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Auch jetzt noch steckte ihr die Müdigkeit in den Knochen, grau wie der Rauch eines Laubfeuers, als sie im Verschlag hinter der Küche aufsaugte, was Grischa mit leuchtenden Augen von der Stadt erzählte.

Der feine Stich von Neid, dass er all das gesehen hatte, während sie hier schlief, war schnell vergessen; sicher würde er ihr morgen seine Entdeckungen zeigen. Den Käse aus Holland, die Butter aus Preußen, Essig aus dem Rheinland. Rosinen aus Konstantinopel, Mandeln von den Kanarischen Inseln und Speck aus Hamburg.

Bis Grischa vom Hafen sprach und sie begriff, dass es kein Morgen mit ihm geben würde.

»Das verstehst du doch sicher«, fügte er schließlich hinzu.

Die Arme um ihre Knie geschlungen, starrte Katya auf den Strohsack hinab und nickte.

Natürlich verstand sie, was es für ein großes Glück war, dass Grischa Arbeit auf einem Schiff bekommen hatte, das Hanf und Flachs nach England bringen würde, morgen schon.

Wo immer dieses England sein mochte.

»In ein paar Wochen sind wir wieder hier, hat der Kapitän gesagt.«

Grischa war nur zurückgekommen, um sich zu verabschieden. Die Nacht würde er schon auf der Wetschernjaja swesda , der Abendstern , verbringen, bevor sie in der Frühe ablegten.

Katya zog die Schultern hoch und die Knie näher zu sich heran, bis an ihre Brust. Hätte sie das Wort dafür gekannt, hätte sie dieses hohle Gefühl Heimweh genannt. Das Sehnen nach dem Vertrauten, Beständigen, das nicht mehr ist.

»Hier wird es dir gut gehen, Katyuscha.«

Ein großes Glück war es auch, dass sie solange hierbleiben konnte, als Hilfe im Gasthaus von Pjotr Iwanowitsch und Olga Arkadjewna. Nichts anderes als das, was sie zu Hause auch getan hatte, vermutlich würde die Arbeit hier sogar leichter sein.

So weit war sie gekommen, nur um doch noch zurückzubleiben.

Grischa war derjenige, der nicht verstand, dass er sie hier nicht allein lassen konnte.

6

Während Grischa sich im Bauch des Schiffs auf dem Schlafplatz einrichtete, den die anderen Männer ihm teils knurrig, teils unter gutmütigen Frotzeleien zugewiesen hatten, und dabei von der Fahrt träumte, die vor ihm lag, fühlte Katya sich auf dem Strohsack in dem Verschlag verloren. In ihrem ganzen Leben hatte es noch keine Nacht gegeben, in der Grischa nicht da gewesen war; seine Atemzüge hatten ihren Schlaf begleitet, solange sie zurückdenken konnte.

Still war es, in diesem fremden Haus, in der fremden Stadt. Leise, mit heftig klopfendem Herzen, stahl sich Katya durch die Hintertür hinaus und an den Käfigen vorbei. Schnalzte sacht mit der Zunge, Laute, mit denen sie auch zu Hause aufgeregte Hühner und Gänse beruhigt hatte.

Sie orientierte sich an dem Geruch des Wassers, richtete sich nach seinem Gurgeln und Strömen; alles Wasser hier musste doch irgendwann ins Meer fließen.

Die Häuser der Stadt begleiteten sie durch die Finsternis. Nur vereinzelt glommen Lichter in der Nacht und sammelten sich als blasse Pfützen auf dem Boden.

»He, dewotschka

Eine körperlose Männerstimme in ihrem Rücken, lockend und forsch. Katya ging schneller.

»He, Mädchen! Wo willst du denn hin um diese Zeit?«

Schritte zogen sich hinter ihr zusammen, eine zweite Stimme wob sich unter die erste, eine dritte. Katya begann zu laufen, und das aufschäumende Gelächter blieb hinter ihr zurück.

Sie atmete auf, sie hatte die Nacht wieder für sich.

Jenseits der letzten Häuser war die weite Schwärze erdrückend. Was in der Finsternis lauern mochte, daran versuchte sie nicht zu denken. Umso verbissener konzentrierte sie sich auf das Fließen des Wassers neben ihr, das in seinen Wellen langsam, aber unbeirrbar die Nacht dem Tag entgegentrug.

Das Licht der Sterne ritzte schließlich Umrisse aus der Dunkelheit heraus. Silhouetten wie die der Boote auf dem See zu Hause, nur ungleich größer und massiger. Atemlos schritt Katya die Schiffe ab, ein angstvolles Pochen in der Kehle.

Ein blaues Schiff war es, hatte Grischa erzählt, aber nachts waren nicht nur alle Katzen grau.

Erleichterung schoss heiß durch sie hindurch, als sie an einem der Schiffe eine Holzschnitzerei ausmachen konnte. Grischas Schiff trug nicht nur einen Stern im Namen, sondern auch einen Stern an seinem Bug, als einziges im Hafen.

Prüfend zerrte sie an einem der Taue, an denen der wuchtige Holzleib im Wasser dümpelte; es schien stramm und stark genug, um sie auszuhalten. Dort, wo sie herkam, lernte man klettern, schon allein, um die Äpfel zu erreichen, die sich hartnäckig außen an den Ästen festkrallten.

Katya stopfte die Schuhe unter ihre Bluse und reckte sich, um das Tau möglichst weit oben packen zu können. Die Beine um das Seil geschlungen, zog sie sich daran hinauf. Die Reling schob sich in ihr Gesichtsfeld, und Katya streckte eine Hand danach aus.

Eine unerwartet kräftige Welle rauschte heran, krachte gegen die Kaimauer, und das Schiff bäumte sich auf wie eine bockende Ziege. Katya rutschte ab und baumelte keuchend einige Herzschläge lang gefährlich locker am Seil, bevor sie, die Beine über dem Tau übereinandergeschlagen, mit beiden Händen Halt fand.

Fest an das ungeduldig schwingende Tau geklammert, wartete sie, bis das Schiff wieder ruhig im Wasser lag.

Erneut hangelte sie sich nach oben und stemmte dann die bloßen Füße gegen die Bordwand. Dieses Mal bekam sie die Reling zu fassen, zog sich hinauf und schwang sich darüber.

Geräuschlos ließ sie sich auf das verlassene Deck fallen. Sich im Bauch des Schiffs ein Versteck zu suchen schien ihr zu riskant; im Dunkeln könnte sie jederzeit etwas umstoßen, vielleicht über einen schlafenden Seemann stolpern.

Eine schwarze Masse hinter einem der Masten zog Katyas Blicke an. Auf Zehenspitzen schlich sie näher, betastete Konturen und Formen, dann erhellte sich ihre Miene. Sie schob die Plane ein Stück weit zur Seite, hievte sich auf die Fässer hinauf und zwängte sich in einen Hohlraum zwischen ihnen, gerade groß genug für einen schmalen Kinderleib wie ihren. So gut es ging, zog sie die Abdeckung wieder zurecht, bevor sie sich darunter zusammenkauerte.

Jetzt erst zitterten ihre Arme und Beine; aufseufzend ließ Katya den Kopf zurücksinken und schloss die Augen.

Stimmen rissen Katya aus dem Schlaf, scharfe Befehle und stampfende Schritte. Ein Luftzug fegte über sie hinweg; geblendet blinzelte sie in grelle Sonnenstrahlen und ein wettergegerbtes Männergesicht.

»Zecke an Bord!«

Katya blieb keine Zeit, sich wegzuducken, und noch weniger Raum; harte Hände packten sie und zerrten sie zwischen den Fässern hervor.

»Eine Deckratte!«

Unter Johlen und Gelächter warfen sich die Matrosen das Mädchen zu; wie räudige Kater, die mit einer strampelnden Maus ihr grausames Spiel trieben.

»Tanz für uns, dewotschka , tanz!«

Katya kratzte und biss, schmetterte ihren Ellbogen gegen Jochbeine und Schläfen und kickte gegen Rippenbogen, wie sie es zu Hause bei ihren Brüdern gelernt hatte, und die Männer lachten umso lauter.

Kopfüber landete Katya auf der Schulter eines Matrosen; einer ihrer Schuhe rutschte aus der Bluse und polterte auf die Decksplanken, während die Holzsohle des anderen sich in ihren Brustkorb drückte. Einen flüchtigen Moment lang traf sich ihr Blick mit dem Grischas. Das Gesicht starr vor Wut und ein Glühen in den Augen, sprang er dem Seemann in den Rücken und trat ihm die Beine unter dem Körper weg.

Katya schlug auf den Planken auf und zog ein Knie unter sich, um aufzustehen, doch der nächste Seemann hatte sie bereits am Knöchel gepackt und zerrte sie lachend über das Deck. Wie ein Stier nahm Grischa Anlauf und rammte ihm den Kopf in den Magen; die Faust, die ihn dafür zwischen den Rippen traf, ließ ihn aufkeuchen.

Was eben noch ein unbekümmert grober Zeitvertreib der Seeleute gewesen war, schlug in nackte Wut um, die sich in Gewalt entlud, und die Männer brüllten drohende Verwünschungen.