»Willst du ganz allein fahren?«, fragte er. Mir war nicht klar, worüber er besorgt war:
einen heimlichen Freund oder bloß die Unfallgefahr.
»Ja.«
»Seattle ist groß – du könntest dich verfahren«, gab er zu bedenken.
»Dad, Phoenix ist fünfmal so groß wie Seattle – und ich weiß, wie man Karten liest, keine Sorge.«
»Willst du, dass ich mitkomme?«
Ich versuchte mein Erschrecken zu verbergen.
»Ich weiß nicht, Dad, ich werde wahrscheinlich den ganzen Tag in Umkleidekabinen verbringen – ziemlich langweilig.«
»Oh, okay.« Der Gedanke, wie viel Zeit auch immer in Modegeschäften zubringen zu müssen, schreckte ihn sofort ab.
»Danke.« Ich lächelte ihn an.
»Bist du denn dann rechtzeitig zum Ball wieder hier?«
Grrr. Nur in einer Kleinstadt wie dieser waren Väter über Schulbälle im Bilde.
»Nein. Tanzen ist nichts für mich, Dad.« Er müsste das eigentlich verstehen – meine Koordinationsprobleme hatte ich schließlich nicht von Mom.
Er verstand es tatsächlich. »Ach ja, stimmt«, sagte er.
Als ich am nächsten Morgen auf den Parkplatz fuhr, suchte ich mir ganz bewusst einen Platz in größtmöglicher Entfernung vom silbernen Volvo. Ich musste der Versuchung ja nicht unbedingt in die Arme laufen – am Ende schuldete ich ihm noch ein neues Auto. Beim Aussteigen rutschte mir mein Schlüssel aus der Hand und fiel in eine Pfütze. Ich bückte mich, doch bevor ich nach ihm greifen konnte, kam mir von irgendwoher eine weiße Hand zuvor. Mit einem Satz schoss ich hoch. Edward Cullen stand direkt neben mir, lässig an meinen Transporter gelehnt.
»Wie machst du das?«, fragte ich erstaunt und verärgert zugleich.
»Wie mache ich was?« Während er sprach, hielt er mir meinen Schlüssel hin. Als ich danach griff, ließ er ihn in meine Hand fallen.
»Einfach so aus heiterem Himmel auftauchen.«
»Bella, was kann ich dafür, dass du ein außergewöhnlich unaufmerksamer Mensch bist?« Seine Stimme war so ruhig wie gewohnt – samtweich und gedämpft.
Missmutig schaute ich in sein perfektes Gesicht. Seine Augen waren heute wieder heller; sie hatten einen satten Farbton wie aus Gold und Honig. Ich musste meinen Blick abwenden, dann erst konnte ich meine wirren Gedanken neu ordnen.
»Was sollte der Stau gestern?«, fragte ich vorwurfsvoll, ohne ihn anzusehen. »Ich dachte, du wolltest so tun, als würde ich nicht existieren, nicht mich bis aufs Blut reizen.«
»Das war nur Tyler zuliebe. Ich musste ihm seine Chance lassen.« Er kicherte.
»Du …« Ich suchte nach Worten, fand aber keines, das schlimm genug war. Doch je wütender ich wurde, desto mehr schien er sich zu amüsieren.
»Außerdem tue ich nicht so, als würdest du nicht existieren«, fuhr er fort.
»Das heißt, du willst mich tatsächlich bis aufs Blut reizen? Wenn ich schon Tylers Van überlebt hab?«
Seine Gesichtszüge verdüsterten sich: Wütend blitzten seine gelbbraunen Augen und seine Lippen formten eine harte Linie.
»Bella, was du sagst, ist komplett absurd«, erwiderte er kühl und mit leiser Stimme.
Meine Handflächen kribbelten, so stark war das Bedürfnis, auf irgendetwas einzuschlagen. Ich war überrascht von mir – normalerweise war ich nicht gewalttätig. Ich drehte mich um und ging davon.
»Warte«, rief er. Ich stapfte weiter wütend durch den Regen. Doch er war neben mir und hielt ohne Probleme Schritt.
»Es tut mir leid, das war nicht nett«, sagte er im Gehen. Ich ignorierte ihn. »Nicht, dass es nicht wahr wäre«, fuhr er fort, »aber es war trotzdem nicht nett, es zu sagen.«
»Warum lässt du mich nicht einfach in Frieden?«, giftete ich.
»Ich wollte dich was fragen, aber du hast mich vom Thema abgebracht«, feixte er.
Offensichtlich hatte er seine gute Laune wiedergefunden.
»Sag mal, hast du vielleicht eine gespaltene Persönlichkeit?«, fragte ich bissig.
»Jetzt fängst du schon wieder an.«
Ich seufzte. »Na schön. Was willst du wissen?«
»Ich hab mich gefragt, ob du nächste Woche Samstag – du weißt schon, am Tag des Frühjahrsballs –«
Ich blieb abrupt stehen und drehte mich zu ihm um. »Soll das vielleicht witzig sein?«, fiel ich ihm ins Wort. Als ich zu ihm hochblickte und den Ausdruck in seinem Gesicht sah, schoss mir die Zornesröte ins Gesicht.
In seinen Augen funkelte unverschämte Heiterkeit. »Würdest du mich bitte ausreden lassen?«
Ich biss mir auf die Lippe und verschränkte meine Arme, damit ich nichts Unüberlegtes tun konnte.
»Ich hab mitbekommen, dass du den Tag in Seattle verbringst, und wollte dich fragen, ob du mitfahren willst?«
Damit hatte ich nicht gerechnet.
»Was?« Mir war nicht klar, worauf er hinauswollte.
»Willst du mit nach Seattle fahren?«
»Mit wem denn?«, fragte ich verdutzt.
»Mit mir, wem sonst?« Er sprach so langsam und deutlich, als hätte er es mit einer geistig Behinderten zu tun.
Ich war immer noch verdattert. »Warum?«
»Ich hatte sowieso vor, in den nächsten Wochen nach Seattle zu fahren, und ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher, ob dein Transporter die Strecke schafft.«
»Mein Transporter läuft prima, danke der Nachfrage.« Ich lief weiter, doch ich war so überrascht, dass ein Teil meines Zorns verraucht war.
»Aber schafft er die Strecke auch mit einer Tankfüllung?« Er lief immer noch neben mir her.
»Ich weiß nicht, was dich das angeht.« Blöder, eingebildeter Volvo-Fahrer.
»Die Verschwendung begrenzter Ressourcen geht jeden etwas an.«
»Ganz ehrlich, Edward« – ich genoss es, seinen Namen auszusprechen, und ich hasste mich dafür –, »ich kapier’s nicht. Ich dachte, du willst nicht mit mir befreundet sein.«
»Ich hab gesagt, es wäre besser, wenn wir nicht befreundet wären, nicht, dass ich es nicht will.«
»Ach so, vielen Dank – gut, dass wir das geklärt haben«, motzte ich. Heftiger Sarkasmus. Mittlerweile standen wir unter dem Dach der Cafeteria, so dass es leichter war, ihn anzuschauen – nicht, dass es deswegen auch leichter war, meine Gedanken zu ordnen.
»Es wäre … besonnener von dir, nicht mit mir befreundet zu sein«, erklärte er. »Aber ich bin es leid, mich von dir fernzuhalten, Bella.«
Während dieses letzten Satzes strahlten seine Augen mit einzigartiger Kraft, und der Klang seiner Stimme war ein einziger, knisternder Lockruf. Ich vergaß zu atmen.
»Fährst du mit mir nach Seattle?«, fragte er mit unverminderter Intensität.
Ich hatte meine Sprache noch nicht wiedergefunden, also nickte ich nur.
Er lächelte kurz, dann wurde sein Gesicht ernst.
»Du solltest dich wirklich von mir fernhalten«, warnte er. »Wir sehen uns in Bio.«
Er machte kehrt und ging in die Richtung, aus der wir gekommen waren.
DER GERUCH VON BLUT
Benommen ging ich zur Englischstunde. Als ich den Raum betrat, bekam ich nicht einmal mit, dass der Unterricht schon begonnen hatte.
»Schön, dass Sie uns auch beehren, Miss Swan«, sagte Mr Mason sarkastisch.
Es dauerte bis zum Ende der Stunde, ehe mir auffiel, dass Mike nicht auf seinem gewohnten Platz neben mir saß. Schuldgefühle nagten an mir. Doch hinterher warteten er und Eric wie gewohnt an der Tür auf mich, ich war also anscheinend bei beiden nicht ganz und gar in Ungnade gefallen. Und während sie mich zur nächsten Stunde begleiteten, war Mike schon fast wieder der Alte, jedenfalls geriet er in Begeisterung, als er über die Wetteraussichten für das Wochenende sprach. Eine kleine Regenpause war angekündigt, vielleicht würde also sein Strandausflug möglich sein. Ich gab mir Mühe, begeistert zu klingen, um ihn für die gestrige Enttäuschung zu entschädigen, aber es fiel mir nicht leicht: Regen hin oder her – es würde auch bei Sonnenschein nicht wärmer als fünf Grad sein, wenn überhaupt.
Der Rest des Vormittags strich an mir vorbei, ohne dass ich ihn recht wahrnahm. Es war schwer zu glauben, dass es etwas anderes als ein Hirngespinst war, was Edward am Morgen zu mir gesagt und wie er mich angeschaut hatte. Vielleicht war es ja bloß ein besonders realistischer Traum gewesen, den ich mit der Wirklichkeit verwechselte. Das war wahrscheinlicher als die Vorstellung, dass er tatsächlich irgendwas an mir toll fand.