»Behalt sie – du hast doch keine für morgen«, erinnerte er mich.
Ich reichte sie ihm. »Aber ich hab auch keine Lust, das Charlie zu erklären.«
»Oh, verstehe.« Er grinste.
Meine Hand lag schon am Türgriff, doch ich wollte den Augenblick noch verlängern.
»Bella?«, fragte er in einem veränderten Tonfall – ernsthaft, aber zögerlich.
»Ja?« Ich drehte mich nur zu gern wieder zu ihm um.
»Versprichst du mir auch etwas?«
»Ja«, sagte ich und bereute meine bedingungslose Zusage sofort. Was, wenn er mich aufforderte, ihm fernzubleiben? Ich würde dieses Versprechen nicht halten können.
»Geh nicht allein in den Wald.«
Völlig verdutzt schaute ich ihn an. »Warum denn nicht?«
Er runzelte die Stirn und starrte an mir vorbei aus dem Fenster. Sein Blick war angespannt.
»Sagen wir einfach, ich bin nicht immer die größte Gefahr da draußen, okay?«
Die plötzliche Bedrohung, die in seiner Stimme mitschwang, ließ mich zwar etwas erschaudern, doch im Grunde war ich erleichtert. Das war ein Versprechen, das ich guten Gewissens geben konnte. »Wie du willst.«
»Bis morgen dann«, sagte er seufzend, und ich wusste, er wollte, dass ich jetzt ausstieg.
»Bis morgen.« Widerwillig öffnete ich die Tür.
»Bella?« Ich drehte mich um, und er beugte sich zu mir herüber; sein blasses, prachtvolles Gesicht war nur Zentimeter von meinem entfernt. Mein Herzschlag setzte aus.
»Schlaf gut«, sagte er. Sein Atem traf mein Gesicht und betäubte mich. Es war derselbe exquisite Duft, der seiner Jacke anhaftete, nur konzentrierter. Ich blinzelte, völlig benommen. Er lehnte sich wieder von mir weg.
Ich war unfähig, mich zu bewegen, bis meine Gedanken sich wieder halbwegs entwirrt hatten. Dann stieg ich umständlich aus; ich musste mich dabei am Rahmen abstützen. Ich bildete mir ein, ihn vor sich hin kichern zu hören, aber es war zu leise – ich war mir nicht sicher.
Er wartete, bis ich zur Haustür gestolpert war, dann ließ er seinen leise surrenden Motor an. Ich drehte mich um und sah, wie das silberne Auto um die Ecke bog und verschwand. Es war sehr kalt.
Mit mechanischen Bewegungen griff ich nach dem Schlüssel, öffnete die Tür und trat ein.
»Bella?«, rief Charlie aus dem Wohnzimmer.
»Ja, Dad, ich bin’s.« Ich ging hinein, um ihn zu begrüßen. Im Fernsehen lief ein Baseballspiel.
»Du bist zeitig dran.«
»Wirklich?« Ich war überrascht.
»Es ist noch nicht mal acht«, sagte er. »Hattet ihr drei einen guten Ausflug?«
»Ja, hat Spaß gemacht.« Mein Kopf schwirrte beim Versuch, mich an mein ursprüngliches Vorhaben zu erinnern – der Einkaufsbummel mit den Mädchen. »Sie haben beide Kleider gefunden.«
»Geht’s dir gut?«
»Ich bin nur müde. Wir sind viel rumgelaufen.«
»Vielleicht solltest du dich hinlegen.« Er klang besorgt. Ich fragte mich, wie mein Gesicht aussah.
»Ich ruf nur noch schnell Jessica an.«
»Seid ihr nicht zusammen gekommen?«, fragte er überrascht.
»Ja, aber ich hab meine Jacke im Auto liegenlassen. Die soll sie morgen auf jeden Fall mitbringen.«
»Na ja, lass sie erst mal nach Hause kommen.«
»Stimmt«, sagte ich.
Ich ging in die Küche und ließ mich erschöpft auf einen Stuhl fallen. Jetzt war mir tatsächlich schwindlig. Ich fragte mich, ob der Schock womöglich doch noch einsetzte. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich.
Das Klingeln des Telefons schreckte mich auf. Ich riss den Hörer von der Gabel.
»Hallo?«, fragte ich atemlos.
»Bella?«
»Hey, Jess, ich wollte dich auch gerade anrufen.«
»Du bist also zu Hause angekommen?« Ihre Stimme klang erleichtert … und überrascht.
»Ja. Sag mal, ich hab meine Jacke im Auto liegenlassen – kannst du sie morgen mitbringen?«
»Klar – aber jetzt erzähl doch mal! Was ist passiert?«
»Ähm, morgen, okay? In Mathe.«
Sie kapierte. »Hört dein Dad zu?«
»Ja, genau.«
»Okay, dann sprechen wir morgen. Tschüss!« Die Ungeduld in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
»Tschüss, Jess.«
Ich ging langsam die Treppe nach oben, vollkommen benebelt. Mechanisch machte ich mich bettfertig, ohne wirklich mitzubekommen, was ich tat. Erst als ich unter der Dusche stand und das viel zu heiße Wasser auf meiner Haut brannte, merkte ich, dass ich fror. Einige Minuten lang stand ich still da, heftig zitternd, dann endlich entspannte die dampfende Brause meine versteiften Muskeln. Ich duschte immer weiter, bis das heiße Wasser zu Ende ging, zu müde, um mich zu bewegen.
Dann trat ich auf unsicheren Beinen aus der Dusche und hüllte mich eng in ein Handtuch ein, um die Wärme des Wassers zu bewahren – ich hatte Angst, dass der schmerzhafte Schüttelfrost wiederkam. In Windeseile zog ich mir mein Schlafzeug an und schlüpfte unter die Decke, wo ich die Knie an meinen Oberkörper zog und die Arme um meinen Brustkorb schlang, um mich zu wärmen. Ein paar winzige Schauder durchbebten mich.
Meine Gedanken taumelten noch immer unkontrolliert im Wirbel der Bilder – vieler Bilder, die ich nicht deuten konnte, und einiger, die ich zu verdrängen suchte. Zuerst schien alles wirr zu sein, doch je weiter ich dem Schlaf entgegentrieb, desto klarer traten die wenigen Gewissheiten hervor.
Es gab drei Dinge, deren ich mir absolut sicher war: Erstens, Edward war ein Vampir. Zweitens, ein Teil von ihm – und ich wusste nicht, wie mächtig dieser Teil war – dürstete nach meinem Blut. Und drittens, ich war bedingungslos und unwiderruflich in ihn verliebt.
DER LAUSCHER AN DER WAND
Am nächsten Morgen war es sehr schwer, den Teil von mir, der die Ereignisse des Abends für einen Traum hielt, davon zu überzeugen, dass sie wirklich passiert waren. Logik und gesunder Menschenverstand sprachen dagegen. Ich klammerte mich an die Details, die ich mir nicht eingebildet haben konnte, seinen Geruch zum Beispiel. Den hätte ich mir niemals selber ausdenken können, ganz sicher nicht.
Draußen war es neblig und düster, absolut perfekt. Es gab keinen Grund für ihn, nicht zur Schule zu kommen. Ich zog mir meine dicksten Sachen an – ich hatte ja keine Jacke. Ein weiterer Beleg dafür, dass mich meine Erinnerung nicht trog.
Als ich in die Küche kam, war Charlie wie so oft schon weg – ich war später dran, als ich gedacht hatte. Schnell schlang ich einen Müsliriegel hinunter und spülte mit Milch direkt aus der Packung nach; dann hastete ich nach draußen. Ich hoffte, es würde nicht zu regnen beginnen, bevor ich Jessica traf.
Es war ungewöhnlich neblig; der Dunst verschleierte die Luft wie Rauch und legte sich eiskalt auf die entblößte Haut in meinem Gesicht und meinem Nacken. Ich konnte es kaum erwarten, im Transporter zu sitzen und die Heizung aufzudrehen. So dicht war der Nebel, dass ich erst nach ein paar Schritten bemerkte, dass ein Auto in der Auffahrt stand: ein silbernes Auto. Mein Herz setzte aus, stotterte und schlug dann doppelt so schnell weiter.
Ich sah ihn nicht kommen, aber plötzlich war er da und hielt mir die Tür auf.
»Möchtest du heute mit mir fahren?«, fragte er, erheitert von meinem überraschten Gesichtsausdruck. In seiner Stimme lag Unsicherheit. Er ließ mir tatsächlich die Wahl; ich konnte ablehnen, und ein Teil von ihm hoffte darauf – vergeblich.
»Sehr gern, danke«, sagte ich und gab mir Mühe, gelassen zu klingen. Als ich in das warme Auto stieg, sah ich, dass er seine hellbraune Jacke über die Kopfstütze des Beifahrersitzes gelegt hatte. Neben mir fiel die Tür zu, und einen Augenblick später – schneller, als es möglich sein sollte – saß er an meiner Seite und ließ den Motor an.
»Ich hab dir die Jacke mitgebracht. Nicht, dass du krank wirst oder so.« Seine Stimme war zurückhaltend. Mir fiel auf, dass er selber keine Jacke trug, nur einen hellgrauen Strickpulli mit langen Ärmeln und V-Ausschnitt. Wieder schmiegte sich der Stoff an die perfekten Formen seiner muskulösen Brust. Es war das größte Kompliment, das man seinem Gesicht machen konnte, dass es mich davon abhielt, seinen Körper anzustarren.