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In der Ferne hob das Jaulen eines Wolfs an, und aus heiseren Kehlen antwortete sein Rudel. Grischa hatte von Wölfen gerissene Schafe und Ziegen gesehen; Katya wäre eine leichte Beute, sie war doch erst neun Winter alt. Obwohl es ihm gegen einen hungrigen Wolf wenig nutzen würde, packte Grischa das Messer an seinem Hosenbund und begann zu laufen.

Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er Katyas schmächtige Silhouette auf dem See entdeckte. Das Eis war nicht dick genug, es würde noch dauern, bis man es gefahrlos betreten konnte. Bis sich die Männer des Dorfes aufmachen würden, um Blöcke herauszuschneiden, die den Keller des Grundherrn über den kommenden Sommer kühl hielten.

»Katya.«

Die klare Nacht trug seinen Ruf auf den See hinaus. Seine Schwester rührte sich nicht.

»Katya«, wiederholte er, dieses Mal mit einer unmissverständlichen Aufforderung.

Sie wandte sich um, ihr Gesicht vom Licht der Sterne blass erleuchtet.

»Du hast es kaputt gemacht. Es singt nicht mehr.«

Grischa kannte die Töne des Eises, als Gesang hätte er sie nicht bezeichnet. Sie waren ihm unheimlich wie das Heulen der Wölfe, das sich näherte und wieder entfernte. Er vertraute nur dem Wind und dem Regen, die ihr Kommen und Gehen immer ankündigten und ihn nie enttäuschten.

»Es wird ein anderes Mal wieder singen.«

Unbeweglich harrte Katya auf dem starren See aus, der an dieser Stelle schon tief war; nicht einmal die großen Brüder schwammen im Sommer so weit hinaus.

»Komm her, Katyuscha. Das ist zu gefährlich.«

Sie schüttelte den Kopf, sodass das Ende ihres Zopfes durch die Luft peitschte. So war sie oft, starrsinnig und unbeugsam.

Grischa trat auf das Eis.

»Beweg dich nicht, ja? Ich komme dich holen.«

Einen vorsichtigen Schritt nach dem anderen, schob er sich auf Katya zu.

»Geh nicht weiter, Grischa. Mich trägt es, du bist zu schwer.«

Unter Grischas Holzsohlen klickte und knirschte es; fast konnte er das eisige Wasser des Sees darunter fühlen.

»Ich bleibe stehen, wenn du mir entgegenkommst.«

Sogar im Licht der Nacht meinte Grischa zu sehen, wie Katyas Augen Funken schlugen.

Sein Nacken fühlte sich steif an, ein dumpfer Druck hielt seinen Hinterkopf umklammert; die ersten frischen Schneeflocken schwebten durch die Luft. Er streckte die Hand nach seiner Schwester aus.

»Komm jetzt, Katyuscha. Wir bekommen Sturm.«

Immer wieder blickte Grischa zu seiner Schwester, die schweigend und mit hängendem Kopf neben ihm durch den Schnee stapfte. Ein rauer Wind hatte sich an ihre Fersen geheftet und sie schließlich eingeholt. Wütend zerrten die Böen an Katyas Röcken und an den Ohrenklappen von Grischas Mütze, schleuderten ihnen scharfkantige Kristalle in die Gesichter.

»Woher hast du gewusst, dass das Eis dich trägt, mich aber nicht?«

Die Stimme des Eises hallte in Katya nach. Ein Rest ihres Unmuts, für den sie sich schuldig fühlte; Grischa hatte sie nur beschützen wollen, wie er es immer tat.

Katya hob die Schultern unter ihrer Lammfelljacke und ließ sie wieder fallen.

»Spürst du das Eis so wie ich den Wind jetzt? Oder den Regen und den Frost?«

Grischa wusste, wann der Regen kam oder wie lange eine trockene Zeit noch anhalten würde. So konnten sie aussäen oder das Heu in die Scheune schaffen oder anfangen, die Erde zu wässern. Dann gediehen der Roggen auf dem Feld und die Gurken in ihrem Beet. So konnte Katya noch rechtzeitig alles an Pilzen und Nüssen im Wald sammeln, was sie fand, bevor der Schnee kam.

Nichts, was Grischa besondere Dankbarkeit oder Achtung einbrachte; wenigstens hatten der Vater und die Brüder gelernt, auf ihn zu hören. Grischas Gabe half ihnen, über die Runden zu kommen, besser als die meisten anderen Familien auf den Höfen abseits des Dorfes.

Aber Eis? Was bedeutete es schon, wenn Katya etwas über Eis wusste?

Grischa ließ nicht locker.

»Ist es wie bei Urgroßvater früher?«

Jakov, der Eisschnitzer, wie sie ihn nannten, wenn sie von ihm erzählten, um ihn von allen anderen Jakovs vor und nach ihm zu unterscheiden; es war immer der älteste Sohn, der diesen Namen trug.

»Mir kannst du es doch sagen, Katyuscha.«

Wenn im Winter die Welt leer und kalt wurde, schlich sich ein Flüstern heran. Ein Raunen und Wispern und Knistern, so leise, dass Katya sich anstrengen musste, um es zu hören. Nicht mit den Ohren, sondern irgendwo unter der Haut.

Das Eis wuchs.

Unsichtbar für das bloße Auge, bis es sich zu spiegelnden Flächen und rauen Strukturen geformt hatte. Jedes Mal eine Landschaft für sich, die Katya auf seltsame Art nach Hause rief.

Etwas, das schon immer in ihr da gewesen schien, über das sie aber erst jetzt, in diesem Winter, nachdachte. Gedanken wie die haarfeinen weißen Nadeln, die Boden und Bäume überzogen und als glitzernder Staub auf Katyas Fingerspitzen haften blieben.

Sie konnte es nicht erzählen, nicht einmal Grischa, sie hatte keine Worte dafür.

Grischa gab auf, und nicht nur, weil der Wind seine Zähne in sie schlug und ihnen den Atem nahm.

Großvater hätte gewusst, wie er Katya ein paar Worte entlocken konnte, wenigstens ein Lächeln. Mein Zicklein, hatte er zu ihr gesagt, wenn sie widerborstig war, und ihr mit knorrigen Fingern über den Kopf gerieben, dort, wo bei einer Ziege die Hörner saßen.

Jakov, der Regenmacher und Sonnenbeschwörer. Der Geschichtenerzähler.

Aber Großvater war nicht mehr da. Verwittert und morsch, hatte ihn der erste Frost dieses Winters gefällt.

Einen dumpfen Schmerz in der Brust wie ein frischer Bluterguss, nahm Grischa seine Schwester fest bei der Hand. Damit sie beide nicht verlorengingen in den Schneewirbeln, die sie fast blind machten auf ihrem Weg zurück zum Gehöft.

2

Katyas Gesicht glühte in der Hitze des Herdfeuers. Einen vom Brotlaib abgerissenen Kanten in der Hand, wartete ihr Vater im Schein des Talglichts darauf, dass sie die dampfende Schale vor ihn hinstellte. Ohne seiner Tochter auch nur einen Blick zu gönnen, begann er, den Eintopf in sich hineinzuschlingen. Katya beeilte sich, wieder auf den Holzklotz hinaufzusteigen, den sie noch brauchte, um an den Kupfertopf heranzureichen, und für Jakov zu schöpfen.

Sie konnte sich an keine Zeit erinnern, in der sie nicht einen Rührlöffel in der Hand gehalten, Rüben geschnitten, Erbsen aus den Hülsen gelöst, Mehl gemahlen oder Teig geknetet hatte. Mit Tante Wera, Tante Ludmila, die das kleine Mädchen mit strenger Hand anleiteten, kaum dass es richtig laufen konnte, und dann schnell an ihren eigenen Herd zurückkehrten.

Es war ein großes Unglück, wenn eine Familie die Mutter verlor, bevor eine Tochter oder eine Schwiegertochter an ihrer Stelle kochen und nähen und waschen konnte, und keiner ließ Katya je vergessen, dass sie die Schuld daran trug.

Die Finger um den Holzlöffel gekrampft, hielt Grischa den Kopf gesenkt; erst wenn er nach den älteren Brüdern an der Reihe gewesen war, würde auch Katya sich zum Essen setzen dürfen.

Ein paarmal hatte er es gewagt, zum Messer zu greifen und Zwiebeln zu schälen, für Katya eine Schale zu füllen, bevor er für sich selbst schöpfte, und der Zorn des Vaters war fürchterlich gewesen. Genauso gut hätte Grischa versuchen können, den Grundherrn mit der Mistgabel zu verjagen und dessen Land in Besitz zu nehmen.

Es gab keine größere Sünde, als an der gottgewollten Ordnung der Dinge zu rütteln.

Die Schale für Jakov in den Händen, kehrte Katya vom Herd zurück. Igors Fuß schnellte unter dem Tisch hervor und traf sie hart am Knöchel.

Jakov röhrte auf, als der Eintopf über seine Jacke schwappte, und stürzte sich auf Katya. Grischa fuhr dazwischen; wie wütende Bären rangen die beiden Brüder miteinander, während Igor und Boris sich vor Lachen bogen.

»Schluss jetzt!«

Die Faust des Vaters krachte auf den Tisch. Igor und Boris verstummten jäh und zogen die Köpfe ein; diese Faust hatten sie alle schon zu spüren bekommen.