer stand.
Größer und breitschultriger, als sie ihn vom Frühling in Erinnerung gehabt hatte, strotzend vor einer barbarischen Männlichkeit.
Auch jetzt noch, nachdem Katya ihm die Haare geschnitten hatte, er sich jeden Tag rasierte und regelmäßig badete und ordentlich anzog, kräuselte immer eine gewisse Spannung die Luft, wenn er einen Raum betrat, zu den Mahlzeiten am Tisch saß, wie ein Scheuern auf Siljas Haut.
Vielleicht, weil sie es nicht gewohnt war, einen Mann im Haus zu haben. Außer den Gästen, deren einzige Beständigkeit darin lag, dass sie kamen und wieder gingen.
Und Grischa war zweifellos zu einem Mann geworden. Als ob er über den Sommer in seinen baumstarken Körper, ihm bisher immer einen Schritt voraus, hineingewachsen wäre. Von einer selbstsicheren Reife, die allzu oft vergessen ließ, wie jung er noch war, gerade einmal sechzehn Jahre alt.
Unten am Wasser ging Ingunn Kristiansdotter vorbei, einen Korb über dem Arm. Vierzehn oder fünfzehn musste die jüngste Tochter von Kristian Hjalmarsson, dem Schmied, jetzt sein; in der Sonne glänzten ihre dicken Zöpfe wie Butterblumen. Als Grischa grüßend nickte, rief sie ihm etwas zu, das er mit einem Lachen und einer kurzen Erwiderung beantwortete. Beschwingt setzte Ingunn ihren Weg fort, ein Lächeln auf ihrem sommersprossigen Gesicht, während sie sich immer wieder verstohlen nach Grischa umdrehte.
Silja dachte kurz daran, Katya, die oben die Zimmer machte, hinauszuschicken und ihrem Bruder etwas zu trinken zu bringen. Dann gab sie sich einen Ruck und füllte selbst ein Glas mit Wasser.
Grischa bückte sich, um die nach allen Seiten davongeflogenen Holzscheite einzusammeln; dabei klebte das Hemd schweißfeucht an seinem Rücken, spannte die Hose über seinem strammen Gesäß.
Über die Schulter warf er ihr einen Blick zu und richtete sich auf. Seit dem Morgen hatte sich ein frischer Bartschatten um seinen Mund gelegt; sein schiefzahniges Lächeln jedoch, als Silja ihm das Glas hinhielt, war durch und durch jungenhaft.
»Danke, Fru Guðmundsdóttir.«
Auch seine Höflichkeit war Silja neuerdings unangenehm; wenn er ihr die Tür aufhielt oder vom Stuhl aufstand, sobald sie in die Küche kam. An Bord eines Walfängers hatte er das bestimmt genauso wenig gelernt wie dort, wo er herkam. Er hatte früher ja nicht einmal gewusst, wie man mit Messer und Gabel aß.
Die Arme verschränkt, beobachtete sie seinen zuckenden Adamsapfel, während er in langen Zügen trank. Sein Hemd stand offen und ließ eine kräftige Brust sehen, auf der sich dunkles Haar verwirbelte. Ein schwerer Geruch ging von Grischa aus, halb wie Meerestang und halb wie ein frisch aufgebrochener Acker.
Silja musste an das Robbenfell denken, das sie in ihrem Schrank verwahrte. Von einer verlockenden Wärme war es unter Siljas Händen und fast verboten weich; mit heißem Gesicht packte sie es jedes Mal hastig wieder weg.
Sie wandte den Kopf ab und starrte aus zusammengekniffenen Augen auf den Sund hinaus, auf dem die Sonne funkelte.
»Der Bettrahmen im blauen Zimmer wackelt. Kümmere dich darum, wenn du hier fertig bist.«