Eine endlose Sekunde lang herrschte absolute Stille, dann schrien alle durcheinander. Inmitten des plötzlichen Tumults hörte ich mehrere Menschen meinen Namen rufen. Doch viel deutlicher drang Edward Cullens leise, verzweifelte Stimme an mein Ohr.
»Bella? Ist alles in Ordnung?«
»Mir geht’s gut.« Meine Stimme klang eigenartig. Ich versuchte mich aufzusetzen und merkte erst jetzt, dass er mich fest an seine Seite presste.
»Vorsicht«, warnte er, als ich mich mühsam bewegte. »Ich glaube, du bist ziemlich hart mit dem Kopf aufgeschlagen.«
Erst da spürte ich den pulsierenden Schmerz über meinem linken Ohr.
»Au«, sagte ich überrascht.
»Hab ich’s mir doch gedacht.« Erstaunlicherweise klang seine Stimme, als müsste er ein Lachen unterdrücken.
»Wie zum …« Ich hielt inne und versuchte mich zu orientieren und meine Gedanken zu ordnen. »Wie bist du so schnell hier gewesen?«
»Ich stand direkt neben dir, Bella«, sagte er. Sein Tonfall war wieder ganz ernst.
Ich drehte mich weg, um mich aufzusetzen, und dieses Mal ließ er es geschehen; er löste seinen Griff um meine Taille und rutschte so weit von mir weg, wie es der schmale Zwischenraum gestattete. Ich blickte in seine besorgte Unschuldsmiene, und erneut verhinderten seine goldfarbenen Augen, dass ich klar denken konnte. Was fragte ich ihn da eigentlich?
Und dann fanden sie uns: Mit tränenüberströmten Gesichtern schrien sie uns, schrien sie sich gegenseitig an.
»Nicht bewegen«, kommandierte jemand.
»Holt Tyler aus dem Van«, brüllte ein anderer.
Hektische Betriebsamkeit umgab uns. Ich versuchte aufzustehen, doch Edwards kalte Hand drückte meine Schulter nach unten.
»Bleib erst mal sitzen.«
»Aber es ist kalt«, maulte ich. Ich war überrascht, als er leise vor sich hin lachte. Es klang irgendwie nervös.
Plötzlich fiel es mir wieder ein: »Du warst dort drüben.« Sein Kichern erstarb. »Bei deinem Auto.«
In sein Gesicht trat ein harter Ausdruck. »Nein, war ich nicht.«
»Ich hab dich gesehen.« Um uns herum herrschte Chaos. Von fern näherten sich die schrofferen Stimmen von Erwachsenen. Doch ich ließ nicht locker – ich hatte Recht, und er würde es zugeben.
»Bella, ich stand neben dir und ich hab dich zur Seite gezogen.« Und als wollte er mir etwas Wichtiges mitteilen, entfesselte er die ganze, überwältigende Kraft seines Blickes.
»Nein.« Ich war entschlossen, nicht nachzugeben.
Das Gold in seinen Augen funkelte. »Bella, bitte.«
»Warum?«
»Vertrau mir«, bat er leise, mit unwiderstehlich sanfter Stimme.
Dann hörte ich die Sirenen. »Versprichst du, mir später alles zu erklären?«
»Schön, wie du willst«, sagte er mit plötzlicher Gereiztheit.
»Schön«, erwiderte ich wütend.
Sechs Rettungshelfer und zwei Lehrer – Mr Varner und Coach Clapp – waren notwendig, um den Van weit genug beiseitezuschieben, damit sie mit den Tragen zu uns herankamen. Edward lehnte es vehement ab, sich tragen zu lassen, und ich versuchte dasselbe, doch dieser Verräter sagte ihnen, dass ich mir den Kopf gestoßen und wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung hatte. Ich starb fast vor Scham, als sie mir die Halskrause anlegten. Es sah aus, als hätten sich sämtliche Schüler und Lehrer eingefunden, um mit ernsten Mienen zuzusehen, wie ich in den Krankenwagen geschoben wurde. Edward durfte vorne sitzen. Es war zum Verrücktwerden.
Und zu allem Unglück traf auch noch Charlie in voller Polizeimontur ein, bevor sie mich fertig einladen und abtransportieren konnten.
»Bella«, brüllte er panisch, als er mich auf der Trage erkannte.
»Mir geht’s gut, Char-Dad«, sagte ich matt. »Nichts passiert.«
Er wandte sich an den erstbesten Rettungshelfer, um eine zweite Meinung einzuholen, und ich blendete ihn aus, um mich dem Wirrwarr der unerklärlichen Bilder zu widmen, die mir durch den Kopf schossen. Als sie mich auf die Trage gehoben hatten, war mir die tiefe Delle in der Stoßstange des hellbraunen Autos aufgefallen – eine sehr ausgeprägte Delle, die genau den Konturen von Edwards Schultern entsprach … als hätte er sich mit genug Kraft gegen das Auto gestemmt, um dessen Metallrahmen zu beschädigen …
Und dann war da das Verhalten seiner Geschwister: Sie hatten etwas abseitsgestanden und das Geschehen, ihren Gesichtern nach zu urteilen, mit einer Mischung aus Ablehnung und Wut verfolgt, doch ohne sichtbare Sorge um das Leben ihres Bruders.
Ich suchte nach einer logischen Erklärung für das, was ich gerade erlebt hatte – einer, die nicht darauf hinauslief, dass ich geisteskrank war.
Wie nicht anders zu erwarten, wurde der Krankenwagen von einem Streifenwagen zum Bezirkskrankenhaus eskortiert. Während der gesamten Ausladeprozedur fühlte ich mich der Lächerlichkeit preisgegeben, was noch dadurch verstärkt wurde, dass Edward gewohnt elegant und unbehelligt von fremder Hilfe durch die Krankenhaustüren schritt. Wütend biss ich die Zähne zusammen.
Sie brachten mich in die Notaufnahme, einen langen Raum mit nebeneinander aufgereihten Betten, zwischen denen pastellfarben gemusterte Vorhänge hingen. Eine Krankenschwester legte mir die Manschette zum Blutdruckmessen um den Arm und pumpte sie auf, dann schob sie mir ein Thermometer unter die Zunge. Da sich niemand die Mühe machte, den Vorhang weit genug zu schließen, um mir ein wenig Privatsphäre zu verschaffen, kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht länger verpflichtet war, die alberne Halskrause zu tragen. Sobald die Schwester gegangen war, öffnete ich den Klettverschluss und schmiss sie unter das Bett.
Dann wurde es erneut hektisch; eine weitere Traube Krankenhauspersonal, eine weitere Trage, die zum Bett neben mir gebracht wurde. Unter den blutbeschmierten Binden, die eng um seinen Kopf gewickelt waren, erkannte ich Tyler Crowley aus meinem Politikkurs. Er sah hundertmal schlimmer aus, als ich mich fühlte, trotzdem musterte er mich mit bangem Blick.
»Bella, es tut mir so leid!«
»Mir geht’s gut, Tyler – aber was ist mit dir, du siehst schrecklich aus!« Während wir sprachen, wickelte eine Schwester die schmutzigen Binden ab und legte unzählige oberflächliche Schnittwunden auf seiner Stirn und seiner linken Wange frei.
Er ignorierte die Frage. »Ich dachte, ich bringe dich um! Ich war zu schnell und kam falsch auf das Eis …« Er zuckte zusammen, als eine Schwester ihm das Gesicht abzutupfen begann.
»Mach dir um mich keine Sorgen; wie du siehst, hast du mich verfehlt.«
»Wie bist du so schnell ausgewichen? Du warst direkt vor mir, und dann warst du auf einmal weg …«
»Ähm … Edward hat mich beiseitegezogen.«
Er war verdutzt. »Wer?«
»Edward Cullen – er stand neben mir.« Ich war schon immer eine erbärmliche Lügnerin gewesen; es klang nicht mal annähernd überzeugend.
»Cullen? Den hab ich gar nicht gesehen … Wow, ich nehm an, das ging einfach alles zu schnell. Geht’s ihm gut?«
»Ich glaub schon. Er muss hier irgendwo sein.«
Ich wusste, dass ich nicht verrückt war. Was war passiert? Es gab keine Erklärung für das, was ich gesehen hatte.
Dann rollten sie mich in meinem Bett davon, um meinen Kopf zu röntgen. Ich sagte ihnen, dass mir nichts fehlt, und ich behielt Recht. Nicht einmal eine Gehirnerschütterung. Ich wollte wissen, ob ich gehen durfte, aber die Schwester meinte, ich müsste erst mit dem Doktor reden. Ich hing also in der Notaufnahme fest und wartete, während Tyler sich pausenlos entschuldigte und versprach, es wiedergutzumachen. Ich konnte noch so oft beteuern, dass es mir gutging, er hörte nicht auf, sich Vorwürfe zu machen. Irgendwann schloss ich die Augen und ignorierte ihn. Er murmelte weiter reumütig vor sich hin.