»Essen ist noch nicht fertig, Dad, tut mir leid – ich bin draußen eingeschlafen.« Ich unterdrückte ein Gähnen.
»Macht nichts«, sagte er. »Ich wollte sowieso nachsehen, wie’s beim Spiel steht.«
Nach dem Essen sah ich mit Charlie fern, um etwas zu tun zu haben. Es lief nichts, was ich sehen wollte, aber da er wusste, dass ich Baseball nicht mochte, stellte er eine schwachsinnige Sitcom ein, die uns beide langweilte. Dennoch genoss er es sichtlich, dass wir etwas zusammen machten. Und trotz meiner Niedergeschlagenheit tat es mir gut zu wissen, dass ich ihm eine Freude bereitete.
»Dad«, sagte ich während einer Werbepause, »Jessica und Angela fahren morgen nach Port Angeles, um nach Kleidern für den Ball zu schauen, und sie wollen, dass ich ihnen beim Aussuchen helfe … Hast du was dagegen, wenn ich mitfahre?«
»Jessica Stanley?«, fragte er.
»Und Angela Weber«, präzisierte ich mit einem genervten Stöhnen.
»Aber du gehst doch gar nicht zum Ball«, sagte er verwirrt.
»Nein, Dad, aber ich helfe ihnen dabei, etwas zu finden. Konstruktive Kritik und so.« Einer Frau hätte ich das nicht erklären müssen.
»Na ja, okay.« Er schien zu kapieren, dass solche Mädchensachen über seinen Horizont gingen. »Aber am nächsten Tag ist Schule.«
»Wir fahren gleich nach der letzten Stunde los, damit wir zeitig wieder zurück sind. Kriegst du das hin mit dem Abendessen?«
»Bells, bevor du gekommen bist, hab ich mich siebzehn Jahre lang selbstständig ernährt«, erinnerte er mich.
»Keine Ahnung, wie du das überlebt hast«, murmelte ich, dann sagte ich lauter: »Ich stell dir trotzdem ein paar Sachen für Sandwiches in den Kühlschrank, ja? Ganz oben.«
Er warf mir einen belustigten, aber nachsichtigen Blick zu.
Am nächsten Morgen schien wieder die Sonne. Ich erwachte mit neuer Hoffnung, die ich sogleich verbissen unterdrückte. Für das wärmere Wetter suchte ich mir eine blaue Bluse mit V-Ausschnitt heraus, die ich in Phoenix im tiefsten Winter getragen hatte.
Ich fuhr absichtlich so spät los, dass mir gerade noch Zeit blieb, pünktlich zur ersten Stunde zu kommen. Betrübt drehte ich auf dem Parkplatz meine Runden, auf der Suche nach einer Lücke, aber auch nach einem silbernen Volvo, der ganz klar nirgends zu sehen war. Ich parkte in der letzten Reihe und rannte zu Englisch; ich kam gerade noch rechtzeitig an, bevor es zur Stunde klingelte – atemlos, aber gefasst.
Es war dasselbe wie am Tag zuvor – ich konnte es einfach nicht vermeiden, dass in mir wieder kleine Pflänzchen der Hoffnung heranwuchsen, nur um dann, als ich vergeblich meinen Blick durch die Cafeteria schweifen ließ und allein an meinem Tisch im Bioraum saß, umso schmerzhafter zertrampelt zu werden.
Die Fahrt nach Port Angeles wurde für mich noch reizvoller, als ich hörte, dass Lauren etwas anderes vorhatte. Ich wollte so schnell wie möglich raus aus Forks, damit ich aufhören konnte, mich ständig umzusehen, in der Hoffnung, dass er plötzlich aus heiterem Himmel auftauchte, wie das so seine Art war. Ich nahm mir vor, gute Laune zu haben, um Angela und Jessica die Freude an ihrem Einkaufsbummel nicht zu verderben. Vielleicht konnte ich mich ja auch nach ein paar Klamotten umsehen. Ich weigerte mich, auch nur in Erwägung zu ziehen, dass ich am Samstag in Seattle allein durch die Geschäfte gehen würde; so hatte ich es ursprünglich geplant, doch so wollte ich es nicht mehr. Er würde ja wohl wenigstens nicht abspringen, ohne mir Bescheid zu sagen.
Nach der Schule folgte mir Jessica in ihrem alten weißen Mercury nach Hause, damit ich meine Bücher und den Transporter wegbringen konnte. Drinnen bürstete ich mir kurz die Haare und spürte dabei einen Anflug von Vorfreude – gleich würde ich aus Forks rauskommen! Ich legte Charlie einen Zettel auf den Tisch, auf dem ich noch mal erklärte, wo das Abendessen stand, nahm mein abgegriffenes Portemonnaie aus meiner Schultasche, steckte es in eine selten benutzte Handtasche und rannte dann nach draußen zu Jessica. Wir fuhren zu Angela, die uns bereits erwartete. Meine Freude wuchs sprunghaft an, als wir tatsächlich die Ortsgrenze hinter uns ließen.
DINNER FOR TWO
Jess fuhr schneller als Charlie, und so waren wir schon um vier in Port Angeles. Seit meinem letzten richtigen Mädchenabend war reichlich Zeit vergangen, und der Östrogenausstoß regte meine Lebensgeister an. Im Auto hörten wir rührselige Rocksongs, und Jessica plapperte ohne Punkt und Komma über die Jungs, mit denen wir zu tun hatten. Ihr Abendessen mit Mike war gut verlaufen, und sie hoffte, dass sie Samstagabend beim ersten Kuss angelangt sein würden. Ich lächelte zufrieden in mich hinein. Angela hatte zwar Lust, zum Ball zu gehen, war aber nicht wirklich an Eric interessiert. Sofort versuchte Jess, aus ihr herauszubekommen, wer von den anderen Jungs ihr gefiel. Nach einer Weile half ich ihr aus der Patsche, indem ich das Gespräch auf Abendkleider und den bevorstehenden Einkauf lenkte. Sie warf mir einen dankbaren Blick zu.
Port Angeles war eine hübsche kleine Touristenfalle, viel malerischer und herausgeputzter als Forks. Jessica und Angela waren schon häufig hier gewesen und hatten keine Lust, an der pittoresken Strandpromenade Zeit zu verschwenden. Jess fuhr direkt zum einzigen großen Kaufhaus der Stadt, das ein paar Straßen stadteinwärts lag.
Der Ball war als semiformell ausgeschrieben; wir wussten alle nicht genau, wie wir das deuten sollten. Jessica und Angela waren überrascht und fast schon ungläubig, als ich ihnen erzählte, dass ich in Phoenix auf keinem einzigen Ball gewesen war.
»Bist du denn nie mit deinem Freund oder so zu einem gegangen?«, fragte Jess zweifelnd, als wir das Kaufhaus betraten.
Ich bemühte mich, überzeugend zu wirken, ohne meine Ungeschicklichkeit beim Tanzen eingestehen zu müssen. »Ehrlich«, versicherte ich ihr, »ich hatte nie auch nur ansatzweise so etwas wie einen Freund. Ich bin nicht viel ausgegangen.«
»Warum denn nicht?«, wollte Jessica wissen.
»Es hat mich keiner gefragt«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Sie schaute skeptisch. »Hier fragen sie dich«, erinnerte sie mich, »aber du sagst allen ab.« Wir waren mittlerweile in der Abteilung für junge Mode angekommen und schauten uns nach den etwas schickeren Sachen um.
»Na ja, außer Tyler«, berichtigte Angela leise.
»Wie bitte?«, sagte ich und schnappte nach Luft. »Was hast du gesagt?«
»Tyler hat allen erzählt, dass er mit dir zum Jahresabschlussball geht«, informierte mich Jessica mit argwöhnischem Blick.
»Er hat was gesagt?« Ich hörte mich an, als würde ich gleich ersticken.
»Wusste ich doch, dass das nicht stimmt«, murmelte Angela, zu Jessica gewandt.
Ich sagte gar nichts – ich hatte mich noch nicht von dem Schock erholt, der sich jetzt ziemlich schnell in Wut verwandelte. Doch dann fanden wir die Ständer mit den Abendkleidern und es gab Arbeit.
»Deshalb kann Lauren dich auch nicht leiden«, sagte Jessica kichernd, während wir ein Kleid nach dem anderen hervorzogen und begutachteten.
»Meinst du, wenn ich ihn mit meinem Transporter überfahre, kann ich ihn davon überzeugen, sich nicht mehr wegen des Unfalls schuldig zu fühlen?«, fragte ich bissig. »Dann sind wir endlich quitt, und er kann damit aufhören, Wiedergutmachung zu leisten.«
»Vielleicht«, prustete sie los. »Falls das der Grund ist.«
Die Auswahl an Kleidern war klein, trotzdem fanden beide ein paar Teile, die sie anprobieren wollten. Ich saß auf einem niedrigen Sessel neben dem dreiteiligen Spiegel und versuchte meinen Zorn zu zügeln.
Jess musste sich zwischen zwei Kleidern entscheiden – das eine war trägerlos, lang, schlicht und schwarz, das andere hatte Spaghettiträger, ging nur bis zu den Knien und war leuchtend blau. Ich ermunterte sie, das blaue zu nehmen; was sprach dagegen, den Augen etwas zu bieten? Angela suchte sich ein blassrosa Kleid aus, das vorteilhaft an ihrer großen Gestalt herabfloss und in ihren hellbraunen Haaren einen Honigton hervorbrachte. Ich sparte bei beiden nicht mit Komplimenten und brachte die aussortierten Kleider zurück zum Ständer. Das Ganze ging schneller und unkomplizierter vonstatten als ähnliche Unternehmungen zu Hause mit Renée. So gesehen war die geringe Auswahl von Vorteil.