Das Ende der letzten Stunde war wie immer eine Erleichterung. Ich rannte fast zum Transporter, so viele Leute gab es, denen ich nicht begegnen wollte. Er hatte so gut wie nichts abbekommen beim Unfall. Seine Rücklichter waren ausgewechselt worden, und wenn er vorher ordentlich lackiert gewesen wäre, hätte ich den Lackschaden ausbessern lassen. Tylers Eltern dagegen mussten ihren Van als Ersatzteilspender verkaufen.
Mich traf fast der Schlag, als ich um die Ecke bog und eine große, dunkle Gestalt am Transporter lehnen sah. Dann erkannte ich, dass es nur Eric war. Ich ging weiter.
»Hi, Eric«, rief ich.
»Hi, Bella.«
»Was gibt’s?«, fragte ich ihn und schloss die Tür auf. Ich hatte nicht auf seinen beklommenen Tonfall geachtet und war deshalb unvorbereitet auf das, was als Nächstes kam.
»Äh, ich wollt dich fragen … ob du vielleicht Lust hättest, zum Frühjahrsball zu gehen … mit mir.« Beim letzten Wort versagte seine Stimme.
»Ich dachte, es ist Damenwahl«, sagte ich, zu entgeistert, um diplomatisch zu sein.
»Ja, stimmt«, gab er betreten zu.
Ich riss mich zusammen und gab mir die größte Mühe, mein Lächeln aufrichtig wirken zu lassen. »Danke für deine Einladung, aber ich bin an dem Tag in Seattle.«
»Oh«, sagte er. »Na ja, vielleicht ein andermal.«
»Klar«, erwiderte ich und biss mir sofort auf die Zunge. Ich konnte nur hoffen, dass er das nicht allzu wörtlich nahm.
Er zog ab, zurück in Richtung Schule. Ich hörte ein leises Glucksen.
Edward ging an meinem Transporter vorbei, den Blick nach vorne gerichtet, die Lippen zusammengepresst. Ich riss die Tür auf, stieg ein und schlug sie krachend zu. Dann ließ ich den Motor aufheulen und parkte rückwärts aus. Edward saß zwei Parklücken weiter bereits in seinem Auto und glitt elegant vor mir in die Spur. Dort blieb er stehen – und wartete auf seine Geschwister; ich sah die vier in unsere Richtung laufen, doch sie waren erst bei der Cafeteria. Ich spielte mit dem Gedanken, ihm den Kofferraum einzudrücken, aber es gab zu viele Zeugen. Ich schaute in den Rückspiegel und sah, dass sich eine Schlange bildete. Direkt hinter mir saß Tyler Crowley in seinem kürzlich angeschafften gebrauchten Nissan Sentra und winkte. Ich war zu aufgebracht, um auf ihn zu reagieren.
Als ich dort saß und wartete und meine Augen auf alles, nur nicht auf den Wagen vor mir richtete, klopfte es auf der Beifahrerseite am Fenster. Ich schaute hinüber; es war Tyler. Verwirrt warf ich einen Blick in den Rückspiegel – sein Motor war an, die Autotür stand offen. Ich lehnte mich hinüber, um das Fenster runterzukurbeln. Es klemmte. Ich schaffte es zur Hälfte, dann gab ich auf.
»Tut mir leid, Tyler, aber ich steck hinter Cullen fest.« Ich war genervt – es war ja wohl klar, dass ich nichts für den Stau konnte.
»Ja, ich weiß – ich wollte dich nur etwas fragen, solange wir hier festsitzen.« Er grinste.
Das war ja wohl alles nicht wahr.
»Hast du vor, mich zum Frühjahrsball zu bitten?«, fragte er weiter.
»Ich bin nicht hier, Tyler.« Ich klang ein wenig zu gereizt. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass Mike und Eric meine Geduld für den Tag schon aufgebraucht hatten.
»Ja, das hat Mike auch gesagt«, gab er zu.
»Aber warum …?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte gehofft, du wolltest es ihm nur schonend beibringen.«
Okay – es war komplett seine Schuld.
»Tut mir leid, Tyler«, sagte ich und versuchte meinen Ärger zu verbergen. »Aber ich bin wirklich nicht hier an dem Tag.«
»Ist schon okay. Wir haben ja noch den Jahresabschlussball.«
Und bevor ich etwas erwidern konnte, lief er zu seinem Wagen zurück. Ich war vollkommen fassungslos. Als ich nach vorne schaute, glitten Alice, Rosalie, Emmett und Jasper gerade auf ihre Sitze. Im Rückspiegel des Volvos sah ich Edwards Augen
– er beobachtete mich. Und offensichtlich kriegte er sich kaum ein vor Lachen, so als hätte er jedes Wort von Tyler verstanden. Es juckte mich im rechten Fuß – ein kleiner
Schubser würde niemandem wehtun, nur der silberne Glanzlack würde etwas abbekommen.
Ich ließ den Motor aufheulen.
Doch sie saßen jetzt alle, und Edward brauste davon. Ich fuhr langsam und vorsichtig nach Hause und schimpfte den ganzen Weg vor mich hin.
Zu Hause beschloss ich, für abends Geflügel-Enchiladas zu machen – das dauerte eine Weile und würde mich beschäftigen. Als ich gerade die Zwiebeln und Chilis anschmorte, klingelte das Telefon. Ich hatte ein bisschen Angst ranzugehen, aber es hätte ja Charlie oder Mom sein können.
Es war Jessica, und sie sprudelte über vor Glück; Mike hatte sie nach der Schule abgefangen, um ihr zu sagen, dass er die Einladung annahm. Ich freute mich kurz mit ihr, während ich weiter in der Pfanne rührte, dann musste sie Schluss machen, um Angela und Lauren die frohe Kunde zu übermitteln. Ich schlug ganz unschuldig vor, dass die schüchterne Angela aus Bio vielleicht Eric fragen könnte. Und Lauren, die mir gegenüber reserviert war und mich am Mittagstisch immer ignorierte, Tyler; ich hätte gehört, er wäre noch nicht vergeben. Jess fand die Idee prima. Und jetzt, da Mike ihr sicher war, klang sie sogar aufrichtig, als sie sagte, dass es schön wäre, wenn ich auch käme. Ich erzählte auch ihr, ich würde nach Seattle fahren.
Nach dem Telefonat konzentrierte ich mich aufs Kochen, besonders auf das Würzen des Hühnchens; ich hatte keine Lust, schon wieder in der Notaufnahme zu landen. Doch mir schwirrte der Kopf, weil ich versuchte jedes Wort zu analysieren, das Edward heute gesagt hatte. Was meinte er damit, dass es besser war, nicht befreundet zu sein?
Als mir die einzig mögliche Antwort einfiel, wurde mir ganz flau im Magen: Ihm musste aufgefallen sein, wie sehr ich ihn anhimmelte, das war die einzige Erklärung. Und jetzt wollte er nicht mit meinen Gefühlen spielen … und deshalb konnten wir nicht einmal Freunde sein … weil er überhaupt nicht an mir interessiert war.
Selbstverständlich war er nicht an mir interessiert, überlegte ich wütend und mit brennenden Augen – eine verspätete Reaktion auf die Zwiebeln. Ich war eben nicht interessant. Er dagegen schon. Interessant … und brillant … und mysteriös … und perfekt … und schön … und möglicherweise in der Lage, Autos mit einer Hand anzuheben.
Okay, wie er wollte. Ich konnte ihn genauso gut in Ruhe lassen. Ich würde ihn in Ruhe lassen. Ich würde meine selbstauferlegte Strafe in der Vorhölle von Forks absitzen und dann würde mir hoffentlich irgendein College im Südwesten, oder vielleicht auf Hawaii, ein Stipendium anbieten. Ich dachte an sonnige Strände und Palmen, füllte die Enchiladas und schob sie in den Ofen.
Charlie schnupperte misstrauisch, als er nach Hause kam. Ich konnte es ihm nicht verdenken – das nächste genießbare mexikanische Essen gab es, von hier aus gesehen, wahrscheinlich in Südkalifornien. Aber als echter Cop, wenn auch nur Kleinstadt-Cop, war er mutig genug, es zu probieren. Und es schien ihm zu schmecken. Es machte Spaß zu sehen, wie er langsam begann, meinen Kochkünsten zu trauen.
»Dad?«, fragte ich, als er fast fertig war.
»Ja, Bella?«
»Ähm, ich wollte nur sagen, dass ich mir überlegt hab, nächste Woche Samstag nach Seattle zu fahren … wenn das okay ist.« Ich wollte nicht um Erlaubnis bitten – so etwas sollte gar nicht erst einreißen –, aber es kam mir auch grob vor, ihn einfach nur zu informieren, deshalb der Schlenker am Ende.
»Wozu?« Es klang, als wäre es unvorstellbar, dass man in Forks irgendetwas vermissen könnte.
»Ich wollte ein paar Bücher kaufen – die Bibliothek hier hat echt nicht viel Auswahl – und vielleicht nach ein paar Klamotten gucken.« Da ich, dank Charlie, kein Auto kaufen musste, hatte ich mehr Geld zur Verfügung, als ich es gewohnt war. Obwohl der Transporter einiges an Sprit verschlang.
Charlie hatte denselben Gedanken. »Der Transporter hat vermutlich keinen besonders sparsamen Verbrauch«, sagte er.
»Ich weiß, wahrscheinlich muss ich in Montessano und Olympia Halt machen, vielleicht sogar in Tacoma.«