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Katya legte den Kopf in den Nacken und lachte laut. Auch sie hatte gerade an das Versprechen gedacht, das Grischa ihr damals gegeben hatte. Auf den Wiesen über Tromsø, zwischen den Multbeeren, fast acht Jahre war es jetzt her. Er hatte sie wirklich in das Eis und den Schnee gebracht und jetzt an das Ende der Welt.

Übermütig umarmte sie ihren Bruder.

»Und weiter darüber hinaus«, fügte sie hinzu.

Während er mit einer Hand über Katyas Rücken rieb, strich seine andere über die Reling.

»Manchmal denke ich, ich träume. Mein Schiff.«

Ein Grinsen blitzte in seinem Mundwinkel auf.

»Nur gechartert, zugegeben. Aber trotzdem. Mein Schiff.«

Katya verstand, was er meinte. Die Maiden of the Seas befand sich nicht in ihrem Besitz, sie hatten nicht einmal dafür bezahlt, Heinrich Pohl hatte ihnen die Charter vorgestreckt. Und trotzdem gehörte sie ihnen für die Dauer dieser Reise. Sie trugen die Verantwortung für das Schiff und seine Männer, aber sie waren auch die Herren an Bord, alle vier von ihnen.

Niemand konnte ihnen befehlen, was sie zu tun oder zu lassen hatten. Außer Grischa, auf seiner ersten Fahrt als Kapitän.

Für Katya ein unbeschreibliches Gefühl absoluter und grenzenloser Freiheit.

»Wir dürfen noch lange weiterträumen«, erwiderte sie leise.

Beide lächelten gedankenversunken, als sie an das Eis dachten, das den Rumpf der Maiden of the Seas beschwerte und zu einem Eiskeller machte, und beide brachen sie in glückliches Lachen aus.

Thilo trat schmunzelnd zu ihnen und legte jedem eine Hand auf die Schulter.

»Lasst mich mitlachen.«

Aus einiger Entfernung beobachtete Christian die drei, wie sie die Köpfe zusammensteckten, miteinander scherzten und lachten.

Ausgeschlossen fühlte er sich, wie vier Jahre zuvor, in ihrem ersten Winter in Norwegen. Nur begann ihm jetzt, auf dieser Fahrt, zu dämmern, woran es lag.

Während Katya, Grischa und Thilo gerade erst dabei waren, ihr Leben anzupacken und nach ihren Wünschen zu gestalten, war seines längst schon abgesteckt, zurechtgestutzt und in eine Form gepresst.

Aus purer Fleischeslust hatte er geheiratet, inzwischen schal geworden. Aus Vernunftgründen, die ihm längst unter den Füßen weggebröckelt waren. Am Ende war es schlicht nichts als jugendlicher Trotz und Aufbegehren gewesen, weshalb er Henny sein feierliches Eheversprechen gegeben hatte; eine Kette, die er sich selbst geschmiedet hatte.

Er musste daran denken, wie Henny, schluchzend und tränenüberströmt, sich beim Abschied auf dem Kai an ihn geklammert hatte. Nur mit sanfter Gewalt hatte er ihre Arme von sich lösen können, die sie wie Schlingpflanzen um seinen Hals wickelte.

Erst seit er hier an Bord war, konnte er wieder frei atmen.

Jetzt verstand er Johann Silberbergs Worte am zugefrorenen See von Voroninvatnet; jetzt begann er die feinen Unterschiede zwischen Lust und Liebe und Freundschaft und die fließenden Übergänge dazwischen zu erahnen.

Als ob die Sonne, die unbarmherzig auf das Deck knallte, den Eissplitter in seinem Auge schmelzen würde, von dem Katya einmal gesprochen hatte.

Eine Lektion, die zu spät kam. Nachdem er sein Leben bereits auf eine Sandbank gesetzt hatte, blind und taub, in eitler Dummheit und falschem Stolz.

Lachend trieben Grischa, Thilo und Katya auseinander, jeder in einen anderen Winkel des Decks.

Christians Blick fing sich an Katya, die barfuß und in einer Männerhose in die Takelage hinaufstieg. Mit einer kraftvollen Eleganz, von der er nicht die Augen lassen konnte, ihr rabenschwarzer Zopf mal über die Schulter fallend, dann wieder über ihren Rücken pendelnd, und das Gesicht in den Himmel gerichtet. Als wäre dieser die einzige Grenze, die sie jemals akzeptieren würde.

Sie war zu der Frau geworden, die er einmal, an einem Abend in der Stube der Voronins, ein paar Wimpernschläge lang vor sich gesehen hatte. Wagemutig und klug und von einem so starken Charakter, dass sie niemanden brauchte, der sie bei der Hand nahm und ihr den Weg zeigte.

Eine solche Frau zu lieben wäre nie bequem, nie geruhsam, sondern ein Abenteuer. Ein unglaubliches Geschenk, das einen herausforderte, aber auch bereicherte. Das einen lebendig hielt.

Christian fragte sich, was für ein Mann er heute wäre, wäre er geduldig genug, mutig genug gewesen, um auf diese Frau zu warten.

Grischa saß in seiner Kajüte und studierte im Schein der Laterne die Karten, die er vor sich ausgebreitet hatte.

Es lag nicht nur an der stickigen Luft hier unten, dass das Hemd feucht auf seinem Rücken klebte; nicht nur der Schweiß, den er vergoss, ließ ihm Schauder über den Nacken rinnen.

Es klopfte, und Thilo steckte den Kopf zur Tür herein.

»Hier bist du. Wir warten in der Messe mit dem Essen auf dich.«

»Ich habe keinen Hunger.«

Thilo zögerte und schloss dann die Tür behutsam hinter sich.

»Ist alles in Ordnung?«

Grischa starrte auf die Küstenlinien, die sich über das Papier vor ihm schlängelten. Mal schienen sie sich zu einem unentwirrbaren Dickicht zusammenzuballen, dann wieder zu einem undurchdringlichen Wall zurückzuweichen. Auch die Zahlenreihen seiner Berechnungen verschwammen vor seinen Augen.

Wie auch immer er sich entscheiden würde, ein Versagen schien unausweichlich.

Er brauchte einige Augenblicke, um sich Thilo anzuvertrauen.

»Ich frage mich«, gestand er leise, »ob es nicht ein Fehler war. Auf meiner ersten Fahrt als Kapitän gleich bis nach Indien zu wollen. Ob wir nicht einen Mann mit mehr Erfahrung hätten anheuern sollen. Jemanden, der diesen Teil der Welt wie seine Westentasche kennt.«

Grischa hatte Angst. Eine Angst, wie er sie nicht mehr gekannt hatte seit jener Nacht, als er von dem Gehöft weggelaufen war.

Thilo hatte ihn noch nie derart unsicher erlebt; es war fast eine Erleichterung, dass auch Grischa offenbar Zweifel kannte.

Er schob die Instrumente zur Seite, die die Kanten der Karten beschwerten, und ließ sich auf dem Tisch nieder.

»Erzähl mir mehr.«

Grischa atmete tief durch und rieb sich unwillkürlich den Nacken, in dem es prickelte, fast schon schmerzhaft stechend.

»Wir bekommen Sturm.«

Thilo blinzelte.

»Ich war vorhin noch oben an Deck. Der Himmel ist absolut klar. Selbst am Horizont sind keine Wolken zu sehen.«

Grischas Lächeln hatte etwas Gequältes.

»Es liegt in der Luft. Dort draußen braut sich etwas zusammen. Nichts Gutes. Und nichts, was nach ein paar Stunden wieder vorüber sein wird.«

»Was ist dein Plan?«

»Bis Indien gibt es kaum noch eine Möglichkeit, irgendwo Schutz suchen.«

Grischas Handkante zeichnete eine Route über den papiernen Ozean und schwenkte dann um. Sein Zeigefinger kam auf dem Knochensplitter neben der Schädelsilhouette Afrikas zu liegen.

»Die letzte Möglichkeit wäre morgen. Diese Bucht hier auf Madagaskar. Dort könnten wir Unterschlupf finden, bis das Schlimmste vorüber ist.«

»Aber?«

Grischa verzog das Gesicht.

»Mit dem Risiko, dass wir dort länger festsitzen, als uns lieb ist, und unseren Vorsprung verlieren.«

Zwei Wochen waren sie Frederic Tudor auf jeden Fall voraus, vielleicht sogar mehr, sollte sich das Auslaufen seines Frachters verzögert haben. Ein Vorsprung, der rasch schrumpfen könnte, wäre sein Schiff schneller als die Maiden of the Seas .

Was Christian nicht davon abgehalten hatte, ihr Eis in den Zeitungen Kalkuttas bereits vollmundig als dasjenige anzukündigen, das als Erstes eintreffen würde.

»Wenn ich der Kapitän wäre«, sagte Thilo nach einer langen Pause, »und du mein Erster Offizier … Was würdest du mir raten?«

Ein Mundwinkel Grischas zuckte ironisch.