Nicht, um das zu kitten, was zwischen ihnen zerbrochen war, vor Jahren schon; für diese Art von Verliebtheit hatten sie nichts mehr übrig.
Sie wollten herausfinden, ob seit damals nicht doch etwas zwischen ihnen gewachsen war. Versengt von zornigen Blicken, beschnitten von scharfen Worten. Begraben unter Eis und Schnee, was jetzt, in dieser Tropennacht, zu schmelzen begann.
Ob es nicht etwas war, das sie wieder dazu bringen konnten, auszutreiben und zu blühen. Wenn sie nur achtsam genug waren.
Für alte Erinnerungen war kein Platz, zu verlockend war der Gedanke an das Neue.
»Wir könnten hierbleiben«, sagte Christian leise. »Den Handel von hier aus führen. Ein neues Geschäft gründen, mit Waren aus Indien.«
Katya lauschte in die Tropennacht hinaus, die Sonne noch tief unter ihrer Haut, der Geschmack ungewohnter Aromen auf der Zunge. Zum Bersten angefüllt mit den Farben und der überbordenden Lebendigkeit von Madras und ein unbestimmtes Sehnen nach mehr hinter ihrem Brustbein.
Der Gedanke war verlockend, sich dieses Mehr einfach zu holen, blind und selbstsüchtig und rücksichtslos.
Feige wäre es jedoch und grausam; man konnte nicht einfach abschütteln, was zu einem gehörte.
»Wir können nicht hierbleiben«, widersprach Katya. »Du hast Frau und Kind zu Hause. Und ich habe einen See in Norwegen.«
Einige Zeit starrte Christian an die Decke hinauf, in die tanzenden Schatten der Öllichter.
Eine Scheidung war etwas für Künstler und feine Leute, die über den Dingen standen. Nicht für die braven Bürger auf dem Grasbrook, gleich, ob arm oder betucht. Nicht einmal, wenn der Mann trank und prügelte oder die Frau sich als zänkischer Drachen entpuppte und ihrem Gatten Hörner aufsetzte.
Sich scheiden zu lassen kam einer Schande gleich; schon beim Gedanken daran drehte es Christian den Magen um.
Heinrich Pohl würde ihm das nie verzeihen, so gut kannte Christian seinen Schwiegervater. Von ihm würden sie kein Schiff mehr bekommen, vielleicht von keinem Makler mehr, der mit den Pohls bekannt war.
Am Ende würde Christian sich womöglich zwischen seiner Freiheit und der Firma entscheiden müssen.
»Ich weiß nicht, wie ich da mit heiler Haut herauskommen soll.«
»Das wirst du nicht. Es wird hässlich und schmerzhaft werden. Für alle. Aber wir werden es auch alle überstehen. Irgendwie.«
»Wirst du da sein? Danach?«
Das Gesicht an seiner Brust, den Schlag seines Herzens unter ihrer Wange, horchte Katya in sich hinein.
Sie wusste nicht, ob sie ihm schon so weit traute. Sie wusste nicht einmal, was sie für ihn empfand.
Nur dass sie es wagen wollte, ihn in ihre Nähe zu lassen, das wusste sie sicher.
Ihre Finger verflochten sich mit seinen, und ohne einander in die Augen zu sehen, lächelten beide bei diesem stummen Versprechen.
Im Silberlied der Zikaden und dem Atem des Meeres, während die Nacht, bewegt und lebendig, über sie hinwegstrich.
»Glaubst du, eine einzige Nacht kann das ganze Leben verändern?«, raunte Christian.
»Vielleicht ist es die Nacht, die Veränderungen erst sichtbar macht«, wisperte Katya zurück.
Solange es über Madras noch dunkel war, gehörte die Welt ihnen allein.
Sie stahlen sich ihr Glück, zwei Diebe in der Nacht.
Danke
Mariam und Thomas Montasser, Anker in rauer See. Dir, Thomas, werde ich ewig dankbar sein, dass du mir vom Eiskönig aus Boston erzählt hast. Und von jenem Jungen auf der zugefrorenen Newa.
Emily Modick, Wegbereiterin.
Maria Runge, Wegbegleiterin.
Ilse Wagner, die wortschmirgelnd und satzschleifend immer genau spürt, was ich eigentlich hatte sagen wollen.
Jörg. Bis ans Ende der Welt und wieder zurück.
Peter und Rose, Jutta und Jupp. Meine Familie.
AK. Dies ist für deine Herzensstadt.
Sanne. Für Katyas Schal, in den so viel von ihrem Wesen und ihren Träumen eingeflochten ist und mit dem ich sie immer ganz nah bei mir habe.
E.L. Für den Blick hinter die Spiegel und in die verborgenen Tiefen.
Die Geschichte von Katya, Grischa, Christian und Thilo geht weiter.
Freuen Sie sich auf die Fortsetzung Die Eisbaronin: Durch Sturm und Feuer im Sommer 2020.
Autorin
Nicole C. Vosseler, am Rand des Schwarzwalds geboren und aufgewachsen, finanzierte sich ihr Studium der Literaturwissenschaften und der Psychologie mit einer Reihe von Nebenjobs. Bereits früh für ihre Kurzprosa, für Essays und Lyrik ausgezeichnet, wandte sie sich später dem Schreiben von Romanen zu. Ihre Bücher wurden bisher in neun Sprachen übersetzt. Nicole C. Vosseler lebt in Konstanz, in einem Stadtteil, der ganz offiziell »Paradies« heißt. Wenn sie nicht in ihrem Schreibstudio am Seerhein an einem ihrer Romane arbeitet, reist sie mit der Kamera um die Welt, wo sie trotz ihrer Höhenangst auch mal einen Vulkan besteigt und auch sonst das Abenteuer sucht.
Nicole C. Vosseler im Goldmann Verlag:
Die Farben der Erinnerung. Roman
Die Eisbaronin: Bis ans Ende der Welt. Roman
( alle auch als E-Book erhältlich)
Haben Sie Lust gleich weiterzulesen? Dann lassen Sie sich von unseren Lesetipps inspirieren.
Nicole C. Vosseler
Die Eisbaronin
Bis ans Ende der Welt - Roman - Die Eisbaronin-Saga 1
Russland 1822. Katya kann im Eis lesen. Farbe und Klang verraten ihr, wie es beschaffen ist – eine besondere Gabe, die sie mit ihrem Bruder Grischa verbindet. Beide haben große Träume und lassen schließlich die Armut ihres Heimatdorfes hinter sich. Ihre Reise führt sie über die Nordmeere bis nach Hamburg. Zusammen mit den ehrgeizigen Kaufmannsbrüdern Thilo und Christian gründen sie ein Handelsunternehmen. Der kühne Plan: das Eis des Nordens bis in die Tropen zu verschiffen. Doch der Weg zum Erfolg ist mit Stolpersteinen gepflastert, und auch die Gefühle zwischen Katya und dem verheirateten Christian drohen die jungen Eisbarone zu Fall zu bringen …
Der Auftakt einer bewegenden Familiensaga um den Aufstieg einer Hamburger Handelsdynastie
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Nicole C. Vosseler
Die Eisbaronin
Durch Sturm und Feuer - Roman - Die Eisbaronin-Saga 2
Hamburg 1835. Mit dem Export von Eis sind Katya und die anderen Eisbarone zu Vermögen gelangt. Das Geschäft floriert, doch in Katyas Ehe kriselt es, und ihr Kinderwunsch ist unerfüllt geblieben. Im Hamburger Gängeviertel trifft sie eines Tages auf die kleine Betje, die sie sofort in ihren Bann zieht – nicht nur wegen ihres brandroten Haars. Das Mädchen ist erstaunlich geschäftstüchtig und stellt sich beim Betteln und Feilschen deutlich geschickter an als die anderen Kinder. Katya beschließt, Betje bei sich aufzunehmen und ihr vielleicht sogar eines Tages das Geschäft zu überlassen. Doch Habgier und Eifersucht drohen alles zu zerstören …
Eine Hamburger Handelsdynastie in stürmischen Zeiten – die fesselnde Fortsetzung der »Eisbaronin«
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