»Ich hab da noch eine Frage.« Seine Miene war weiterhin unbeschwert.
»Na los.«
»Musst du wirklich nach Seattle am Samstag, oder brauchtest du nur eine Ausrede für deine ganzen Verehrer?«
Bei der Erinnerung verzog ich das Gesicht. »Ganz ehrlich, die Sache mit Tyler nehme ich dir immer noch übel«, warnte ich ihn. »Es ist deine Schuld, dass er jetzt denkt, ich würde mit ihm zum Jahresabschlussball gehen.«
»Ach, er hätte schon noch ohne mich eine Möglichkeit gefunden, dich zu fragen – und ich wollte so gern dein Gesicht sehen«, erwiderte er lachend. Und sein Lachen war viel zu zauberhaft, als dass ich ernsthaft wütend auf ihn sein konnte. »Wenn ich dich gefragt hätte, hättest du mir auch eine Abfuhr erteilt?«, erkundigte er sich, immer noch vor sich hin lachend.
»Wahrscheinlich nicht«, gab ich zu. »Aber später hätte ich dann wegen Krankheit oder einem verstauchten Fuß abgesagt.«
Er war verdutzt. »Warum denn das?«
Betrübt schüttelte ich den Kopf. »Okay, du hast mich nie in Sport gesehen, aber ich hätte gedacht, dass du weißt, was ich meine.«
»Was denn – etwa die Tatsache, dass du nicht über eine gerade und feste Oberfläche laufen kannst, ohne zu stolpern?«
»Was sonst?«
»Das wäre kein Problem.« Er war sich seiner Sache sehr sicher. »Beim Tanzen kommt alles darauf an, wie geführt wird.« Er sah, dass ich protestieren wollte, und schnitt mir das Wort ab. »Aber was denn nun – willst du unbedingt nach Seattle fahren, oder wärst du auch einverstanden, wenn wir etwas anderes machen?«
Solange es um »uns« ging, war mir alles andere egal.
»Ich bin offen für Vorschläge«, räumte ich ein. »Aber ich muss dich um einen Gefallen bitten.«
Sein Blick war argwöhnisch, wie immer, wenn er nicht wusste, worauf ich hinauswollte. »Ja?«
»Kann ich fahren?«
Er runzelte die Stirn. »Warum?«
»Hauptsächlich deshalb, weil mich Charlie, als ich ihm erzählte, dass ich nach Seattle will, ausdrücklich gefragt hat, ob ich alleine fahre, und zu dem Zeitpunkt nahm ich das an. Wenn er mich noch mal fragt, werde ich sicher nicht lügen, aber ich vermute, dass er mich nicht noch mal fragen wird. Und wenn ich jetzt meinen Transporter zu Hause stehenlasse, beschwöre ich das Thema nur unnötigerweise herauf. Abgesehen davon macht mir deine Fahrweise Angst.«
Er verdrehte die Augen. »Von allem, was dir an mir Angst machen könnte, sorgst du dich ausgerechnet um meine Fahrweise.« Empört schüttelte er den Kopf, doch dann wurde sein Blick wieder ernst. »Willst du denn deinem Vater nicht sagen, dass du den Tag mit mir verbringst?« In seiner Stimme lag ein Unterton, den ich nicht verstand.
»Bei Charlie ist weniger grundsätzlich mehr.« Dessen war ich mir ganz sicher. »Wo fahren wir denn überhaupt hin?«
»Es wird schönes Wetter sein, ich werde mich also von der Öffentlichkeit fernhalten …und du kannst mit mir kommen, wenn du magst.« Auch dieses Mal ließ er mir die Wahl.
»Heißt das, du zeigst mir, was du meinst, mit der Sonne?«, fragte ich, begeistert von der Aussicht, eine weitere Unbekannte aufzudecken.
»Ja.« Er lächelte, dann hielt er inne. »Wenn du allerdings nicht mit mir … allein sein willst, wäre es mir trotzdem lieber, du würdest nicht ohne Begleitung nach Seattle fahren. Wenn ich daran denke, was dir in einer Stadt dieser Größe zustoßen könnte, läuft es mir kalt den Rücken runter.«
Ich war entrüstet. »Phoenix hat allein schon dreimal so viele Einwohner wie Seattle, und was die Größe angeht …«
»Aber anscheinend«, unterbrach er mich, »waren deine Tage in Phoenix noch nicht gezählt. Deshalb wär’s mir lieber, du bist in meiner Nähe.« Und dann traf mich wieder einer seiner glühenden Blicke.
Ich hatte dem nichts entgegenzusetzen, weder seinem Blick noch der Motivation dahinter – und eigentlich war es auch gar nicht meine Absicht. »Wie es der Zufall will, bin ich gar nicht abgeneigt, mit dir allein zu sein.«
»Ich weiß«, seufzte er grübelnd. »Trotzdem solltest du Charlie Bescheid sagen.«
»Warum um Himmels willen sollte ich das tun?«
Mit einem Mal war sein Blick grimmig. »Um mir einen kleinen Anreiz zu geben, dich heil zurückzubringen.«
Ich schluckte. Doch ich brauchte nur einen Moment des Nachdenkens, um mir sicher zu sein. »Ich glaube, ich lass es drauf ankommen.«
Aufgebracht blies er seine Backen auf und schaute zur Seite.
»Lass uns über was anderes reden«, schlug ich vor.
»Worüber willst du denn reden?«, fragte er, weiterhin verärgert.
Ich wollte mich davon überzeugen, dass uns niemand hören konnte, und schaute mich um. Mein Blick wanderte durch den Saal und begegnete dem seiner Schwester Alice – sie starrte mich an. Die Blicke der anderen drei waren auf Edward gerichtet. Sofort schaute ich zu ihm zurück und fragte das Erste, was mir in den Sinn kam.
»Warum seid ihr eigentlich am Wochenende zum … Jagen in die Goat Rocks Wilderness gefahren? Charlie meinte, das sei keine gute Gegend, wegen der vielen Bären.«
Er schaute mich an, als hätte ich etwas sehr Offensichtliches nicht mitbekommen.
»Bären?« Ich schnappte nach Luft, und er grinste. »Und das, obwohl keine Jagdsaison ist«, fügte ich tadelnd hinzu, um meine Entgeisterung zu überspielen.
»Wenn du die Bestimmungen sorgfältig liest, dann wirst du feststellen, dass die Verbote lediglich das Jagen mit Waffen betreffen.«
Amüsiert betrachtete er mein Gesicht, während ich langsam kapierte, was er da gerade gesagt hatte.
»Bären?«, wiederholte ich zaghaft.
»Grizzlybären mag Emmett am liebsten.« Seine Stimme klang immer noch unbekümmert, doch er verfolgte genau meine Reaktion. Ich versuchte mich zusammenzureißen.
»Hmmm«, sagte ich und nahm einen Bissen von der Pizza – ein Vorwand, um den Blick zu senken. Ich kaute langsam, dann trank ich ausgiebig von der Cola und schaute weiter nach unten.
»Und?«, fragte ich, als ich mich endlich traute, seinen mittlerweile besorgten Blick zu erwidern. »Was magst du am liebsten?«
Er zog eine Augenbraue nach oben, während sich seine Mundwinkel missbilligend senkten. »Puma.«
»Ah«, sagte ich mit höflichem Desinteresse und wandte mich wieder meiner Cola zu.
Er ging auf meinen Tonfall ein. »Selbstverständlich achten wir darauf, nicht durch unüberlegtes Jagdverhalten in die Umwelt einzugreifen«, sagte er. »Wir sind bemüht, uns auf Gegenden mit einem Überbestand an Raubtieren zu beschränken, und nehmen dafür auch weite Strecken in Kauf. Natürlich wären hier in der Gegend immer genügend Rehe und Elche verfügbar, aber es soll ja auch ein bisschen Spaß machen.« Er lächelte schalkhaft.
»Oh, selbstverständlich«, murmelte ich kauend.
»Die ersten Frühlingswochen sind Emmetts bevorzugte Bärensaison – da kommen sie gerade aus dem Winterschlaf und sind besonders reizbar.« Er lächelte, als erinnerte er sich an einen alten Witz.
»Es geht doch nichts über einen gereizten Grizzlybären«, pflichtete ich ihm bei und nickte.
Er kicherte und schüttelte den Kopf. »Bitte sag mir, was du wirklich denkst.«
»Ich versuche mir das vorzustellen, aber es gelingt mir nicht«, gab ich zu. »Wie jagt man einen Bären ohne Waffen?«
»Oh, Waffen haben wir schon.« Sein Mund verzog sich zu einem kurzen, bedrohlichen Lachen, das seine blitzenden Zähne entblößte. Ich unterdrückte ein Schaudern, bevor es mich verraten konnte. »Nur nicht solche, die unter die Jagdbestimmungen fallen. Falls du jemals im Fernsehen einen angreifenden Bären gesehen hast, dann kannst du dir ein Bild von Emmett beim Jagen machen.«
Jetzt konnte ich es nicht mehr verhindern – es rieselte mir eiskalt den Rücken hinab.
Verstohlen blickte ich zu Emmett hinüber und war erleichtert, dass er nicht in meine
Richtung schaute. Die dicken Muskelstränge an seinen Armen und seinem
Oberkörper wirkten jetzt irgendwie noch bedrohlicher.
Edward folgte meinem Blick und lachte in sich hinein. Verunsichert schaute ich ihn an.