Ich lauschte mit aller Kraft auf ihre Schritte, die im Vergleich zu ihrem polternden, lärmenden Auftreten zuvor viel zu leise waren. Es klang nicht so, als ob sie beschleunigten oder näher kamen. Immer schön durchatmen, sagte ich mir – du weißt ja gar nicht, ob sie dir folgen. Ich lief weiterhin, so schnell ich konnte, ohne tatsächlich zu rennen, und richtete meine Aufmerksamkeit auf eine Straße, die wenige Meter vor mir nach links einbog. Ich konnte die Männer hören, sie blieben auf Abstand. Ein blaues Auto kam aus der Seitenstraße und beschleunigte in die Richtung, aus der ich kam. Einen Moment lang dachte ich daran, auf die Straße zu springen, um es anzuhalten, doch ich zögerte, war mir nicht sicher genug, ob ich wirklich verfolgt wurde – und dann war es zu spät.
Ich erreichte die Seitenstraße, bog hinein, sah aber, dass es lediglich eine Sackgasse war, die an der Rückseite eines Gebäudes endete. Schnell machte ich kehrt, überquerte die Gasse und lief weiter die Straße entlang. Sie endete an der nächsten Ecke; dort stand ein Stoppschild. Ich konzentrierte mich auf die leisen Schritte hinter mir und überlegte fieberhaft, ob ich rennen sollte oder nicht. Es klang aber, als blieben die Männer zurück, und ich wusste, dass sie im Ernstfall sowieso schneller wären. Außerdem war ich mir sicher, dass ich straucheln und der Länge nach hinschlagen würde, wenn ich versuchte noch schneller zu laufen. Das Geräusch ihrer Schritte klang jetzt definitiv weiter entfernt. Ich riskierte einen kurzen Blick über meine Schulter und sah erleichtert, dass sie etwa fünfzehn Meter hinter mir waren. Doch beide schauten mich an.
Ein kleines Stück vor mir war die Straßenecke, aber es schien eine Ewigkeit zu dauern, dort hinzukommen. Ich behielt mein Tempo bei, und die Männer in meinem Rücken fielen mit jedem Schritt etwas weiter zurück. Vielleicht war ihnen bewusst geworden, dass sie mich erschreckt hatten, und es tat ihnen leid. Ich sah, dass vorne auf der Querstraße zwei Autos in Richtung Norden vorbeifuhren, und atmete auf. Wenn ich erst mal diese einsame Straße verlassen hätte, würden mir wieder mehr Menschen begegnen. Mit einem dankbaren Seufzen bog ich schwungvoll um die Ecke.
Und blieb stolpernd stehen.
Die Straße war beidseitig von Mauern gesäumt – blanken Wänden, ohne Türen und ohne Fenster. Weiter hinten, vielleicht zwei Kreuzungen entfernt, konnte ich Straßenlaternen, Autos und andere Fußgänger sehen, aber sie waren zu weit weg. Denn vor mir, etwa auf halbem Weg zur nächsten Seitenstraße, standen die beiden anderen Männer. Sie lehnten an der Wand des Gebäudes auf meiner Straßenseite und sahen mit hämischer Freude zu, wie ich starr vor Schreck auf dem Gehweg stand. Man war mir nicht gefolgt, das wurde mir jetzt klar.
Man hatte mich getrieben.
Meine Erstarrung währte nur eine Sekunde, aber es fühlte sich sehr viel länger an. Dann wandte ich mich ab und stürzte auf die andere Straßenseite. Ich hatte das beklemmende Gefühl, dass es vergeblich war. Die Schritte hinter mir wurden jetzt lauter.
»Na endlich!« Die Stimme des stämmigen, dunkelhaarigen Mannes klang dröhnend durch die angespannte Stille und ließ mich zusammenfahren. In der hereinbrechenden Dunkelheit sah es so aus, als schaute er an mir vorbei.
»Keine Sorge«, rief jemand laut hinter mir und ließ mich abermals zusammenzucken, während ich in panischer Hast die Straße entlanglief. »Wir haben nur einen kleinen Umweg gemacht.«
Ich musste mich bremsen. Die Entfernung zwischen mir und den beiden, die da so lässig an der Wand lehnten, verringerte sich zu schnell. Ich hatte immer eine kräftige Stimme gehabt und atmete tief ein, um jetzt Gebrauch davon zu machen, doch meine Kehle war so ausgetrocknet, dass ich mir nicht sicher war, ob ich überhaupt einen Ton herausbekommen würde. Mit einer schnellen Bewegung zog ich mir die Handtasche über den Kopf und hielt sie am Riemen in der Hand, um sie entweder zu opfern oder als Waffe zu verwenden.
Der bullige Mann löste sich von der Wand und kam langsam über die Straße. Ich erstarrte.
»Bleib, wo du bist«, warnte ich ihn mit einer Stimme, die stark und furchtlos klingen sollte. Aber ich hatte richtig vermutet, was meine trockene Kehle anging – es klang eher piepsig.
»Ach, Süße – sei doch nicht so«, rief er, und hinter mir ertönte wieder das raue Gelächter.
Ich nahm meine Füße etwas auseinander, um einen besseren Stand zu haben, und machte mich bereit. Trotz meiner Panik versuchte ich mich an das Wenige zu erinnern, was ich über Selbstverteidigung wusste. Handballen nach oben stoßen und hoffentlich die Nase brechen oder ins Hirn drücken. Finger in die Augenhöhle, das Auge zu fassen kriegen und rausstülpen. Und natürlich der Klassiker – Knie in die Weichteile. Wieder meldete sich die pessimistische Stimme in mir und erinnerte mich daran, dass ich wahrscheinlich nicht einmal gegen einen von ihnen eine Chance hätte, geschweige denn gegen alle vier. Ich würgte sie ab, bevor mich das Entsetzen ganz und gar lähmen konnte. Wenn sie mich erledigen wollten, würde einer von ihnen auch dran glauben. Ich versuchte zu schlucken, um einen anständigen Schrei hinzubekommen.
Urplötzlich schossen hinter dem Stämmigen Scheinwerfer um die Ecke, und er konnte sich nur durch einen Satz zurück in Richtung Gehweg retten. Ich stürzte auf die Straße – dieses Auto würde entweder anhalten oder mich überfahren müssen.
Doch dann machte es einen plötzlichen Schlenker, schlitterte auf mich zu und blieb mit offener Beifahrertür stehen. Es war silberfarben.
»Steig ein«, kommandierte eine zornige Stimme.
Es war verblüffend, wie augenblicklich – noch bevor ich seiner Anweisung nachkommen konnte – die beklemmende Furcht von mir abfiel und ein Gefühl der Sicherheit mich einhüllte, als ich seine Stimme hörte. Ich schlüpfte hinein und schlug die Tür hinter mir zu.
Im Auto war es dunkel, und auch beim Öffnen der Tür war kein Licht angegangen; im glimmenden Licht der Armaturen konnte ich kaum sein Gesicht sehen. Er trat das Gaspedal durch und riss das Auto mit quietschenden Reifen in nördliche Richtung herum – es schlingerte und hätte fast die verdutzten Männer auf der Straße erfasst. Während er den Wagen wieder in den Griff bekam und beschleunigte, sah ich aus den Augenwinkeln, wie sie sich auf den Gehweg in Sicherheit brachten.
»Schnall dich an«, kommandierte er, und ich merkte, dass ich mich mit beiden Händen am Sitz festkrallte. Ich gehorchte sofort; das Klicken beim Einrasten des Verschlusses hallte in der Dunkelheit. Wir rasten auf den Hafen zu, doch dann bog er scharf nach links ab und überfuhr eine Reihe von Stoppschildern, ohne das Tempo zu drosseln.
Doch ich fühlte mich vollkommen sicher, und für den Moment war es mir ganz und gar gleichgültig, wohin wir fuhren. Zutiefst erleichtert blickte ich in sein Gesicht – es war eine Erleichterung, die mehr umfasste als meine unerwartete Rettung. Ich musterte seine perfekten Züge im schwachen Licht und wartete darauf, dass sich mein Puls wieder beruhigte. Dann erst registrierte ich die mörderische Wut in seinem Ausdruck.
»Ist alles okay mit dir?«, fragte ich, überrascht davon, wie heiser meine Stimme klang.
»Nein«, sagte er schroff. Es hörte sich an, als sei er außer sich vor Zorn.
Schweigend betrachtete ich sein Gesicht; er blickte stur geradeaus, seine Augen funkelten. Dann hielt er plötzlich an. Ich schaute mich um, doch es war zu dunkel, um irgendetwas zu erkennen außer den vagen Umrissen der dunklen Bäume, die sich seitlich der Straße drängten. Wir hatten die Stadt verlassen.
»Bella?«, fragte er mit angespannter, mühsam kontrollierter Stimme.
»Ja?« Meine Stimme war immer noch kratzig. Ich versuchte mich geräuschlos zu räuspern.
»Ist alles okay mit dir?« Noch immer schaute er mich nicht an, doch die Wut stand ihm ins Gesicht geschrieben.
»Ja«, krächzte ich leise.