Entsprechend ängstlich und ungeduldig war ich, als ich mit Jessica die Cafeteria betrat. Ich wollte sein Gesicht sehen, wollte wissen, ob er sich wieder in den kalten, abweisenden Edward der vergangenen Wochen verwandelt hatte. Oder ob ein Wunder geschehen war und ich tatsächlich gehört hatte, was ich meinte, gehört zu haben. Jessica plapperte ohne Unterbrechung über ihre Pläne für den Ball – Lauren und Angela hatten die beiden anderen Jungs gefragt, und jetzt gingen sie alle zusammen hin – und bemerkte nicht, dass ich ihr kaum zuhörte.
Mein Blick fiel mit traumwandlerischer Sicherheit auf seinen Tisch – und dann durchfuhr mich die Enttäuschung: Die anderen vier waren da, doch er fehlte. War er nach Hause gefahren? Niedergeschlagen stand ich hinter der weiterhin munter drauflosplappernden Jessica in der Schlange. Mir war der Appetit vergangen; ich kaufte mir eine Flasche Limonade, sonst nichts. Ich wollte mich nur noch hinsetzen und Trübsal blasen.
»Edward Cullen guckt dich schon wieder so an«, sagte Jessica, und sein Name ließ mich dann doch aufhorchen. »Komisch, dass er heute alleine sitzt.«
Mein Kopf schoss hoch. Ich folgte ihrem Blick und sah Edward an einem leeren Tisch sitzen, so weit weg von seinem normalen Platz, wie es der Raum zuließ. Verschmitzt grinsend schaute er mich an, und als sich unsere Blicke trafen, hob er eine Hand und winkte mich zu sich. Ich starrte ihn ungläubig an, er zwinkerte.
»Meint er dich?«, fragte Jessica so ungläubig, dass es fast schon beleidigend war.
»Vielleicht hat er eine Frage zu den Biohausaufgaben«, murmelte ich, um sie nicht zu brüskieren. »Äh, ich geh mal nachsehen, was er will.«
Ich spürte, wie ihr Blick mir durch den Raum folgte.
Ich erreichte seinen Tisch und blieb unsicher stehen. Vor mir stand ein leerer Stuhl.
»Hast du Lust, mir Gesellschaft zu leisten?«, fragte er und lächelte.
Ich setzte mich, ohne nachzudenken, und betrachtete ihn misstrauisch. Er lächelte mich unverwandt an – er war schlichtweg zu schön, um wahr zu sein. Wahrscheinlich würde er gleich in einer Rauchwolke verschwinden und ich würde aufwachen.
Er schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte.
»Das ist – ich weiß nicht – ich bin überrascht«, bekam ich schließlich über die Lippen.
»Na ja« – er zögerte, doch dann schoss es nur so aus ihm heraus. »Ich hab mir gedacht, wenn ich schon in die Hölle komme, dann wenigstens nicht ohne guten Grund.«
Ich wartete darauf, dass er etwas Verständliches sagte. Die Sekunden verstrichen.
»Ich hab keine Ahnung, was du damit meinst«, sagte ich schließlich.
»Ich weiß.« Wieder lächelte er, dann wechselte er das Thema. »Ich glaube, deine Freunde sind sauer, dass ich dich entführt hab.«
»Sie werden’s überleben.« Ich spürte ihre Blicke in meinem Rücken.
»Was, wenn ich dich nicht mehr zurückbringe?«, fragte er mit einem verschlagenen Funkeln in den Augen.
Ich musste schlucken.
Er lachte. »Du siehst besorgt aus.«
»Besorgt nun nicht gerade«, brachte ich noch hervor, bevor mir, als wollte sie mich vollkommen der Lächerlichkeit preisgeben, die Stimme versagte. »Eher überrascht …«
»Ich sagte doch – ich bin es leid, mich von dir fernzuhalten. Also hab ich es aufgegeben.« Er lächelte noch immer, doch seine ockerfarbenen Augen waren ernst.
»Aufgegeben?«, wiederholte ich verwirrt.
»Ja – aufgegeben, gut zu sein. Ab jetzt mache ich nur noch, was ich will, und lass den Dingen ihren Lauf.« Sein Lächeln schwand, während er das sagte, und in seiner Stimme war plötzlich ein scharfer Unterton.
»Ich kann dir schon wieder nicht folgen.«
Da war es wieder, sein atemberaubendes schiefes Lächeln.
»Ich verrate immer zu viel, wenn ich mit dir rede – das ist schon mal ein Problem.«
»Mach dir keine Sorgen, ich verstehe nicht das Geringste«, sagte ich ironisch.
»Das hoffe ich.«
»Also noch mal, so, dass auch ich es kapiere – sind wir nun Freunde oder nicht?«
»Freunde …«, sinnierte er skeptisch.
»Oder nicht«, murmelte ich.
Er grinste.
»Na ja, ich würde sagen, wir können es probieren. Aber ich sag dir gleich – ich bin kein guter Freund für dich.«
Die Warnung war ernst gemeint, trotz des Lächelns.
»Das sagst du ständig«, warf ich ein und versuchte das flaue Gefühl in meinem Magen zu ignorieren.
»Genau – weil du mir nicht zuhörst. Ich warte immer noch darauf, dass du mir endlich glaubst. Wenn du klug bist, gehst du mir aus dem Weg.«
»Damit hätten wir dann auch die Frage meiner Intelligenz geklärt.« Ich kniff die Augen zusammen.
Er lächelte entschuldigend.
»Das heißt also, falls ich … nicht klug bin, können wir versuchen Freunde zu sein?«, bemühte ich mich, unseren verwirrenden Wortwechsel auf den Punkt zu bringen.
»So ungefähr.«
Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, also betrachtete ich meine Hände, in denen ich die Limoflasche hielt.
»Was denkst du gerade?«, fragte er neugierig.
Ich schaute in die goldfarbenen Tiefen seiner Augen, verlor die Fassung und platzte wie üblich mit der Wahrheit heraus.
»Ich versuche herauszufinden, wer du wirklich bist.«
Sein Lächeln wurde verbissen.
»Und – warst du schon erfolgreich?«
»Nicht sehr«, gab ich zu.
Er unterdrückte ein Lachen. »Aber du hast so deine Theorien?«
Ich wurde rot. Ich schwankte seit einem Monat zwischen Bruce Wayne und Peter Parker. Um nichts in der Welt würde ich das zugeben.
»Du willst es mir nicht sagen?«, fragte er und legte seinen Kopf mit einem schockierend verführerischen Lächeln schief.
Ich schüttelte den Kopf. »Zu peinlich.«
»Das ist wirklich frustrierend, ehrlich«, beklagte er sich.
»Ach was«, widersprach ich schnell und kniff meine Augen zusammen. »Was soll daran denn frustrierend sein – nur weil sich jemand weigert, dir zu verraten, was er denkt, obwohl er selbst die ganze Zeit kryptische Andeutungen macht, die offensichtlich zu nichts anderem da sind, als dich die ganze Nacht vom Schlafen abzuhalten, weil du nicht draus schlau wirst? Ehrlich, was soll daran denn frustrierend sein?«
Er verzog das Gesicht.
»Oder«, fuhr ich fort und ließ meiner aufgestauten Wut freien Lauf – »sagen wir mal, jemand macht ständig die eigenartigsten Sachen, rettet dir zum Beispiel an einem Tag unter unmöglichen Umständen das Leben und behandelt dich am nächsten Tag wie eine Aussätzige, ohne irgendeine Erklärung abzugeben, obwohl er es versprochen hat – das ist auch überhaupt nicht frustrierend.«
»Kann es sein, dass du ganz schön sauer bist?«
»Ich hab was gegen Doppelmoral.«
Wir starrten uns an.
Dann richtete er seinen Blick auf etwas hinter mir und begann plötzlich, vor sich hin zu kichern.
»Was?«
»Dein Freund denkt anscheinend, ich bin nicht nett zu dir, und jetzt überlegt er sich gerade, ob er rüberkommen und unsere Auseinandersetzung beenden soll.«
»Ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst«, sagte ich frostig. »Aber ich bin mir sicher, dass es nicht stimmt.«
»Es stimmt, verlass dich drauf. Ich hab dir doch gesagt, dass die meisten Leute leicht zu durchschauen sind.«
»Außer mir natürlich.«
»Genau, außer dir.« Plötzlich änderte sich seine Stimmung, und in seine Augen trat ein grüblerischer Ausdruck. »Ich frage mich, woran das liegt.«
Sein Blick war so intensiv, dass ich wegschauen musste. Ich konzentrierte mich darauf, die Verschlusskappe der Limonade aufzuschrauben und einen Schluck zu trinken. Dann starrte ich auf die leere Tischplatte vor ihm.
»Hast du keinen Hunger?«, fragte er zerstreut.