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»Hat das nicht Zeit bis zum Essen heute Abend? Ich bin gerade beschäftigt.«

»Ich wollte dich unter vier Augen sprechen. Darf ich hereinkommen?«

Katya wich nicht von der Stelle, öffnete auch die Tür nicht weiter.

Es war ihm unangenehm, sein Anliegen im Treppenhaus vorzubringen wie ein Hausierer.

»Ich weiß, wir standen in der Vergangenheit nicht immer gut zueinander«, begann er umständlich.

Katya hob eine Braue, und er räusperte sich.

»Ich habe eine große Bitte an dich, und ich weiß, es wäre viel verlangt … aber Henny geht es dieser Tage nicht besonders gut. Könntest du vielleicht hierbleiben? Ihr zuliebe? Auch wegen Vadder und Jette?«

Er wusste sofort, dass er es falsch angefangen hatte, und zog unwillkürlich die Schultern hoch.

Katya verschlug es einige Herzschläge lang die Sprache.

Frau Kröger oder Frau Willemsen kochte zu Mittag etwas mit Kohl, die Schwaden drangen bis zu ihr herauf. In den Hinterhöfen kreischten Kinder bei einem ausgelassenen Spiel; irgendwo schlug jemand Holz entzwei oder hämmerte sich etwas zurecht.

»Sie ist deine Frau«, entgegnete Katya schneidend. »Kümmere du dich doch um sie.«

Ein dünnes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab.

»Sie braucht nicht mich. Ich bin nur der Ehemann. Sie braucht eine Freundin.«

»Sie hat doch Freundinnen.«

Kathi Mommsen und Betty Haferkamp, denen Katya manchmal unten im Haus begegnete, wenn sie mit ihren kleinen Kindern an der Hand und auf dem Arm die Treppen zu Henny und Jette erklommen.

Christian schüttelte den Kopf.

»Keine schnatternden Gänse, deren Welt nur um sich selbst kreist. Sie braucht jemanden mit gesundem Menschenverstand. Mit Herz. Jemanden wie dich.«

Katya wich seinem eindringlichen Blick aus. Unwillkürlich ruckten ihre Schultern unter der Bluse, als müsste sie etwas von sich abschütteln.

Eine Ahnung beschlich sie.

»Du wirst mich nicht aus der Firma drängen, Christian. Mit keinen noch so schönen Schmeicheleien. Mit keinem noch so cleveren Trick. Also versuch es gar nicht erst.«

Ein zorniger Funke glomm in Christians Augen auf.

»Darum geht es mir doch gar nicht.«

Katyas Augen wurden schmal. »Worum geht es dir dann?«

Christian rang nach Worten. Darum, wie es geworden war mit Henny.

Er sollte sich nicht beklagen. Henny hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie überhaupt ein Schiff und etwas Geld für diese Fahrt nach Indien hatten. Sie half tüchtig im Laden mit und verlieh diesem eine hausfrauliche Note, die besonders die weibliche Kundschaft schätzte. Und aus der Männerwirtschaft der Petersens hatte sie wieder ein Zuhause gemacht.

Vor allem verdankte er ihr Jette, nach zwei Tagen in den Wehen von Henny zur Welt gebracht. Etwas in Christian hellte sich jedes Mal auf, wenn er seine kleine Tochter ansah, sie die Ärmchen um ihn schlang und ihn Papa nannte.

Dennoch war Christian unglücklich.

Es war die Art, wie Henny ihm abends unter vier Augen vorhielt, was er alles den Tag über im Laden hätte besser machen können, besser hätte sagen sollen. Ihm zu verstehen gab, dass bei ihm womöglich etwas nicht stimmte und er deshalb keine Kinder zu zeugen vermochte, die in Hennys Bauch Wurzeln schlagen konnten. Und trotzdem wollte sie es immer weiter versuchen, mit einer Fiebrigkeit, die sie herrisch und manchmal grob machte und ihm jede Lust nahm.

Doch Henny hatte als Mädchen nicht nur schnell gelernt, wie Küssen ging; als verheiratete Frau wusste sie genau, wo die Schwäche eines jeden Mannes lag. Wo sie mit flinker Zunge und weichen Händen streicheln und reiben musste, um am Ende doch zu bekommen, was sie wollte – und Christian verachtete sich selbst dafür.

Eine Spinne, die das Männchen in ihr Netz gelockt hatte und nach der Paarung aussaugte, so kam sie ihm manchmal vor.

Möglicherweise steckte doch ein Körnchen Wahrheit darin, dass Töchter sich über kurz oder lang in ihre Mütter verwandelten. Das ging ihm manchmal durch den Kopf, wenn er bei den Pohls am Sonntagstisch saß.

Er fand keine Worte für all das, er schämte sich zu sehr.

»In Ordnung. Dann bleibe ich hier.«

Katyas Augen weiteten sich.

»Du kannst nicht hierbleiben. Wir brauchen dich auf dieser Fahrt.«

Christian starrte auf einen Riss in einer der Dielen.

So unbedingt war Henny für diese Reise nach Indien gewesen, und nun war sie halb verrückt vor Angst. Weinend klammerte sie sich jeden Abend im Bett an ihn und beschwor ihn, ja nicht zu fahren. Es würde etwas ganz Schlimmes geschehen, in diesem halben Jahr auf den Ozeanen der Welt, das spüre sie ganz deutlich, tief in sich.

Vielleicht hatte er sich von ihrer Angst anstecken lassen und Katya deshalb gebeten hierzubleiben, in der vertrauten Sicherheit an Land; vielleicht hatte er auch vor etwas ganz anderem Angst.

Zu sicher war er gewesen, dass seine Ideen für den Eishandel Früchte tragen würden. Mit jedem Jahr, das keinen oder nur geringen Gewinn brachte, wuchsen die Zweifel; vielleicht taugte er zu nichts anderem, als Hausfrauen Mehl, Käse und Scheuerpulver zu verkaufen.

Etwas Größeres, Besseres hatte er aus seinem Leben machen wollen und war damit genauso gescheitert wie als Ehemann und als Vater. Bei diesem Kind, zu dem er kaum etwas beigetragen hatte, während es in Henny herangewachsen war, von ihr unter Schmerzen in die Welt hinausgepresst und an ihrer dicken Brust genährt.

So winzig und zerbrechlich war ihm seine Tochter vorgekommen, dass er sich kaum getraut hatte, sie auch nur einmal zu halten. Und sobald er sich doch dazu überwand, waren gleich schon Henny oder Mathilde Pohl da gewesen und hatten sie ihm mit gluckenhafter Wichtigtuerei wieder abgenommen.

Wie in einer leeren und feindseligen Polarlandschaft ausgesetzt kam er sich vor, die ihn zermürbte und verschliss.

Vielleicht würde er sich besser fühlen, stieg er aus diesem irrwitzigen Geschäft aus, besser spät als nie.

»Ihr braucht mich nicht«, erwiderte er leise. »Ihr braucht nur das Eis, und das habt ihr bereits.«

Etwas in seinem Blick, in der Rauheit seiner Stimme kratzte auf Katyas Haut.

»Du bist eifersüchtig«, erriet sie verblüfft.

Christian sah sie an, wie sie vor ihm stand. Stolz und so hochgewachsen, dass sie ihm direkt in die Augen blicken konnte.

Katya, die immer wusste, was sie wollte, und mutig danach handelte.

»Welcher Mann wäre nicht eifersüchtig auf eine Frau wie dich?«

Katya runzelte die Stirn. Bevor sie nachfragen konnte, was er meinte, hatte er sich schon umgedreht und eilte die ersten Stufen hinunter.

Als er seinen Namen hörte, blieb er stehen und wandte den Kopf.

»Es ist sicher herzlos von mir gegenüber Henny …«, sagte Katya zu ihm. »Aber wenn du uns jetzt im Stich lässt, werden wir anderen dir das nie verzeihen.«

»Vor allem du nicht?«

Um Katyas Mund zuckte es. »Vor allem ich nicht.«

Der zärtliche Spott, der ihr so zu eigen war, ließ ein Lächeln auf seinem Gesicht aufscheinen, warm und offen dieses Mal.

37

Katya beschattete die Augen mit der Hand und blinzelte auf das Meer hinaus.

Blau, so weit sie blicken konnte. Blauer Himmel, blauer Ozean, auf dessen Dünung die Sonne glänzte. Nur ein dunstiger Streifen am Horizont verriet, dass es irgendwo dort noch Land gab.

Fremde Küsten, fremde Inseln. Eine ganze große, weite Welt vor ihr, wohin sie den Blick auch richtete; so lange hatte sie davon geträumt.

Katya konnte sich nicht daran sattsehen. Auch nach Wochen auf See nicht, in denen die Maiden of the Seas unter vollen Segeln durch die Wellen pflügte, als wüsste sie, dass ihre Fracht eine vergängliche war. Begleitet von den Walen und Delfinen; Glücksbringer, wie die Männer der Besatzung nicht müde wurden, vergnügt zu versichern.

Sie wandte sich um, als ein Schatten neben ihr auf das Deck fiel, und lächelte zu Grischa auf.

»Bis ans Ende der Welt«, sagte er.

Kapstadt lag bereits hinter ihnen. Unterhalb des fast unwirklich gerade abgeschnittenen Tafelbergs ein lärmender und rauer Hafen, in dem sie Frischwasser und Proviant aufgenommen hatten. Sobald sie die Südspitze Afrikas umrundet hätten, würde außer ein paar verstreuten Inselchen nichts als weites, offenes Meer kommen, bis nach Indien; die Hälfte ihrer Strecke hatten sie bereits geschafft.